Ein Scheich hatte zwei Söhne. Als er merkte, dass für ihn die Zeit kam, dass er sterben musste, rief er die beiden zu sich. „Ihr wisst, es sind widrige Zeiten. Alles, was ich hatte, haben Hungersnot und Teuerung gefressen. Von meiner ganzen Herde sind mir nur diese zwei Kamelstuten geblieben. Nehmt jeder ein Tier und geht weise damit um, so werdet ihr euer Leben erhalten. Bald darauf starb der Scheich. Der ältere Sohn ging hin, verkaufte die Kamelstute und kaufte eine Hütte dafür. Er besserte das Dach aus, verputzte sie und kaufte Hausrat. Dann machte er sich auf die Suche nach einer gut bezahlten Arbeit. Der jüngere Sohn verhandelte mit einem Kamelzüchter. „Lass dein bestes männliches Tier meine Stute besteigen, in diesem Jahr und in den nächsten sechs Jahren. Du sollst dafür das erste Tier aus ihrem Nachwuchs haben.“ Der Mann war damit einverstanden und der junge Sohn hatte nach einigen Jahren eine stattliche Herde. Er verkaufte einige Tiere, doch stets weniger, als ihm geboren wurden. Nach fünf Jahren kaufte er ein Haus. Nach sieben Jahren heiratete er. Nach acht Jahren stellte er sich einen Stallknecht an. Für die Stellung bewarb sich sein großer Bruder.
Das Kamel“ handelt vom guten Umgang mit knappen oder verletzlichen Ressourcen. Eine Übertragungsmöglichkeit sei hier ausgeführt: Viele Menschen, die fremden oder eigenen Anforderungen nicht genügen, „korrigieren“ das Misslungene sofort verbal, indem sie sich entschuldigen und gute Vorsätze und Versprechungen fürs nächste Mal äußern. Diese verbal erzeugte symbolische Selbstentlastung mindert das Leiden an der Situation solchermaßen, dass dauerhaft nichts geändert wird. Der Vorgang lässt sich beliebig oft wiederholen. Um das Muster zu durchbrechen, müssen die Vorsätze und Entschuldigungen verschwiegen werden, bis an ihre Stelle konkrete Veränderungen getreten sind. Lassen Sie Ihre guten Vorsätze im Stall, bis sie sich ausreichend vermehrt und Nachwuchs hervorgebracht haben!
Geschichte aus: S. Hammel, Handbuch des Therapeutischen Erzählens