Mit Geschichten durch die Krise – Teil 4: Ein neuer Morgen

Für die, denen es allmählich langt, und für alle, die nach Ostern gerne wieder aus der Krise auftauchen möchten…


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Die Geschichte findet ihr in dem Buch „Wie das Krokodil zum Fliegen kam“ (Reinhardt 2016), von Katharina Lamprecht, Adrian Hürzeler, Martin Niedermann und mir, auf S. 90.

Doktor Dachs

Die folgende Geschichte kann man Kindern mit Spritzen- oder Behandlungsangst erzählen – oder Angst vor der Narkose – oder schüchternen Kindern, denen es schwer fällt, sich einem Therapeuten anzuvertrauen – oder Kindern, die Unruhe, Schmerz und Trauer spüren, wenn sie sich vom Bildschirm wegbewegen – oder Pflegekindern, die Scheu haben, ihren Pflegeeltern erzählen, was sie bei ihren leiblichen Eltern erlebt haben – vielleicht auch einigen Menschen, die schon erwachsen sind?
Der Fuchs hatte sich einen Stachel zugezogen. Tief steckte der in seiner Pfote, und wenn der Fuchs versuchte aufzutreten, dann tat das furchtbar weh. Schon bald lief der Fuchs nur noch auf drei Pfoten. Die vierte hielt er in der Luft, und tatsächlich tat sie so auch nur ganz wenig weh. Praktisch war das natürlich nicht, und Hasen konnte er so auch nicht jagen. Die anderen Tiere schüttelten den Kopf und sagten: „Geh zum Dachs, vielleicht kann der dir helfen.“ Der Dachs war so etwas wie der Arzt der anderen Tiere. Er wusste, was zu tun war, wenn eines krank war oder sich eine Verletzung zugezogen hatte. Der Dachs schaute sich die Pfote des Fuchses genau an und sagte: „Da ist ein Stachel drin. Es hilft nichts, der muss raus.“ Sobald aber der Dachs begann, an dem Stachel zu ziehen, zog der Fuchs die Pfote weg und schrie ganz fürchterlich, denn jetzt begann es erst richtig weh zu tun. „Du tust mir weh!“, sagte der Fuchs. „Ich muss daran ziehen tun, damit der Stachel rauskommt“, sagte der Dachs. „Das kann ganz kurz mal weh tun.“ Die beiden wurden sich nicht einig, und so humpelte der Fuchs noch einige Tage auf drei Beinen durch den Wald und wurde immer hungriger. „Hast du keine andere Idee, wie man das machen kann?“, fragte er den Dachs, als er ihn wiedersah. „Komm mit!“, sagte der, und gemeinsam gingen sie zum Fluss „Halte deine Pfote da hinein. Das Wasser ist so kalt, dass es deine Pfote betäubt. Der Fuchs streckte seine Pfote ins Wasser. „Uuh! Ist das kalt!“ Das war schon sehr unangenehm, aber der Dachs hatte Recht. Nach einer Weile konnte er seine Pfote fast nicht mehr spüren. „Was machst du eigentlich heute abend?“ fragte der Dachs. Der Fuchs überlegte. Währenddessen nahm der Dachs die Pfote, zog an dem Stachel, und: Draußen war er!

Behandlung von Traumata

Am 14.-16. Oktober 2016 findet in Otterberg bei Kaiserslautern das Festival des Therapeutischen Erzählens statt*. Bei dieser Tagung werden 22 Referentinnen und Referenten aus 7 Ländern zeigen, wie Geschichten, Metaphern und erzählende Elemente in der Therapie und Therapie-verwandten Situationen eingesetzt werden können. Ich selbst werde beim Festival etwas zu Geschichten in der Therapie von Depression und Trauma sagen und eine Demonsation zum Therapeutischen Modellieren („Stühlespiel“) machen. Dazu passt ein Filmausschnitt vom vergangenen Januar, wo ich die Entstehung und Wirkung von Traumatisierungen erläutere und die Therapie von Traumata mit Methoden des Therapeutischen Erzählens und des Therapeutischen Modellierens skizziere. Viel Spaß und gute Impulse beim Anschauen!

