Die Sache mit dem Daumen

Vor einigen Tagen traf ich in einem Café einen jungen Mann wieder, der zu mir sagte: „Ich bin jetzt vier Wochen ohne Drogen. Ich weiß nicht, was Sie neulich mit mir gemacht haben, aber das hat mir viel gebracht. Ich weiß nicht, was Sie sind. Sie sind ein spezieller Pfarrer…“ „Das weiß ich auch nicht. Aber vergessen Sie nicht Ihr Geheimzeichen!“ sagte ich mit einem Augenzwinkern. Ich stützte den Kopf nachdenklich auf meine locker geschlossene Hand. Er lachte. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen… einen Saft, ein Wasser?“

Ein paar Wochen vorher hatte ich ihn auf einem Psychiatrieflur getroffen. Ich war ihm im Jahr davor schon einmal begegnet. Da hatte er mitten in einer drogeninduzierten Psychose gesteckt und ganz seltsame Dinge von sich gegeben. Das damalige Gespräch findet sich hier im Blog unter dem Titel „Herzstillstand“. Jetzt erzählte er mir: „Ich bin von selbst hier her gekommen, weil ich kurz davor war, wieder Drogen zu nehmen. Ich möchte keine Drogen mehr nehmen. Meinen Sie, dass ich das schaffe?“ „Ich denke schon, dass Sie das schaffen können, sagte ich. „Wann haben Sie denn angefangen, Drogen zu nehmen?“ Weiterlesen

Vom Spinnen des Garns

Bloggen hat ja etwas damit zu tun, Fäden, die zunächst gar nichts miteinander zu tun haben, zu einem Netz zu verspinnen… Geschichtenerzählen auch… Therapie, wie ich meine, auch… Hier ist ein Beitrag, den meine Cousine in ihrem Blog „Kathy’s food trip“ geschrieben hat… vielleicht kommt euch das eine oder andere dain bekannt vor… schaut doch mal rein!

Der Pegasus

Ein Architekt kam in Beratung, weil er sich seit der Trennung von seiner Frau so niedergeschlagen und kraftlos fühlte, dass es ihm nicht mehr gelang, Angebote in angemessener Zeit zu bearbeiten und Aufträge erfolgreich zu Ende zu bringen. Die Arbeit dauerte unverhältnismäßig lang. Er machte sich Vorwürfe wegen seiner uneffektiven Arbeitsweise, die sich neben dem unmittelbaren Zeitverlust auch ungünstig auf die Arbeitshaltung seiner Mitarbeiter und Partner auswirkte.

„Haben Sie Hobbies?“, fragte ich ihn. „Ich habe eine Reitbeteiligung. Aber ich war schon seit über einem halben Jahr nicht mehr bei dem Pferd.“ „Könnten Sie sich vorstellen, das Pferd probeweise einmal wieder zu besuchen und vielleicht sogar einmal auszureiten?“ „Wenn ich bei meiner derzeitigen Arbeitsweise zusätzlich auch noch reiten gehe, dann komme ich zu überhaupt nichts mehr. Ich bin ja jetzt schon so langsam.“ „Da können Sie recht haben. Es könnte aber auch sein: Wenn Sie einen Abend in der Woche für das Pferd verwenden, haben Sie möglicherweise die ganze nächste Woche zehn Prozent mehr Lebensfreude. Das heißt, Sie haben zehn Prozent mehr Energie und können zehn Prozent mehr leisten. Das wäre ein Gewinn von mehr als zwei Stunden Arbeitszeit. Vielleicht ist es ja auch nicht so, aber vielleicht sind es auch zwanzig Prozent. Wer kann das wissen? Vielleicht ist der Versuch eine Experimentierwoche wert? Kann ich Sie einladen, das einmal auszuprobieren?“ Der Mann ließ sich darauf ein.

„Der Wallach hat mich zwar mit dem A… nicht mehr angucken wollen“, berichtete er in der nächsten Sitzung, „aber dann hat er mir vergeben, und wir sind ausgeritten. Ansonsten habe ich zwei wichtige Angebote fertig gemacht und habe insgesamt mehr fertig gebracht als in den ganzen letzten Wochen.“

Aus: Stefan Hammel, Handbuch der therapeutischen Utilisation

Die kleine Quelle

Diese schöne Geschichte stammt von meinem Kollegen Erwin Reichl… ich freue mich, dass ich sie hier veröffentlichen darf!

Es war einmal eine kleine Quelle in einer öden, steinigen Wüste.Sie tat nichts anderes als still und leise vor sich hin zu sprudeln, dies tagein, tagaus,jahrein und jahraus.

