Ein befreundeter Arzt hat mich eben angerufen und gefragt:
„Ich habe einen Patienten, dem muss ich eine Spritze in eine Narbe geben, aber es tut ihm so schrecklich weh. Das Ziel ist, die Narbe wieder geschmeidig und schmerzfrei zu kriegen. Narkotika möchte ich ihm aus verschiedenen Gründen nicht geben. Hast du eine Idee?“ Ich ließ mir von seinen Hobbies und Interessen erzählen. „Er ißt gerne, außerdem hat er sich selbst einen Bogen angefertigt, er ist Bogenschütze.“
„Frag ihn, ob er gerne Pizza ißt“, sagte ich, „und andernfalls frag ihn nach Quiche Lorraine, Flammkuchen oder amerikanischen Pie. Irgendwas zum Ausrollen halt. Lass ihn sich vorstellen, wie das duftet, und lass ihn den Geruch tief und genüsslich einatmen. Dann hat er eine Art zu atmen, die mit Schmerzen nicht vereinbar ist. Außerdem fokussiert er dann auf eine optische, geruchliche und geschmackliche Halluzination, so dass er das Kinästhetische ausblendet. Während er damit beschäftigt ist, kannst du ihm erzählen, wie man den Teig ausrollt. Manchmal hat er nicht die passende Form, die er für das Blech braucht. Dann setzt man am Rand ein Stück dran. Beim Pie macht man das so: Man besprenkelt die Nahtstelle mit kaltem Wasser, am besten Eiswasser. Dann glättet man die Verbindungsstelle mit einem Nudelholz, bis es ganz glatt und geschmeidig ist. Da ist dann nicht einmal mehr eine Naht zu sehen. Es ist ein Stück geworden. Du kannst auch erzählen, wie ihr als Kinder Knetmasse geformt habt, oder wie ein Töpfer aus lauter runden Tonwürsten, die er miteinander verstreicht, ein Gefäß macht, das dann aus einem Stück besteht. Auch die Töpfer verwenden übrigens kühles Wasser.“
„Der Mann hat auch ein Problem, dass er einen Finger nicht mehr richtig bewegen kann. Dafür wäre doch die Sache mit dem Bogen gut. So ein gut gemachter Bogen ist ja extrem biegsam“, sagte der Freund.
„Ja, und wenn du mit ihm darüber sprichst, wie er als Bogenschütze sein Auge auf das Ziel richtet, es genau in den Blick nimmt, noch ein winzig kleines bisschen schwankt und dann genau im richtigen Augenblick den Pfeil loslässt, dann ist er so extrem auf einen kleinen Punkt ausgerichtet, dass er alles andere ausgeblendet hat – von der Narbe ganz zu schweigen.“
Diese Geschichte stammt aus meinem Buch Handbuch der therapeutischen Utilisation. Vom Nutzen des Unnützen in Psychotherapie, Kinder- und Familientherapie, Heilkunde und Beratung, Kapitel 2.1 „somatisch assozierte Symptome“, Schmerzen und Missempfindungen.
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Liebe Grüße,
Stefan