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* Bis zum 3.9. gilt noch die letzte, verlängerte Frühbucherfrist mit einer Ermäßigung von 15 Euro gegenüber dem Endpreis von 360 Euro.

Seminarvideo: Intervention für fürsorgliche Menschen

Im Oktober beginnt der Abschnitt „Therapeutische Hypnose“ der Ausbildung „Hypnosystemische Therapie“ beim Institut für Hypnosystemische Beratung (hsb) in Kaiserslautern. Hier sind aktuell noch 2-3 Plätze frei. Bei der Seminarreihe geht es nicht nur darum, wie man Hypnose induziert, sondern, wie man mit hypnotischen Sprach- und Verhaltensmustern therapeutisch arbeitet. Dazu gehört auch die Frage, wie wir Verhaltensmuster der Klienten und Ereignisse während der Therapie utilisieren, also nutzbar machen können. Der folgende Film befasst sich damit, wie wir Menschen unterstützen können, denen es wichtig ist, gut zu anderen zu sein und die dabei nicht so gut zu sich selbst sind.

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Die Inselblume (Filmausschnitt)

In diesem Beitrag – ebenfalls von Peter Stimpfle – erzähle ich die Geschichte von der Inselblume. Die Intervention setze ich häufig in der Arbeit mit Trauernden Menschen ein. Sie kann bei jeder Art von Verlust oder Wechsel in eine neue Lebensphase nützlich sein und zuweilen – je nach Situation – auch sterbenden Menschen erzählt werden. Der Film ist auf der Tagung der Milton-Erickson-Gesellschaft 2013 entstanden. Viel Spaß beim Ansc hauen!

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Die Garderobe (Filmausschnitt)

Dieser Film, den mein sehr geschätzer Kollege Peter Stimpfle auf einer Tagung 2013 erstellt hat, war für einige Zeit nicht mehr im Netz zu sehen. Jetzt ist er wieder öffentlich zugänglich. In dem Vortragsausschnitt veranschauliche ich, wie man die Metapher von „Gottes Garderobe“ in der Begegnung mit Sterbenden einsetzen kann. Man kann die Intervention abgewandelt auch gut bei Depression, Burnout, Schlafstörungen oder akuter Traumatisierung verwenden. Viel Spaß beim Ansehen!

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Das Bergdorf

Es ist schon eine Tradition – mit meinen Autorenkollegen Martin Niedermann, Katharina Lamprecht und Adrian Hürzeler treffe ich mich an Ostern auf einer Hütte im Berner Oberland. Wir erzählen uns Geschichten, besprechen unsere Projekte miteinander und schmieden Pläne miteinander, die dann oft tatsächlich wirklichkeit werden – so wie das Buch vom fliegenden Krokodil im vergangenen Jahr oder wie das Therapeutischen Kartenset, das im Herbst erscheint (ebenfalls beim Reinhardt-Verlag unter dem Titel „Wie das Krokodil das Fliegen lernte). Die in vielen Stunden von Martin Niedermann und seinen Helfern wiederaufgebaute Hütte des Gleiswächters – von der vorher nur eine Ruine erhalten geblieben war – bot uns Unterkunft und mir Anlass, die Geschichte vom Bergdorf zu erzählen…

