Auch heute ist mir nichts eingefallen. Dabei ist Weihnachten und ich wollte euch etwas schreiben. Ich kann es nicht ändern, dass mir manchmal nichts einfällt, und ich hatte mich auch gerade damit abgefunden. Aber dann ist etwas Merkwürdiges passsiert. Als ich eben meine Weihnachtskrippe betrachtet habe, da haben zwei der Figuren plötzlich zu sprechen begonnen. Ich habe mir notiert, was die beiden gesagt haben und gebe es euch gleich auf der Stelle wortgetreu wieder.
O: Sag mal, alter Esel, was machen wir eigentlich hier in der stillen Nacht, in der Heiligen Nacht in einem Stall in Bethlehem??
E: Das siehst du doch, alter Ochse. Wir beugen die Knie vor dem neugeborenen Herrn.
O: Aber sollten das nicht lieber die Menschen machen? Ich meine, er ist doch ein Mensch geworden und nicht ein Tier.
E: Ach, Ochse, es sind doch Menschen da. Guck hier, diese Ausländer, sie beten bei uns Gottes Kind an.
O: Ausländer, du Esel! Wahrscheinlich haben die nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung. So Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Osten, aus Russland oder Indien oder so.
E: Ist unser Königskind denn besser? Ich habe heute Nacht einen Engel gehört, der sagte zu Josef im Traum: „Geh weg von hier, denn Herodes trachtet dem Kind nach dem Leben. In Ägypten werdet ihr Zuflucht finden.“ So weh es mir tut, dieser Jesus ist ein Asylantenkind.
O: Aber Esel, die Männer da, haben doch eine ganz andere Religion! Das sind Sterndeuter, Astrologen – in der Bibel heißen sie sogar Magier. Das sind doch überhaupt keine Christen. Die sind doch nur hier hergekommen, um uns auszunehmen. Die haben doch eine andere Religion, die gehören nicht in unseren Stall. Wenn man später sagen wird, es sind heilige Könige, das ist doch nur, um den ganzen Skandal zu vertuschen.
O: Ochse, was redest du da. Keine Christen! War das Jesuskind denn ein Christ? Waren Maria und Josef denn welche? Als Jesus zur Welt kam, da gab es noch gar keine Christen. Außerdem bringen sie Geschenke mit, Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Also gut, alter Esel. Lass sie bleiben. Vorausgesetzt sie arbeiten. Und nehmen keinem Arbeit weg. Gerade fällt mir ein, dass dieser König ja doch ein Erlöser für alle Menschen werden soll. Aber was ist denn das für Gesindels?
E: Die Hirten meinst du?
O: Nenn sie, wie du willst. Aber sag mir: Haben die keine Wohnung? Und können die sich nichts Anständiges anziehen?
E: Ich fürchte, die haben kein Geld…
O: Dann sollen sie machen, dass sie fortkommen. So ein Weihnachtsgottesdienst ist etwas für anständige Leute. Nicht für Assoziale.
E: Die wollen doch nur das Kind anbeten…
O: Geh fort, schnorren wollen die, mehr nicht.
E: Aber Ochse, die Heilige Familie – die ist doch auch wohnsitzlos, die haben doch nichts, um ihr Kind in ein warmes Bett zu legen – sollen die jetzt auch gehen?
O: Du hast recht, alter Esel. Lass sie bleiben. Lass die Hirten bleiben und diese „Weisen“ auch. Wenn wir sie wegschicken, geht das Kind am Ende auch noch weg. Denn der war auch so einer. –
Jetzt sag den Leuten doch noch, alter Esel, wo wir herkommen. Denn aus der Weihnachtsgeschichte kommen wir ja ursprünglich nicht.
E: Auf der Suche nach der Krippe unseres Herrn sind wir weit hergekommen. Wir kommen aus dem Alten Testament, aus den ersten Versen des Jesajabuches. Da steht geschrieben: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.“ Der Name „Israel“ steht nach einer alten Auslegungstradition für „die Kirche“. „Gottes Volk“ heißt “unser Volk“. Darum kam ein Maler auf die Idee: Er malte uns hinein in den Stall als die, die ihren Herrn kennen, auch dann, wenn Kirche und Volk ihn nicht erkennen. So sind wir zur Krippe gekommen. Maler und Bildhauer haben uns hier Asyl gegeben, und so ist es geblieben bis zum heutigen Tag.