Der verstopfte Geysir

Menschen sind seltsame Wesen. Manchmal verhalten sie sich, als wollten sie einen Geysir zubetonieren, damit er nicht mehr ausbricht und seine Wasserfontäne nach oben schickt. Vielleicht wollen sie eine Straße da bauen, wo der Geysir steht, ein Gebäude oder einen Parkplatz. Und das geht wahrscheinlich auch eine Zeitlang gut. Aber unter dem Betonpfropfen herrscht ein enormer Druck, und irgendwann tut es einen sehr großen Knall: Der Korken fliegt nach oben und eine riesige Fontäne steigt zum Himmel, noch viele Male größer als die des Geysirs von früher. Ups, ein Missgeschick! Der Geysir wird wieder verkorkt, noch viel fester als vorher. Und doch, wir ahnen es: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Korken knallt, noch lauter als zuvor. Geysire stören den Betrieb, finden manche und wiederholen das Spiel viele Male. Sie sagen: Der Pfropfen muss noch besser, größer, fester sein! Es braucht eine besondere Technik, ein besonderes Material, einen Spezialisten mit einer besonderen Technik. Wenn aber irgendwann alles nichts hilft, was können die Menschen, die in der Gegend des Geysirs leben, denn dann noch tun? 

Die Metapher erzähle ich Menschen, die unter inneren Zwängen oder Ticstörungen leiden oder körperliche Symptome entwickelt haben, nachdem sie starke Gefühle und Impulse lange Zeit unterdrückt haben. Manchen erkläre ich die Dynamik, die ich hinter ihrem Leiden vermute etwa so: 

Es kann viele verständliche Gründe geben, warum Menschen ihre Gefühle unterdrücken und vor anderen verbergen. Viele Menschen haben erlebt, dass sie, wenn sie als Kind verletzt waren und Angst, Wut oder Traurigkeit gezeigt haben, noch mehr verletzt wurden. Manche durften nicht einmal Freude oder grundlegende Bedürfnisse ausdrücken, ohne fürchten zu müssen, erniedrigt und bestraft zu werden. Es gibt auch einige, die ihre Eltern oder andere Familienangehörige schonen wollten, indem sie ihnen ihre Gefühle nicht zeigten – als ob sie sagen wollten: Euer Leben ist schon schwer genug. Ich möchte euch nicht auch noch mit meinen Bedürfnissen zur Last fallen. Es gibt auch Menschen, die haben erlebt, dass es niemand es zur Kenntnis nahm und es offensichtlich gar niemanden interessierte, wenn sie einsam, wütend oder traurig waren. Wozu soll man noch Gefühle zeigen, wenn sie den anderen Menschen gleichgültig sind. Manche haben es geschafft, ihre Gefühle nicht einmal selbst mehr zu spüren. Sie drücken sie einfach weg. Und doch sind sie da! 

Diese Geschichte stammt von mir, Stefan Hammel, und ist in dem Buch Wie das Nashorn Freiheit fand. 120 Geschichten zu Krise und Entwicklung.“ zu finden. Die Geschichte gehört zum Kapitel “ III Das Ganze: Krisenbewältigung und Entwicklung in einer lokal und global vernetzten Gesellschaft “.

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