Manchmal, wenn ich ein Glas mit einem sehr festsitzenden Schraubverschluss zu öffnen habe, stelle ich mir vor, ich sei eine Maschine mit einem speziellen Greifarm, der dafür konstruiert ist, unwiderstehlich alle Gläser zu öffnen. Auf diese Art habe ich die maximale Kraft und den besten Halt am Deckel, gleichzeitig bin ich weitgehend unempfindlich gegen das Druckgefühl und etwaige Schmerzempfindungen. Man kann es natürlich auch übertreiben. Ich erinnere mich an eine Szene aus der Zeit, als ich noch an einer Schule unterrichtete.
„Hol‘ mal den Timo!“ riefen alle Schüler. Bis dahin war das Armdrücken mit meinen Sechstklässlern ein Vergnügen gewesen. Doch Timo, der aus der Parallelklasse herbeigerufen wurde, war von ganz anderer Statur als die übrigen Schüler seines Jahrgangs. Mit freundlichen Augen schaute er mich durch seine dicke Brille an, setzte sich mir gegenüber und hielt mir seine Pranke entgegen. Die Vorstellung, als Lehrer von einem Sechstklässler niedergerungen zu werden, war mir äußerst unangenehm. Ich fragte mich: War dieser Kampf überhaupt zu gewinnen? Ich wollte nicht unterliegen. Doch hier war sein Arm, es gab kein Entrinnen. Was tun? Ich malte mir aus, mein Arm sei ein großer Stahlwinkel, verschweißt und verschraubt wie die gewaltige Konstruktion einer Bahnhofshalle, deren Dach von großen Stahlträgern zusammen gehalten wird. Ich sah nicht mehr den Arm, ich sah nur noch den Träger, der starr unter seinem Dach die Stellung hielt. Lange, lange Zeit drückte Timo seine Hand gegen den Stahlträger. Als sein Arm schließlich zitterte, ließ ich den Träger ganz langsam kippen und unter der Last eines schweren Gewichtes umstürzen. Das Bahnhofsdach begrub Timos Arm unter sich. Ich hatte gewonnen.
Und während der nächsten drei Wochen hatte ich Zeit, meine Muskelfaserrisse heilen zu lassen.
Aus: Stefan Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens, Klett-Cotta 2009