Der Floh im Ohr

Eine Frau kam zu mir wegen Migräne, die sie seit fünfzehn Jahren plagte und die in den letzten Jahren häufiger geworden war. Die Schmerzen träten etwa zweimal monatlich auf für drei bis fünf Tage auf und stünden in einer zeitlichen Relation zu ihrer Periode. In dieser Zeit müsse sie sich etwa 30mal am Tag übergeben und sei ans Bett gebunden. Sie müsse sich von der Arbeit abmelden und brauche Ruhe von der Familie. Die Frau machte mir den Eindruck eines Menschen, der viel von sich abverlangt, sehr streng mit sich selbst ist und ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle hat.

Aus einem Apothekenschaufenster hatte ich einen riesigen Plastik-Menschenfloh, der an einer Spiralfeder befestigt war und so zum Hüpfen gebracht werden konnte. Ich ließ diesen Floh vor der Frau als eine Art Hypnotiseurspendel auf- und abschwingen und hielt ihr einen Vortrag über Flöhe, Läuse und Parasiten. Nach und nach entwickelte sie eine schöne Trance. Es ergab sich der folgende Dialog.

„Ich nehme nicht an, dass es Sie irgendwo juckt, oder?“ fragte ich. „Am Ohr“, sagte die Frau. „Sie können sich, wenn Sie möchten, eine lindernde Salbe vorstellen, die Ihnen das Jucken nimmt und Wohlbefinden verbreitet.“ „Das möchte ich aber gar nicht.“ „Möchten Sie lieber dieses Jucken an Stelle der Migräne?“ „Ich möchte gar keine Migräne.“ „Das möchte ich aber nicht. Ich möchte, dass Sie ein minimales Signal behalten, das Sie daran erinnert, wann es Zeit ist, aufzuhören, zu arbeiten. Also: Möchten Sie lieber dieses Jucken anstelle der Migräne oder lieber eine Migräne mit der Intensität dieses Juckens?“ „Das wäre schön.“ „So etwas in dieser Intensität ist also schön. Es ist aber wichtig, dass Sie das dann auch als eine vollwertige Migräne behandeln. Sie müssen sich krank melden und ins Bett legen.“ „Wenn ich aber doch gar nicht krank bin?“ „Dann tun Sie eben so als ob. Besser so tun als ob, als eine Migräne der bisherigen Art.“ „Ist das denn erlaubt?“ „Es ist besser, als wenn Sie dafür richtig krank sein müssen. Und mir ist es wichtig, dass Sie dieses Jucken oder den Schmerz in der Intensität dieses Juckens dann auch wahrnehmen und darauf reagieren. Wenn Sie nicht darauf reagieren, muss Ihr Körper Ihnen wieder einen stärkeren Schmerz und womöglich eine Migräne wie vorher zumuten.“ „Oh, sagen Sie das nicht!“ „Sie können ja flexibel darauf reagieren, und ihr Unbewusstes kann Ihnen flexibel so viel oder wenig Schmerz geben, wie Sie brauchen, um auf das Signal zu reagieren. Es kann den Schmerz für Sie stufenlos einstellen. Wenn Sie nur wenig brauchen – umso besser für Sie.“

Die Frau rief mich neulich, einen Monat nach dem Gespräch, an und teilte mir mit, ihr gehe es wesentlich besser. Die Migräne sei ganz weg, sie habe nur noch Kopfschmerzen. Sie habe keine Übelkeit mehr und brauche nicht mehr im Bett zu liegen. Die Kopfschmerzen könne sie ertragen, sie lenke sich davon mit Haushaltsarbeiten ab.

Alles abgeben

Eben hatte ich eine Frau in Therapie, die mir viel Kummer erzählt hat. Am Ende der Stunde habe ich ihr Fred, das Mülleimermonster gezeigt und gesagt: „Das ist Fred. Er frißt alles, was meine Klienten nicht mehr wollen. Wenn Sie ihm Angst, Ärger, körperliche Schmerzen oder sonst etwas geben möchten, tun sie das!“  Sie hat sich gefreut und hat ihm mit ihren Händen förmlich das Maul vollgestopft. Sie wollte noch die Toilette benutzen, und ich sagte zu ihr: „Den Rest, der Sie stört, lassen Sie bitte dort.“ Ich wartete, um sie noch zur Tür zu geleiten und schaute hinaus in den Regen. „Ich habe alles dortgelassen“, verkündete sie beim Herauskommen. „Wenn Sie noch irgendetwas finden sollten“, antwortete ich, dann erlauben Sie dem Regen, es von Ihnen abzuwaschen“. „Das mache ich“, sagte sie. Sie sah sehr glücklich aus.

Aktuelle Seminare

Von Mittwoch bis Freitag halte ich auf Burg Fürsteneck bei Fulda (Hessen) das Seminar:

Wenn die Bilder laufen lernen – Hypnosystemische Metaphernarbeit, oder: „Das Leben als Film. Wie innere Bilder uns bestimmen – und wir sie.“ Das Seminar ist Teil der Systemischen Coaching-Intensivausbildung, die ich gemeinsam mit der Akademie Burg Fürsteneck und dem Institut für Systemische Beratung (ISB) Mainz durchführe.

