Was ist eigentlich „Hypnosystemische Therapie“?

Heute teile ich mit euch einen Artikel von mir, der im Heft Nr. 60, Ausgabe März 2023 der VPP aktuell, beim Verband Psychologischer Psychotherapeuten im BDP e.V. (VPP), erschien.

Was Systemische Therapie ist, hat sich herumgesprochen:  Die Methode der Paar- und Familientherapie, mit der man auch Einzeltherapie, Mediation und einiges anderes machen kann. Hypnotherapie ist auch klar: Eine Therapieform, die Hypnose oder zumindest das Wissen über die Hypnose nutzt. In letzter Zeit ist aber immer öfter von „Hypnosystemischer Therapie“ zu hören. Was ist das denn nun eigentlich?

Den Begriff „Hypnosystemische Therapie“ (oder „Hypno-Systemische Therapie“) gibt es seit etwa 1980. Eingeführt wurde er von dem Heidelberger Arzt und Volkswirt Gunther Schmidt, der auch als inhaltlicher Begründer der hypnosystemischen Konzepte zu nennen ist. Gemeint ist eine Verschmelzung von Systemischer Therapie und Hypnotherapie in der Tradition Milton Ericksons (zu unterscheiden von dem Entwicklungsforscher Erik Erikson).

Die meisten Konzepte folgen der konstruktivistischen Tradition Paul Watzlawicks. Verwendet werden ganz überwiegend wache, dialogische Gesprächsformate. Hypnotische Erfahrungen werden, wenn überhaupt, am ehesten als „konversationale Trance“ ins Gespräch integriert.

Insgesamt handelt es sich mehr um eine Gruppe eng verwandter Therapieansätze als um ein einheitliches Konzept (und sicher nicht um eine „Schule“). …

Neben Erickson’scher Hypnotherapie und Systemtherapie gibt es ein drittes Element, das die hypnosystemischen Konzepte verbindet: Sie greifen Elemente von Teilearbeit, Strukturaufstellungen und psychodramatischen Konzepten auf, externalisieren und visualisieren also imaginativ erlebbare Figuren als Teilpersönlichkeiten, „Seiten von dir“ oder „Leute, die du sein kannst“ und setzen sie z.T. dann als „inneres Team“, „innere Familie“, „inneres Parlament“ o.Ä. zueinander in Beziehung.

Vielleicht sollte man also „Hypno-Systemisch-Psychodramatische“ Therapie sagen – aber zum einen wäre der Begriff doch sehr sperrig, zum anderen verwendet die Hypnosystemische Therapie neben Rollenmodellen öfter auch Raummodelle wie begehbare Landkarten seelischer und sozialer Gegebenheiten oder Funktionsmodelle wie Metaphern aus Biologie, Mechanik, Computertechnik oder der alltäglichen Haushaltsführung. Konflikte, Traumatisierungen und andere Belastungen von Klienten werden mit ihren Lösungsmöglichkeiten also auch auf nicht-personifizierte Weise betrachtet.

Wahrnehmung und Wahrgebung

Was wir als außerhalb von uns wahrnehmen, kann uns nur deswegen beschäftigen, weil es in uns Repräsentiert ist, und tatsächlich sehen wir nicht das, was außerhalb von uns ist, sondern das, was in uns ist, als Angebot des Organismus, etwas Äußeres abzubilden. Ob und wie an unseren Nervenenden objektiv feststehende Außendaten adäquat in biologische Innendaten konvertiert werden, und was eine adäquate Datenkonversion überhaupt bedeuten würde, darüber lässt sich wenig bis gar nichts sagen. Denn alles, was wir darüber sagen könnten führt in selbstreferentielle Kreisläufe zurück, wie ein Wörterbuch, dessen Wörter sich selbst gegenseitig erklären.

