Vorankommen

Diese Geschichte habe ich vor vielen Jahren entwickelt, als ich frustriert war, dass ein Projekt sich nicht voran, sondern, wie es schien, sogar rückwärts entwickelte. Das lag wohl daran, dass ich vor lauter anderen Beschäftigungen nicht die Zeit und Energie fand, daran konsequent zu arbeiten. Aber je mehr das Projekt vor sich hin stagnierte, desto geringer wurde auch die Motivation, einen neuen Anfang zu machen. Schließlich nahm ich mir vor, nur noch wenig an dem Projekt zu arbeiten, und dabei nur eine einzige kleine Regel streng zu beachten…

Ein Lachs war auf der Reise. Immer stromaufwärts ging sein Weg. Stromschnelle um Stromschnelle hatte er schon überwunden, Stein um Stein übersprungen. Sogar einige Wasserfälle hatte er mit Kraft und Geschick bewältigt. „Jetzt ist es nicht mehr lang“, sagte der Lachs schließlich zu sich selbst. „Ich erinnere mich an diese Stelle noch genau. Auf meinem Hinweg bin ich hier am ersten Abend gleich vorbei gekommen. Ich bin nun groß und stark geworden. In wenigen Stunden sollte ich am Ziel meiner Reise sein.“ Der Lachs vergrößerte noch einmal seine Anstrengungen. Schnell, noch schneller wollte er vorankommen. Doch die Strömung wurde immer stärker. War ihm der Weg flussabwärts kinderleicht gefallen, so schien der Rückweg nun die reinste Qual zu sein. Manchmal war er zu müde, um zu schwimmen, oft fehlte ihm die Konzentration für einen gezielten Sprung, mehrmals galt es die Angeln und Reusen der Lachsfischer zu umschwimmen und einmal gar musste er der Tatze eines hungrigen Bären ausweichen. Immer wieder hielt er jetzt inne, um Kraft zu schöpfen. Der Fluss aber strömte unentwegt zum Meer. Am Abend schließlich stellte der Lachs fest, dass er nicht vorangekommen, sondern sogar noch zurückgetrieben worden war. Traurig und enttäuscht suchte er sich eine geschützte Stelle zwischen zwei Felsblöcken am Ufer. Er dachte nach. „Es muss möglich sein, das Ziel zu erreichen. Andere haben es schließlich vor mir geschafft. Aber wie?“ Da hatte der kluge Fisch eine Idee. „Ich will nicht mehr versuchen, möglichst schnell dort anzukommen, sondern nur noch, überhaupt voran zu kommen. Alles, was ich also jetzt von mir verlange, ist dies: Ich will jetzt jeden Abend etwas näher am Ziel sein als morgens, das aber Tag für Tag. Irgendwann bin ich am Ziel! Wenn ich nur bis zum Abend jedes Mal ein Stück vorankomme, so soll die allerkleinste Strecke mir genügen – und sei es nur einen halben Zoll.“ Von da an fasste der Lachs neuen Mut. An manchen Tagen kam er kaum voran, doch meistens kam er sehr viel weiter, als er erwartete, und wenn es manchmal nicht so war, erinnerte er sich an seinen Vorsatz und war zufrieden. Nach ein paar Wochen hatte er sein Ziel erreicht, einen See nahe der Quelle, wo jener Fluss entsprang. Der Lachs schaute sich um. Noch hatten nur wenige andere Lachse diesen Ort erreicht. Die meisten versuchten noch, in ganz besonders kurzer Zeit am Ziel zu sein.

4 Gedanken zu „Vorankommen

  1. Hallo Stefan, als ich so in der Sonne beim Schreiben saß, nahm ich ihn intensivst wahr, den Lachs. Eigentlich wollte ich ihn gegen einen Fahrradfahrer tauschen, aber das ging nicht. Wasser ist mein Element.

    Herzensprojekt
    Wenn ich im Fluss bin und das Glück habe, ein Ziel zu erkennen, erinnere ich mich gerne des leichten Weges hinter mir ohne Ziel.
    Dann sehe ich den Lachs, wie er mit Jauchzern durch die Gischtspritzer springt oder über glatte Steine mit in der Sonne silbern glänzendem Bauch abwärts rutscht. Im seichten warmen Wasser ruht er, um die lebendige Energie mitzunehmen auf seinem Weg. Dieses Wissen läßt ihn auf dem Rückweg den Fluß beobachten, die ruhigen Stellen erahnen, um sie zum Kräfte sammeln zu nutzen oder einen müheloseren Weg zu finden. Zwischen den bemoost glitschigen Steinen findet er die sonnengewärmen Kuhlen zum Landen, Ruhen oder abstossen für den nächsten Sprung.
    Die Flexibilität, im Seitenarm mal ein Schwätzchen zu halten und von einem großen Felsen genügsam dem Springen der Anderen zuzuschauen läßt ihn sich seinem Ziel nah fühlen, seinem Ziel nah kommen durch das Erkennen eigener Ressourcen.

  2. ich möchte eine kleine geschichte erzählen:

    das herz eines menschen schlug schon viele jahre – tag ein tag aus, in jeder minute, in jeder sekunde – mal schneller, wenn der mensch sich anstrengte, oder aufregte, mal langsamer, wenn der mensch ruhig und ausgeglichen war. es schlug und schlug, tag ein tag aus.
    es war zufrieden mit seiner aufgabe.
    doch eines tages schlich sich klammheimlich ein gedanke, eher noch ein gefühl in es hinein. ein gefühl der eintönigkeit und langeweile. und das herz wurde unzufrieden, dann wurde es wütend, ob seiner eintönigen arbeit und dann wurde es unglücklich. es fragte sich: „wozu soll dies alles gut sein? ich schlage und schlage und schlage bis ans ende meiner tage und dann werde ich aufhören zu schagen und verrotten. wozu schlage ich also? ich werde so oder so irgendwann einmal nicht mehr sein, dann könnte ich ebenso gut sofort aufhören zu schlagen…“
    eine lange zeit erfüllten diese gedanken und gefühe das herz und eines tages beschloss es, dem allen ein ende zu bereiten und es hörte auf zu schlagen…
    stille herrschte in der brust des menschen.
    1 sekunde 2 sekunden 3 sekunden 4 sekunden 5 sekunden 6 sekunden 7 sekunden 8 sekunden 9 sekunden 10 sekunden 11 sekunden 12 sekunden 13 sekunden 14 sekunden 15 sekunden 16 sekunden 17 sekunden
    nach 17 sekunden setzte es wieder ein. es war zu dem entschluss gekommen, verrotten könne es noch immer, wenn seine zeit dafür käme.
    und fortan schlug das herz – tag ein tag aus, in jeder minute in jeder sekunde – mal schneller mal langsamer und war zufrieden.

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