Dass Sie jetzt von tiefer Trauer und Unruhe erzählen, scheint mir eher ein gutes Zeichen als ein Grund zur Beunruhigung zu sein. Wenn die Starre sich löst, die Starre der Emotionen oder auch Ihrer Muskeln, ihres Körpergefühls, ihrer Gedanken, dann kommt hervor, was dahinter versteckt lag.
Wenn das Klima sich verändert und das Eis taut, dann kommt zum Vorschein, was darunter liegt. Wie Ötzi, dem Mann aus dem Gletscher. Den hält man ja jetzt weiter tiefgekühlt, damit man an ihm forschen kann. Sonst wäre er ja schon verrottet und verwest, genauso wie die Mäuse und Insekten, die in der Eiszeit in den Gletscher gefallen sind, die sich jetzt auch auflösen dürften, nach so vielen Jahren. Ich meine, irgendwann ist mal genug an ihm geforscht. Dann ist es richtig, dass man ihm das auch erlaubt: Verfallen und zu Kompost werden, wie jeder andere Tote auch. Dann: Ruhe in Frieden, lieber Ötzi.
Die Geschichte kann eingesetzt werden, um Klienten darin zu vergewissern, dass es ein – den Umständen entsprechend „normaler“ – Teil des therapeutischen Prozesses ist, wenn bei der Auflösung einer lang dagewesenen Starre oder Betäubung Erinnerungen aufs früherer Zeit auftauchen und dabei Traurigkeit, Scham, Angst, Wut, Ekel und andere Emotionen spürbar werden. Die Geschichte kann dazu beitragen, die hinzugewonnene emotionale Beweglichkeit als Fortschritt zu erleben, auch wenn zunächst der Schmerz über das Gewesene im Vordergrund stehen mag.
Diese Geschichte stammt von Stefan Hammel