Am Wochenende halte ich das dritte Seminar der Ausbildungsreihe „Hypnotherapie nach Milton Erickson“ in Otterberg. Dieses Mal haben wir zwei Live-Therapien mit Probanden zum Thema Migräne und zu Prüfungsangst. Letztes Mal hatten wir jeweils anderthalb Stunden mit Probanden zu Rauchentwöhnung und zu Gedächtnistraining. Man kann also sehr praktisch sehen und anschließend auswerten, wie Therapie mit Hypnose funktioniert. Der Grundkurs dauert 25 Tage und ist ausgesprochen übungsorientiert. Meines Wissens ist es in Deutschland die einzige Hypnotherapieausbildung im Bereich von Hypnosystemik bzw. Erickson’scher Hypnose, die für Angehörige aller heilenden, pflegenden und beratenden Berufe offen ist.

Weitere Seminare halte ich beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg (Gunther Schmidt), beim ICHP in Mannheim (Institute of Clinical Hypnotherapy and Psychotherapy) sowie im Raum Bad Kreuznach und Bingen. Das Letztgenannte sind Seminare für Ärzte, die ich gemeinsam mit einem Arzt (Eugen Schippers) und einem Steuerberater und Betriebswirt (Patrick Weber) halte zur Frage: Wie gründe ich eine Privatpraxis?

Wer neugierig ist, schreibt mir am besten unter stefan.hammel@hsb-westpfalz.de.

Das gute Gel

Ein befreundeter Arzt hat mir erzählt:

„Früher hielt ich nichts von Placebos – bis ich in meiner Praxis einer Patientin ein Schmerzmittel geben wollte und kurz den Raum verließ, um es zu holen. Als ich zurückkehrte, war die Frau ohne Medikament verschwunden. Wochen später kam sie wieder: ‚Könnte ich noch einmal etwas von diesem fantastischen Gel haben?‘ bat sie mich. ‚Was hat sie denn damals mitgenommen?‘, fragte ich die Arzthelferin. ‚Die Kontaktflüssigkeit fürs EKG‘. ‚Dann gib ihr davon etwas mit.'“

Gedachte Präparate

„Manchmal kommt es vor“, erzählte ein Arzt, „dass ich einem Patienten ein Medikament, das er braucht, nicht geben kann, weil es zu teuer ist oder zu schwer zu beschaffen.  Wie, bitte, kommt man an ein homöopathisches Präparat aus Löwenmilch? In solchen Fällen lasse ich manchmal den Patienten den Namen des Mittels auf einen Zettel schreiben und verschreibe ihm, den Zettel einmal gründlich zu betrachten.  Natürlich kann ich einen solchen Vorschlag nur Patienten machen, die für etwas so „Verrücktes“ aufgeschlossen sind. Das Seltsame ist: Bei denen, die den Rat befolgen, bewirkt oft der Zettel dasselbe wie das Medikament.“

Eine Krankenschwester, die den Arzt reden hörte, lachte darüber. Sie hatte jahrelang auf einer Intensivstation gearbeitet und manchem Patienten in einer kritischen Situation durch die schnelle Gabe eines Medikamentes das Leben gerettet.  Wie wäre es wohl gewesen, ihnen einen Zettel auszuhändigen mit dem Namen ihrer Medizin?

Es geschah einige Tage nach diesem Gespräch: Am Morgen erwachte sie mit Kopfschmerzen. Sie wusste, es war nichts Ernsthaftes, nur dieser längst vertraute Schmerz, der nichts als sich selbst bedeutete. Sie wusste auch, sie hatte keine Kopfschmerztabletten im Haus. Nun stellte sie in Gedanken ein Glas Wasser neben das Bett. Sie malte sich aus, wie sie die Tablette hineinwarf und diese sich sprudelnd auflöste.  Sie stellte sich vor, wie sie das Glas in langsamen Schlücken leerte, wie das Wasser von ihrem Körper aufgenommen würde und wie das Medikament begann, seine Wirkung zu entfalten. Für ein paar Minuten schlief sie ein, dann erwachte sie wieder, stand auf und fuhr zur Arbeit. Alles verlief wie gewohnt. Als sie spät abends auf ihren Tag zurückschaute, fiel ihr auf, dass diese Schmerzen in den Minuten nach der gedachten Einnahme des Medikaments verschwunden waren und sie sie vollständig vergessen hatte.

Diese Begebenheiten haben sich in meinem Freundeskreis abgespielt. Es sei jedem überlassen, sich seinen eigenen Reim darauf zu machen.

