Ostereier

Wie findet man Ostereier? Und warum suchen manche Menschen und finden nicht? Für den Fall, dass Sie am Suchen und noch nicht am Finden sind, erlauben Sie mir, so gut ich kann, einige Hinweise zu geben. Möglichkeit eins: Sehr kleine Kinder werden keine Ostereier finden, weil sie nicht wissen, was Ostereier sind. Ohne Anleitung losgeschickt, werden sie womöglich mit Pilzen und Grasbüscheln zurückkommen. Möglichkeit zwei: Etwas größere Kinder wissen zwar, wie Ostereier aussehen, begreifen aber noch nicht, wie „Suchen“ eigentlich geht. Es gibt verschiedene Arten zu suchen. Und in dem Fall, dass man selbst ein Osterei ist, Weiterlesen

Lass dich nicht verbaren…

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagte der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Sprache schafft Wirklichkeit, und eine begrenzende Sprache schafft Grenzen für die Wirklichkeit. Sprachgrenzen schaffen Grenzen der Möglichkeiten.

Ein Beispiel ist die Nachsilbe -bar, wie sie in Worten wie „haltbar“, „genießbar“, „versteuerbar“ vorkommt. Die Silbe wird auch gerne auf Menschen angewendet: „Unbelehrbar“, „unheilbar“, nicht therapierbar“, „manipulierbar“, „korrumpierbar“, „nicht beschulbar“, „schwer erziehbar“, „untragbar“, „schwer vermittelbar“.

Das Eigenartige an der Silbe -bar ist, dass sie uns irrtümlich den Eindruck vermittelt, sie sage etwas aus über die Person, von der die Rede ist, also: Wer unbelehrbar sei, lasse sich nicht belehren, wer manipulierbar sei, lasse sich manipulieren, wer schwer erziehbar sei, lasse sich schwer erziehen – es scheint geradezu so, als ob die bar-Worte Eigenschaften der Menschen bezeichneten, von denen sie reden. Dabei bezeichnen sie die Fähigkeiten dessen, der da redet und die Möglichkeiten des Kontextes, in dem er arbeitet.

Wenn ich also sage: „Er ist unbelehrbar“, sage ich in Wirklichkeit nur: „Ich konnte ihn nicht belehren“, und allenfalls: „in diesem Kontext lernt er meiner Ansicht nach nichts“. Sage ich: „Er ist nicht therapierbar“, heißt das: „ich kann ihn nicht therapieren“. Sage ich, jemand sei untragbar, erkläre ich, dass ich oder mein Arbeitskontext ihn nicht mehr ertragen mag. Sage ich, jemand sei schwer vermittelbar, spreche ich wieder nicht über seine, sondern über meine Möglichkeiten. Und sage ich, jemand sei unheilbar krank, so sage ich nur, dass ich oder seine Umgebung den Menschen nicht heilen kann. Ob ein anderer Mensch oder die Heilkunst einer anderen Kultur etwas für denjenigen tun kann, darüber steht mir kein Urteil zu.

Wenn allerdings jemand mir Glauben schenkt, er sei -bar oder nicht -bar, obwohl das bar-sein in Wirklichkeit nicht seine, sondern meine Möglichkeiten beschreibt, dann werden durch seinen Glauben meine Möglichkeiten leicht zu seinen. Das heißt auch, meine Unmöglichkeiten werden zu seinen, und meine Grenzen werden zu den seinen.

Wenn dir also jemand sagen will, du seiest -bar, dann kannst du ihn reden lassen, nur glauben brauchst du ihm nicht. Du weißt, er redet über sich und seine Grenzen, und das sind Angelegenheiten, die gehen dich nichts an.

Das verlorene Gesicht

In Japan lebte einmal ein Mann, dem ist das tatsächlich passiert: Er wachte eines Morgens auf und hatte wirklich und wahrhaftig sein Gesicht verloren! Die Sache war ihm äußerst peinlich. So wie er war, konnte er sich ja unmöglich einem anderen Menschen zeigen. Zuallererst machte er sich also ganz alleine auf die Suche. Er tastete sein Bett ab und den Boden unter dem Bett und schließlich auch den ganzen Raum, in dem er sich befand. Lange versuchte er sich so zu helfen, bis er begriff: Wer sein Gesicht verloren hat, wird es allein kaum wieder finden. Er sieht und hört ja nichts! Wie konnte dieser Mann nun Rettung finden? Es gelang ihm nur mit Hilfe seiner Freunde. Sie suchten für ihn alle Plätze ab und fanden es am Ende tatsächlich. Es war im Bad in seinem Spiegel, wo er es bei einem nächtlichen Gang verloren hatte. Wohl dem, der solche Freunde hat! (S. Hammel, Der Grashalm in der Wüste, S. 95.)

Anstelle eines verlorenen Gesichts erzähle ich dieselbe Geschichte auch mit einem verlorenen Kopf für Leute, die sich fragen: „Wo habe ich den heute meinen Kopf“, für Leute, die etwas „den Kopf gekostet“ hat (vielleicht in Wahrheit aber nur die Arbeitsstelle), die „kopflos“ sind, die vor Liebe oder Schrecken „den Kopf verloren“ haben.