Was wir wahrnehmen, wird von unserem Organismus konstruiert. Einfache, wahrnehmungsnahe Konstrukte wie „Baum“ und „Schneeflocke“ sind meist interindividuell und interkulturell konsensfähig, komplexere wie die Begriffe „Gerechtigkeit“, „psychische Gesundheit“ und „Gott“ eher nicht. Allerdings bilden sich Gesellschaften in Gruppen aus, die als „Kosensusrealität“ gemeinsame Deutungsnetzwerke entwickeln und als unbestreitbar verteidigen. Entsprechend schlägt Schmidt vor, lieber von „Wahrgebung“ als von „Wahrnehmung“ zu sprechen…

Nutze alles – das Prinzip der Utilisation

Gemeinsam mit der klassischen Systemischen Therapie nimmt die Hypnosystemische Therapie an, dass sich Beziehungen in selbststabilisierenden Kreisläufen von Verhalten und Erleben ausbilden, dass sie Muster ausbilden, die tendenziell stabil sind, aber auch verändert werden können. Um leidvoll erlebte Muster zu verändern, scheint es günstig, Systeme eher komplex als punktuell zu stimulieren. Systemisch gesehen kann das bedeuten, mehrere Personen in einer Familie gleichzeitig anzusprechen, hypnotherapeutisch gesehen, heißt es, alles zu alles in den Dienst der Ziele von Klientinnen und Klienten zu stellen, was vom Gegenüber intensiv wahrgenommen, als relevant, plausibel, emotional bedeutsam oder unbestreitbar erlebt wird, kurz, alles, was in seinem Gehirn bereits gut gebahnt ist (Prinzip der Utilisation). Über Körpererfahrungen Imaginationen (etwa die Nutzung von Metaphern, Parabeln und Anekdoten) und bildhaftes Erleben (etwa der Einsatz von Symbolhandlungen und von Gegenständen im Raum) wird das unwillkürliche Erleben von Klientinnen und Klienten angesprochen.

Dissoziation, Assoziation, Transformation

Aus der hypnotherapeutischen Tradition stammt die Unterscheidung von Dissoziation und Assoziation, die für die hypnosystemische Arbeit bedeutsam ist. Der Begriff „Dissoziation“ wird hier nicht als psychopathologisches, sondern als wahrnehmungspsychologisches Konzept verwendet. Was man voneinander und von sich selbst unterscheidet oder in sich aufgliedert, wird „dissoziiert“, was man in seiner Stabilität verstärkt, miteinander und mit sich selbst verbindet, wird „assoziiert“. Unterscheidungen gehören also in den Bereich der Dissoziation, Gleichsetzungen in den der Assoziation. Für die Therapie gilt die Faustregel: „Problem trennen, Lösungen verbinden“. Was in der Sicht von Klientinnen und Klienten problembehaftet ist, wird mit vielfältigen Unterscheidungen versehen: Ein Klient wird nicht als „Allergiker“ bezeichnet, sondern sein Körper (unterschieden von ihm selbst) reagiert womöglich bisher (zeitlich dissoziiert) allergisch.

Was mit einem Lösungs-, Kompetenz- oder Ressourcenerleben assoziierbar ist, wird suggestiv (d.h., angebotsweise) miteinander, mit deren Ich-Erleben, mit deren Überzeugungen davon, was relevant, plausibel, sinn- und bedeutungsvoll ist verknüpft, in einer Weise, so dass das Glaubens- und Wertesystem der Klientinnen und Klienten keinen Anlass bekommt, zu protestieren. Milton Erickson nannte das „establishing of a yes-set“, eine Zustimmungshaltung aufbauen.

Neben den Prinzipien, Dissoziation und Assoziation zu nutzen, wird in der Hypnosystemischen Therapie wie auch schon in der klassischen Hypnotherapie mit einem dritten Prinzip gearbeitet, das ich als Transformation bezeichnen würde. Demnach werden nicht nur problemassoziierte Erlebnisinhalte in sich, voneinander, vom Ich- und Ist-Erleben der Klientinnen und Klienten getrennt oder lösungsassoziierte Inhalte in sich, miteinander, mit ihrem Ich- und Ist-Erleben verbunden, es werden auch problemassoziierte Erlebnisinhalte in fließenden Übergängen im Verlaufe eines Zeitabschnitts in lösungsassoziierte umgewandelt. Das kann in Geschichten geschehen, in deren Dramaturgie Probleme sich in Lösungsaspekte verwandeln oder in Körperübungen, bei denen z.B. Schmerzen in weniger unangenehme Körpergefühle oder Körpersymptome in Emotionen umgewandelt werden.

