Als wir noch Schüler waren, spannten wir manchmal ein Gummiband zwischen zwei Fingern einer Hand, um gefaltete und geknickte Papierschnipsel auf andere Schüler zu schießen, oder auf den Lehrer, der mit dem Rücken zur Klasse an der Tafel stand. Das war zwar verboten, sorgte aber für eine ausgezeichnete Unterhaltung in der Klasse und vertrieb alle Langeweile. Mit einer zurechtgesägten Astgabel und einem Einmachgummi ließen sich sogar Steinschleudern bauen, deren Kraft wir aber lieber nicht an lebenden Wesen erprobten.
Immer wieder denke ich heute an diese Gummischleudern.
Manchmal nämlich treiben Angst oder Ärger oder Mitgefühl oder Sorge Falten in mein Gesicht. Ich weiß, wenn diese Mimik sich in meinem Ausdrucksrepertoire fest etabliert, wird sie in ein paar Jahren zu meinem Grundgesichtsausdruck gehören. Sie wird mein neutrales, stimmungsunabhängiges Aussehen prägen, und auch die Falten werden dann dazugehören. Ich möchte das nicht, und ich brauche es auch nicht.
Denn meine Gesichtsmuskeln sind eine Sorgenschleuder, aufgespannt, zwischen den Ohren. Und wann immer meinie Haut sich spannt, um sich an anderer Stelle in Falten zu legen, und wann immer eine gewisse, leichte Spannung überschritten ist, macht es „Pling“, und die Muskulatur entspannt sich. Weggeschleudert in den Raum, in die Zeit, werden die Sorgen, der Ärger, die Wut. Manchmal zielen sie ins Leere, manchmal auch auf einen Menschen, der sie an meiner Stelle tragen sollte, weil es seine Belange sind. Zurück bleibt ein Lächeln, und das Wissen, dass die Falten des Kummers auf meinem Gesicht kein Zuhause gefunden haben.