Und weiter geht’s mit der zweiten Folge…
„Zuerst musst du lernen, den Geschichten Ehrfurcht entgegenzubringen“, sagte der Alte einmal. „Nur wer auch erzittern kann vor der Kraft einer Geschichte, dem wird sie ihre Wirkung entfalten. Du musst die Sehnsucht in dir finden nach dem lösenden Wort, nach dem Wort, das befreit, das Türen öffnet und Menschen auf eine Reise schickt. Und du musst schweigen lernen. In dem Augenblick, wenn deine Geschichte die größte Kraft hat, bewegt sie auch den Hörer und dich mit der größten Geschwindigkeit. Dann muss sie enden, damit ihr mit Wucht aus ihr herausgeschleudert werdet auf den Weg, den sie weist. – Das gilt nicht für alle Geschichten…“, fügte er nach einer kurzen Pause leise hinzu.
„Du musst lernen, Kraft zu spüren“, sagte der Alte ein andermal. „Nicht hat ein Satz die gleiche Kraft wie der andere. Meist ist es so: Jedes Wort, was zuviel ist, nimmt der Geschichte die Kraft. Bei denen, die viel reden, ohne viel zu sagen, ist es sogar umgekehrt: Ihre Geschichten rauben den Menschen die Kraft.“
„Es gibt unterschiedliche Kraft“, sagte er wieder ein anderes Mal. „Bedrohende und bestärkende Kraft und Kraft zum Suchen. Die eine ist so gut wie die andere und wie die dritte. Du musst aber wissen, von welcher Kraft die Geschichte ist, die du erzählst.“
All dies hörte der Junge mit Neugier und Verwunderung. Betrübt aber war er, dass ihm der Alte gar keine Geschichten erzählte. Ja, es schien ihm so, als ob sein Meister die Geschichten geradezu von ihm fernhielte und nur immer dann etwas erzählte, wenn er gerade nicht zugegen war. Noch wagte er nicht, den Alten danach zu fragen. Doch mit jedem Tag, der verstrich, wurde die Enttäuschung in ihm größer. Schließlich beschloss er, seinen Meister darauf anzusprechen. Er hatte noch nicht seinen Mund geöffnet, als sein Lehrer zu erzählen begann…
Und morgen geht’s weiter.