Beispiele therapeutischer Interventionen

Hypnosystemische Therapie viele Formen annehmen. Innere Figuren (Anteile, etc.) werden meist nicht als objektive Gegebenheiten gesehen, sondern als Bilder, die die verändert werden können und dann andere Reaktionen auslösen als zuvor. So kann etwa das Bild eines untreuen Ehemanns wie übereinanderliegende Overhead-Folien betrachtet werden, die man auseinanderzieht: Der verletzende Ehemann wird vom immer noch geliebten Mann unterschieden, der geliebte Ehemann kann weiter unterschieden werden in den, der Verlustschmerz erzeugt und den, der, der mit Ruhe betrachtet werden kann und als einziger im Raum bleibt. Die resultierenden hilfreichen emotionalen Reaktionen werden oft sehr weitgehend in den Alltag übertragen.

Hypnosystemische Therapie kann als „Therapeutisches Erzählen“ Metaphern anbieten, deren Struktur Parallelen zur erzählten Lebensgeschichte der Klientinnen und Klienten aufweist. Wenn die Metapher bei deren Erleben gut anknüpft und, schlüssig erzählt, zu einem guten Ende führt, werden die vom Protagonisten oder der Protagonistin entdeckten neuen Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten vom Klienten bzw. der Klientin unwillkürlich auf die eigene Zukunftsperspektive übertragen.

Hypnosystemische Therapie kann auch mit Ultrakurzinterventionen wie „Grüßen an die Seele“ operieren, mit der das Unbewusste gebeten wird, bspw. Im Rahmen einer Traumatherapie „alle Emotionen und Körperreaktionen in bemerkenswerter Ruhe und Gelassenheit gut zu regulieren“, um eine mögliche Retraumatisierung im Gespräch weitestgehend auszuschließen.

Mit Seilen und Figuren können auf dem Boden des Therapieraums veränderbaren „Landkarten“ des seelischen und sozialen Erlebens gelegt werden, um beispielsweise die Dynamik einer Sucht zunächst zu verdeutlichen und dann deren Intensität im gemeinsamen Erproben von Wahl- und Handlungsmöglichkeiten des Unbewussten immer weiter zu reduzieren.

Einsatzbereiche

Zur Anwendung kommt die Hypnosystemische Therapie überall da, wo auch Erickson’sche Hypnotherapie oder Systemische Therapie eingesetzt werden können, also in der Kinder- und Erwachsenenpsychotherapie, in der Paar- und Familientherapie, in der Durchführung oder Unterstützung medizinischer Therapien, mit entsprechenden Anpassungen auch in der Sozialarbeit, Heilpädagogik, Seelsorge, Coaching und in verwandten Arbeitsfeldern.

Einsatzmöglichkeiten liegen etwa in der Therapie von Neurodermitis, Allergien, Tinnitus, in der Reduktion chronischer oder akuter Schmerzen, in der Therapie von Trauma, Depression, Angst- und Zwangsstörungen, in der Therapie mit schüchternen oder aggressiven Kindern, in der Trauerarbeit, in der Mediation mit Paaren und Familien, in Teamcoachings und für Einzelpersonen mit Burnout- oder Mobbingerfahrungen.

Hypnosystemische Therapie. Das Handbuch für die Praxis

Stefan Hammel

Hypnosystemische Therapie. Das Handbuch für die Praxis

Stuttgart, Klett-Cotta 2022

ISBN 978-3-608-89198-0

322 Seiten, 35,00 Euro in Deutschland

Stefan Hammels Praxishandbuch „Hypnosystemische Therapie“ ist das erste zusammenhängende Grundlagenwerk zum Thema – immerhin 40 Jahre, nachdem der Begriff „Hypnosystemische Therapie“ von Gunther Schmidt geprägt wurde. Das Buch umfasst auf 322 Seiten einen Überblick über Ursprünge, Grundannahmen und Grundhaltungen der Hypnosystemischen, einen hypnosystemischen Blick auf die Entstehung und Lösung von Belastungen, eine systematische und praxisbezogene Beschreibung hypnosystemischer Anamnese- und Therapiemöglichkeiten sowie Register zu therapeutischen Interventionen, zu Personen, Sachthemen, Ausbildungsmöglichkeiten und Literatur.

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