Lesenswert: Hundert chassidische Geschichten

Das Buch von Martin Buber ist ein Kleinod. Deswegen stelle ich es als erstes in dieser Serie von Buchtipps zu Geschichtensammlungen vor. Die Geschichten, die Buber aus der jüdischen Tradition erzählt, sind ganz kurz. Viele davon lassen sich in Beratungen und alltäglichen Situationen gut nacherzählen und sind voller Witz, Geist und Überraschungsmomente!

Bekannt ist die Erzählung „wie Sussja starb“:

Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: „In der kommenden Welt muss ich nicht verantworten, dass ich nicht Mose gewesen bin; ich muss verantworten, dass ich nicht Sussja gewesen bin.“ (S. 26)

Oft geht es darum, in scheinbar aussichtslosen Situationen, die Hoffnung zu bewahren, Lösungen und Auswege zu finden. In dem Buch finden sich viele Neudeutungen (Reframings) belastender Situationen. Vor allem lehrt das Buch, die Welt, die Menschen und alle Kreaturen zu lieben:

Wenn Rabbi Wolff zu Wagen fuhr, erlaubte er nicht, die Pferde zu schlagen. „Nicht einmal zu schelten brauchst du sie“, belehrte er den Fuhrmann, „wenn du sie nur anzureden verstehst“. (S. 72)

Ein wunderschönes Buch – auch als Geschenk sehr geeignet!

Und wenn Sie wissen möchten, was „chassidisch“ ist, schauen Sie sich rechts unter „Seiten“ die Fußnote an!

Martin Buber, Hundert chassidische Geschichten
Zürich (Manesse) 2003

Der Geschichtenerzähler (V)

Und Folge fünf…

Eines Morgens sagte der alte Geschichtenerzähler zu seinem Schüler: „Wie du gehört hast, wird heute der König in unserer Stadt zu Gast sein. Ich habe einen Brief erhalten, dass er von meiner Kunst erfahren habe und nun auch selbst eine Probe derselben hören will. Der König ist in großer Sorge, denn der Herrscher eines Nachbarlandes fordert von ihm eine persönliche Entschuldigung für ein paar Grobheiten, die er in Wahrheit nie begangen hat. Unser König kann diese Entschuldigung nicht aussprechen, ohne sich vor unserem Volk und allen Nachbarvölkern zu entblößen. Wird er sich aber nicht entschuldigen, so droht jener andere Herrscher mit seiner starken Armee unser Land zu verheeren. Was soll unser König nun tun? Weiterlesen

Eine Armee für den Frieden!

Eine Armee für den Frieden!

Finden Sie auch, dass es zu viele unglückliche Menschen gibt in der Welt? Dann möchte ich Ihnen dazu gerne eine Geschichte erzählen.In London lebte im vorletzten Jahrhundert ein Mann, der hatte eine besondere Eigenschaft. Er konnte es nicht ertragen, Menschen im Elend zu sehen. Das wäre vielleicht nicht der Rede wert, denn das behaupten auch heute noch viele Menschen von sich. Aber dieser Mann hatte noch eine zweite Eigenschaft. Er hat alles getan, was er konnte, um das Elend der ärmsten Menschen zu lindern. Er hat zusammen mit seinen Freunden und späteren Mitkämpfern Hunderttausenden geholfen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Weiterlesen

Der Mistkäfer

Der Mistkäfer

Noch so eine Kindheitserinnerung:

Wenn wir als Kinder mit unseren Eltern spazieren gingen, legte unser Vater uns oft einen blauschwarz schimmernden Mistkäfer in die Hand. „Schließe einmal deine Hand um ihn, und probiere, wie lange er darin bleibt“, sagte er. Wir schlossen dann die Hand, und bald darauf begann der Käfer seiner Arbeit. Mit unwiderstehlicher Kraft drückte scharrte und presste er mit seinen Beinen und mit seinem Körper unsere Finger auseinander. Unnachgiebig arbeitete er sich voran, dem Licht entgegen. Es dauerte nicht lange, bis er der Hand entkommen war.

Ludwig

Ludwig

Es gibt Kindheitserinnerungen, an die ich gerne denke, und die ich in meinem Leben wohl nie vergessen werde. Ich glaube, manchmal hat sich so eine Erinnerung eingeprägt, weil sie auch eine übertragene Bedeutung hat. Es gibt da eine Geschichte, die ich als Kind erlebt habe, die ich depressiv oder zwanghaft reagierenden Menschen erzähle, süchtigen Leuten und solchen, die immer noch das Gleiche tun, obwohl sie schon lange etwas anderes tun möchten. Das ist die Geschichte von Ludwig:

Ich war noch ein Kind. Aber auch, wenn ich älter gewesen wäre, hätte ich nicht sagen können, wie sich der Karpfen seine merkwürdigen Reisen wohl erklärt haben mag. Einige Freunde von mir hatten sich nämlich einen Streich mit ihm erlaubt. Mit einem Netz fischten sie ihn heimlich bei Nacht aus seinem Teich. Kilometerweit trugen sie ihn in einem Eimer durch Wald und Flur. Das Schwimmbad im Garten meiner Eltern sollte sein neues Zuhause werden. Weiterlesen