Weihnachtsglöckchen

Heute habe ich von einem Haken an der Decke ein Weihnachtsglöckchen entfernt. Das Stück hatte sich in meinen Augen so der Umgebung angepasst, dass ich es all die Monate gar nicht mehr bemerkt hatte. Ich hatte es einfach nicht mehr wahrgenommen. Das letzte Stück Weihnachtsdekoration – ist es wirklich das letzte Stück?

Weniger und weniger

Eine Frau, die vorhin bei mir war, bekam plötzlich starke Kopfschmerzen. Sie erklärte, das rühre von einem Bandscheibenvorfall. Ihr Gesicht war verzerrt, es war deutlich, dass sie sich kaum mehr auf etwas anderes konzentrieren konnte als auf den Schmerz. Ich sagte zu ihr: „Das tut weh, nicht wahr? Sauweh! Richtig sauweh tut das, und Sie wünschen sich, dass es bald weniger wird, in drei Minuten vielleicht weniger wird oder in zwei Minuten weniger wird oder dass es in einer Minute weniger wird oder in einer halben, oder vielleicht sogar noch schneller. Was meinen Sie, wann wird die Unannehmlichkeit weniger sein?“ „Es ist schon viel weniger“, antwortete sie.

Diese Methode für eine schnelle Anästhesie stammt von dem amerikanischen Hypnotherapeuten Milton Erickson. Bei starken Schmerzen ist es wichtig, zunächst bei der Wahrnehmung des Schmerzes anzuknüpfen (Pacing: Dem Symptomerleben folgen), bevor man ihn durch das Reden von „weniger und weniger“ reduziert (Leading: Zur Lösung führen).

Von Schmerzen und Läusen

Ich wartete im Sprechzimmer auf den Arzt. Ich überlegte, wie ich mich von dem bevorstehenden Eingriff ablenken und meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten wollte. Der Arzt kam herein, begrüßte mich und begann seine Arbeit. „Tut’s weh?“, fragte er. Mir schien, eine ähnliche, nur angenehmere Wirkung hätte er erzielt, wenn er gesagt hätte: „Die Patientin vor Ihnen hatte Läuse. Ich hoffe, Sie juckt’s nicht irgendwo, oder?“

Von Oase zu Oase

Wenn die Beduinen auf ihren Kamelen von Oase zu Oase ziehen, dann freuen sie sich beim Aufbruch von einem grünen Ort schon auf die Ankunft beim nächsten grünen Flecken. Ein europäischer Reisender wurde einmal an einem Treffpunkt zwischen zwei Oasen zu ihnen gebracht. Er reiste einige Tage mit ihnen. Der Europäer ritt von Wüste zu Wüste und durchquerte auf dem Weg gelegentlich eine Oase. Ihn begleiteten die Sehnsucht nach Schatten und Wasser. Er bewunderte die Beduinen. Sie reiten von Oase zu Oase. Gelassenheit zeichnet sie aus. Die Freude auf die nächste Oase ist ihre stete Begleiterin auf dem Weg durch die Wüste.

Der Nagel

Als der Umzug bewältigt ist, schaue ich noch einmal zum Abschied durch all die leeren Räume. Im Schlafzimmer bleibe ich stehen und stutze. Da, wo vorher das Kopfende des Bettes gewesen ist, da starrt mich tatsächlich aus der Wand ein Nagel an. So will ich die Wohnung nicht übergeben. Den Nagel will ich schon entfernen. Doch die Wohnung ist leer, und ich habe keine Zange zur Hand. Ich gehe hin und ziehe an dem Nagel. Nichts geschieht. Ich rüttele daran. Nichts geschieht. Wirklich gar nichts? Zumindest scheinbar nichts. In meinem Kopf nämlich geschieht etwas: Ich beginne darüber nachzudenken, wie lange ich an diesem Nagel würde rütteln müssen, bis er, anstatt nach vorne, sich immerhin seitwärts bewegen würde. Tage, Monate, Jahre? So lange nicht! Ich tue nun so, als ob ich diesen Nagel seitlich bewegte, hin und her, hin und her. Ich brauche eine ganze Weile, eine Viertelstunde ungefähr. Dann meine ich eine kleine seitliche Veränderung wahrzunehmen. Nach einer weiteren Viertelstunde des seitlichen Bewegens bewegt sich der Nagel ganz deutlich zur Seite. Nach einer weiteren Viertelstunde macht er seinen ersten kleinen Ruck nach vorne. Nach einer Stunde habe ich ihn in der Hand. Er ist draußen. Ich nehme Spachtelmasse und verschließe das Loch.

Die Geschichte erzähle ich, um langjährige chronische körperliche, seelische oder soziale Symptome anzulösen. Sie dient dazu, selbst Nicht-Veränderung bzw. mikroskopische, noch nicht wahrnehmbare Verändrungen als den Beginn einer größeren Veränderung plausibel zu machen, die Zähigkeit der Klienten im Trainieren und Erhoffen von Veränderung zu erhöhen. Die Geschichte ist beispielsweise nützlich in der Schlaganfalltherapie und in der Therapie von Migräne.