Sozialgeräusche

Diese Kollegin fragte also, „Gib mir mal eine Geschichte für Leute vom Werksdienst, die genervt sind von Besuchern, die sie beleidigen und beschimpfen, nur weil sie nicht in die gesperrten Bereiche gelassen werden.“ Ich war gerade im Schuhgeschäft, als sie anrief, und ich sagte: „Ich ruf dich gleich zurück…“ Als ich meine Schuhe gekauft hatte, erklärte die Kollegin: „Ich weiß schon, was ich ihnen sage. Ich erzähle ihnen ‚Was man hört‘ (Stefan Hammel, Der Grashalm in der Wüste, S. 29).“ Ich sagte: „Das ist gut. Ich schlage dir noch Folgendes vor. Erzähle den Leuten vom Werksdienst, dass es in der Natur ja vielfältige interessante Geräusche gibt, zum Beispiel das Schnauben von Wasserbüffeln an einem Flussufer, das Grunzen von Warzenschweinen, die an einem Gestrüpp reiben, aber auch das Tosen eines Wasserfalls und das ungeheure Geräusch einer Lawine, die sich im Hochgebirge von einem Berghang löst. Auch in einer städtisch geprägten Welt gibt es Geräusche: Verkehrslärm, Baustellnlärm, das Hintergrundgedudel im Kaufhaus und das vermischte Geplaudere in einem Biergarten. Frage die Leute vom Werksschutz, als was sie sich das Poltern ungehaltener Besucher gerne vorstellen möchten. Sprich mit ihnen eine Weile darüber. Erkläre ihnen die ungehaltenen Worte der Besucher als „Sozialgeräusche“. Sie sind inhaltslos, und haben nur die Funktion der Kontaktaufnahme. Rede eine Weile über die Sozialgeräusche der Wasserbüffel und der Warzenschweine, und verwende viele Male mit leichtem Nachdruck in der Stimme dieses Wort „Sozialgeräusche“. Wann immer nun die Leute vom Werksschutz von Besuchern angepöbelt werden, werden sie sich Wasserbüffel vorstellen – oder Verkehrslärm oder eine herabgehende Lawine – und sie werden denken: „Sozialgeräusche, Sozialgeräusche, Sozialgeräusche“.

6 Gedanken zu „Sozialgeräusche

  1. Herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Hammel, daß Sie uns immer wieder so freigiebig teilhaben lassen an Ihrem großen Vorrat an Metaphern und Geschichten.
    Mit kollegialen Grüßen
    E.S.

  2. Hallo Herr Hammel, habe gerade über viele Links zu dieser Geschichte gefunden und eine spontane Idee für einen jungen Pat. mit einer Impuls-Kontroll-Problematik, die im sozialen Umfeld häufig zu Schwierigkeiten führt (z.B. beim Angepöbelt werden) entwickelt…. Mehr innere und dann auch äußere Distanz zu bekommen, die „Sozialgeräusche“ einfach vorbeirauschen zu lassen…
    Mit immer wieder neugierigen Grüßen Ch. S-w

  3. Lieber Herr Hammel, ich habe sie auf der Tagung der DRV letztes Jahr in Bad Neuenahr kennengelernt (ich hatte bischen Bauchweh und Sie haben die in einer Übung „weggezaubert“…war Demonstrationsobjekt) und jetzt erst verstanden und ausprobiert, was für einen Schatz Sie uns da gegeben haben. Vielen herzlichen Dank!! Ich bin dabei, die Geschichten nach Kräften bei meinen Kollegen zu verbreiten. Alles Gute für Sie…
    Mit herzlichen Grüßen
    Constanze Trilk
    (Psychologische Psychotherapeutin)

  4. Liebe Frau Trilk,
    dass freut mich von ganzem Herzen! Danke für Ihren Dank… das ist ja nun schon ein Jahr her… wie kamen Sie denn JETZT zu der Entdeckung?
    Viele Grüße,
    Stefan Hammel

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