Der Blick von der Klippe

Quelle: Pixabay (https://pixabay.com/de/photos/berge-alpen-landschaft-schweiz-5499767/)

Auf einer Wanderung kam ich zu einer Aussichtsplattform. Von einer hohen Klippe bot sich ein atemberaubender Blick in die Ferne. Während ich mich umschaute, hörte ich, wie neben mir zwei Männer ins Gespräch kamen. 

„Ist das nicht eine herrliche Aussicht?“, sagte der eine. 

„Mir macht es eher Angst.“ 

„Ich könnte ewig hier stehen und schauen.“ 

„Ich gehe jetzt mal langsam runter.“ 

„Man kann auch schnell runter“, sagte der eine und deutete auf den Abgrund. 

„Ich nehme den breitesten, flachsten, sichersten Weg, mit dem stabilsten Geländer, der hier zu finden ist. Wenn Sie möchten, können Sie ja die ‚Abkürzung‘ nehmen.“ 

„Ich nehme weder den kurzen noch den langen Weg nach unten. Ich bleibe oben.“ 

Die Geschichte erzähle ich Menschen, die skeptisch sind, ob das Gute, was sie in der Beratung oder Therapie erleben, denn auch hält, oder die auf andere Art Skepsis gegenüber dem Guten anmelden. „Ihre Einwände wollen Sie vor Enttäuschung beschützen“, erkläre ich ihnen. „Um Sie vor Enttäuschung zu bewahren, reden sie das Gut klein. Wer wenig Gutes erwartet, bekommt meistens auch wenig Gutes. Indem sie sie vor akuter Enttäuschung bewahren wollen erzeugen sie aus Versehen eine schleichende, chronische Enttäuschung. Sie brauchen aber gar nicht absteigen, um nicht abzustürzen. Sagen Sie diesen Befürchtungen, Meinungen und Einwänden einen schönen Gruß: Sie können einfach oben bleiben.“ 

Diese Geschichte stammt von Stefan Hammel und ist in dem Buch Wie das Nashorn Freiheit fand. 120 Geschichten zu Krise und Entwicklung.“ zu finden. Die Geschichte gehört zum Kapitel “ I Der Einzelne: Bewältigung individueller Krisen und Entwicklung der Persönlichkeit“.

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