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Psychische Gesundheit

Dieser Tage habe ich in der Psychiatrie ein Zimmer mit zwei älteren Frauen besucht. Die eine hatte zwei Familienangehörige verloren und war danach dem Alkohol verfallen, die andere hatte mit Einsamkeit und depressiven Phasen zu kämpfen. Wir unterhielten uns eine Weile. Dann fragte ich: „Habe ich Ihnen gesagt, dass ich eine ansteckende psychischen Gesundheit habe?“ „Sie haben eine… was?“ „Ich leide unter ansteckender psychischer Gesundheit! Das breitet sich epidemisch aus. Vielleicht sollte ich ein bisschen Abstand halten und auch bald wieder gehen. Leute, die nicht so starke Abwehrkräfte haben, infizieren sich da leicht. Nicht dass Sie sich noch etwas bei mir holen!“ Wir haben noch eine Weile erzählt und uns amüsiert. „Jetzt muss ich los. Nicht, dass ich Sie vielleicht schon angesteckt habe und Sie mir dann die anderen Patienten noch anstecken!“ Sie lachten. Ich fürchte, ich habe nicht genug Abstand gehalten…

Venedig

Auch diese therapeutische Geschichte habe ich von Bettina Betz, danke ganz herzlich und freue mich, dass ich sie mit euch teilen darf!

Venedig ist eine untergehende Stadt, sagt man. Sie ist nicht nah am Wasser sondern im Wasser gebaut. Seit sie existiert glaubt man vorhersagen zu können, wann sie dem Meer zum Opfer fallen wird.

Ich habe gelesen, dass die Gefahr, abzubrennen für Venedig noch größer sei. Die Stadt ist sehr dicht bebaut. Wenn es brennt, ist die Feuerwehr auf die Kanäle angewiesen. Von Zeit zu Zeit werden diese jedoch zu Reinigungszwecken leergepumpt. Wenn das Feuer also an der „falschen Stelle“ ausbricht und der nächstgelegene Kanal gerade trocken liegt, hat die Feuerwehr weder einen direkten Zugang zum brennenden Gebäude noch einen schnellen Zugriff auf Löschwasser.
Wenn man sagt, man liebt Venedig, dann hört man oft: „Ja, das Morbide hat eine starke Anziehungskraft.“ Die Stadt scheint ein Symbol für die Sehnsucht nach dem Tod zu sein. Viele Geschichten und Filme, die den Tod thematisieren, spielen dort. Die Fassaden der Palazzi bröckeln, das Meerwasser schwappt jährlich meterhoch über den Markusplatz, Touristenströme überschwemmen die ganze Stadt, ihre Füße scheinen sie in den Meeresboden stampfen zu wollen.

Für mich ist Venedig ein Symbol der Lebenskunst. Dabei denke ich nicht an seine große Vergangenheit, sondern sehe es, wie es heute ist: In den maroden Fassaden sitzen blankgeputzte Fenster, hinter den Vorhängen blinken Kronleuchter. Die unscheinbaren Häuser um den kleinen zentralen Platz des Ghettos verbergen nach wie vor fünf Synagogen mit prächtiger Ausstattung. Viele Gebäude werden restauriert und gepflegt und zeigen sich in voller Schönheit. Die verschlungenen engen Gassen sind voller Überraschungen. In den Restaurants wird nach allen Regeln der Kunst gekocht. Die „aqua alta“ geht jedes Mal wieder zurück.

Beim letzten Brand des berühmten Theaters „La Fenice“ (es gab unzählige in der Geschichte Venedigs) stand der Wind günstig und Nachbarn riefen rechtzeitig die Feuerwehr. So hatte sie genügend Zeit, zwar nicht das Theater, aber die Stadt vor dem Feuertod zu retten. Der angrenzende Kanal war in dieser Nacht gerade leer.
Vom Himmel her betrachtet sieht die Stadt Venedig aus wie ein Fisch.
Vielleicht ist sie ein Delfin. Wie sonst könnte sie es so lange über Wasser aushalten?

Die Depression austreiben.

Gestern hatte ich einen NATO-Soldaten in Therapie, der bei Kämpfen in Afghanistan traumatisiert wurde. Ich merkte, dass er kaum über das reden konnte, was er erlebt hatte. Sein Denken erstarrte jedesmal, wenn er versuchte, davon zu sprechen. Also fragte ihn  nicht, was ihm passiert war. Ich zeigte ihm verschiedene Stühle und gab jedem Stuhl eine unterschiedliche Bedeutung. Ich setzte alle belasteten und traumatisierten Lebenserfahrungen als Personen aus ihm heraus, auf unterschiedliche Sitzplätze. Ich ließ ihn herausfinden, wie es sich anfühlt, wenn sie draußen sitzen, anstatt in ihm zu sein. Dann bat ich gute Lebensmöglichkeiten, auf anderen Stühlen Platz zu nehmen. Ich ließ ihn ausprobieren, auf welchem Stuhl er sich am wohlsten fühlte und bat sein Unbewusstes, diesen Zustand mit nach Hause zu nehmen. Am Ende der Therapie sagte er: „Endlich jemand, der für mich da ist. Die anderen Therapeuten wollen jedesmal zuerst, dass ich alles erzähle, was mir passiert ist…“

„Therapeutisches Modellieren“ nenne ich das. Es erinnert mich an eine Geschichte, die ich von meiner Schwester Birgit erfahren habe. Ein Ruander sprach mit einem westlichen Autor, Andrew Solomon, über seine Erfahrung mit westlicher Psycholotherapie und Depression. Er sagte:

„Wir hatten viele Probleme mit westlichen Psychotherapeuten, die gleich nach dem Genozid zu uns kamen. Wir mussten einige von ihnen bitten, zu gehen. Sie kamen her, und es gehörte nicht zu ihrer Therapie, draußen in der Sonne zu sein, wo man anfängt, sich besser zu fühlen. Sie hatten keine Musik und keine Trommeln, um dein Blut wieder in Bewegung zu bringen.Sie hatten kein Verständnis dafür, dass alle sich einen Tag frei genommen hatten, damit die ganze Gemeinschaft zusammenkommt, um dich aufzurichten und einandedich zur Freude zurückzubringen. Sie haben zur Kenntnis genommen, dass die Depression etwas ist, was von außen eindringt, was darum auch wieder ausgetrieben werden kann.

Stattdessen holten sie die Leute einzeln in diese schäbigen kleinen Zimmer, ließen sie für eine Stunde dort herumsitzen und redeten mit ihnen über schlimme Dinge, die ihnen passiert waren. Wir mussten einige von ihnen bitten, zu gehen.

(Aus: „The Moth“, Podcast: Notes on an Excorcism“) Den Originaltext auf Englisch findet ihr in meinem englischsprachigen Blog. Zum Verhältnis von Therapeutischem Modellieren und Exorzismus merkt Jean-Otto Domanski an:

„In einem hypnotherapeutischen Deutungsrahmen kann man Besessenheit als das Vorherrschen von leidvollen, unwillkürlichen Prozessen verstehen, und es ergeben sich frappierende Parallelen zwischen den Exorzismen Jesu und der Arbeit mit ungeliebten Seinsweisen von Stefan Hammel im therapeutischen Modellieren… Der Hauptunterschied… besteht neben dem Weltbild in der Form der Kommunikation: Jesus befiehlt autoritativ mit göttlicher Vollmacht, während im therapeutischen Modellieren eingeladen wird, die ungeliebten Seinsweisen auf einen anderen Stuhl zu setzen. Stefan Hammel tut dies jedoch so…, [dass die Klienten] sich dem kaum entziehen können. Insofern könnte man bei Hammel von einer milden Form des Exorzismus sprechen. Zugleich erscheinen die Exorzismen Jesu … als eine Form von autoritativer Hypnose…“

(Domanski, J.-O.: Worte, die wirken. Theorie und Praxis der Hypnotherapie nach Milton H. Erickson mit Blick auf Heilungsgeschichten und Gleichnisse des Neuen Testaments und die kirchliche Praxis. Studienarbeit, Berlin, Ev. Kirchengemeinde Tegel-Süd, 2014)