Eines Tages dachte die kleine Quelle über sich nach und sagte zu sich: „Eigentlich ist mein Leben ziemlich eintönig. Wenn ich ein Bach wäre, dann könnte ich etwas von der Welt sehen und die trockene Wüste mit meinem Wasser zum Blühen bringen.“

Als die kleine Quelle so ihren Gedanken nachhing, sprudelte sie immer munterer und ihr Tatendrang wurde immer größer. Freunde und Nachbarn bemerkten die Veränderung und wurden neugierig. Zuerst machte ein Sperling, dann eine Schildkröte und zuletzt ein Schakal seine Aufwartung. „Ei, was ist plötzlich los mit dir“, fragten sie neugierig: „Du bist ja so quirlig und aufgeregt.“ „Stimmt; antwortete die kleine Quelle: „Ich habe große Pläne: wenn ich erst einmal ein Bach geworden bin, dann…………..!“

„Dein Plan gefällt uns“, meinten die Tiere, „und wir wollen dir gerne helfen.“ Schon schwirrte der Sperling in die Luft und hielt Ausschau nach einem geeigneten Weg, der Schakal grub mit seinen kräftigen Vorderläufen ein Bachbett und die Schildkröte trug auf ihrem starken Rücken das Geröll weg.

Also machte sich die Quelle auf den Weg und kam recht gut voran. Bald sprossen Gräser aus dem Boden und später gesellten sich auch Blumen dazu. Aus der kleinen Quelle war inzwischen ein munterer Bach geworden, der eine Oase mit frischem Wasser versorgte. Händlerkarawanen und Pilger machen hier Rast, um sich für die Weiterreise zu stärken. An den Lagerfeuern wird noch heute von der kleinen Quelle erzählt, die sich einst so beherzt auf den Weg machte.

Die goldenen Eselsohren

Diese Geschichte stammt von meinem Kollegen Martin Niedermann, der als Geschichtenerzähler, Coach und Heilpädagoge in Bern lebt und arbeitet. Ich freue mich sehr, dass ich sie euch weitergeben darf!

St. Nikolaus ist mit dem Esel unterwegs. Heute geht’s zu den Kindern und der Samichlaus soll nach alter Sitte Braves loben und Böses tadeln. „Das sollte kein Problem sein“, denkt der Samichlaus, „steht alles im goldenen Buch und am Schluss gibt es die Bescherung“.
Bei den Kindern angekommen war es doch nicht mehr so einfach, das goldene Buch war nicht dabei. „Schon wieder etwas vergessen! Es ist zum Bartausraufen“ dachte der Samichlaus. „Ich bin halt alt, vergesslich und zu nichts mehr nütze“.
Das blieb den Kindern nicht verborgen. „Der Samichlaus ist ein Depro!“ meint ein Kind zu den andern, „was hat der uns schon zu sagen.“ „Ein Depro, ein Depro! “ Alle Kinder sangen und tanzten um den Samichlaus.

„Ich werde wohl nie mehr Kinder besuchen, ich bin kein Vorbild, ich bin eine Gefahr und kann ihnen nicht mehr helfen, Gutes und Schlechtes zu unterscheiden, ich geh am besten nach Hause.“

Ja, die trüben Gedanken fanden allmählich den Weg zum Herzen und er tat einen tiefen Seufzer vor lauter Kummer. Gedankenverloren streichelte der Samichlaus seinen lieben Esel. „Was meinst du, treten wir ab und gehen  still und leise nach Hause?“ fragte Samichlaus seinen Esel. Er war so in sein Selbstgespräch versunken, dass er nicht wahrnahm, wie die Kinder stille wurden, und den alten Mann und seinen Esel umringten und ihm bei seinem Gespräch zuhörten.
„Was machst du da“  fragte endlich ein Kind, „du redest mit deinem Esel? Kann der den antworten? “
„Das weiss ich nicht so genau“ erwiderte der Samichlaus nachdenklich, „aber er kann zuhören! Und wie er das kann!!! Schaut doch mal seine grossen Ohren. Ich glaube, er kennt das goldene Buch in – und auswendig! So oft hat er schon hören müssen! Er weiss alles, was ich mühsam aufschreiben muss, um es den Kindern zu erzählen. Probiert’s nur aus: Macht es so wie ich: erzählt, was euch schwerfällt und was euch freut, was ihr gerne anders hättet und mit was ihr zufrieden seid. Ich bin sicher, der Esel versteht euch und lässt es in sein grosses Herz. Ihr könnt sicher sein, der Esel wird schweigen“.
Es bildete sich eine längere Warteschlange vor dem Esel und sie flüsterten ihm leise etwas in die Ohren. Und, so bestätigten hinterher alle Kinder, der Esel hat’s begriffen.
Einige meinten sogar, der Esel habe auch das verstanden, was sie nicht sagen wollten und konnten.
„Ich glaube, so eine schöne Feier habe ich noch nie erlebt. Und, das nächste mal wird das Buch sowieso zuhause blieben“ sinnierte der Samichlaus. „Nur der Esel muss unbedingt mitkommen,“ meinten die Kinder.
„Seltsam,“ dachte der Samichlaus beim Nachhauseweg, „kann es sein, dass die Ohren von meinem Esel ein klein wenig golden schimmern?“

Samichlaus = St. Nikolaus

Die Binsenschmuckzikade

Mein Kollege Adrian Hürzeler bietet im Zürcher Raum Coaching und Achtsamkeitstraining an. Ich habe vor einigen Monaten ein Achtsamkeitstraining mit ihm mitgemacht und es hallt immer noch in mir nach und verfeinert meine Fähigkeiten des Wahrnehmens und Erlebens. Adrian hat mir vor einiger Zeit eine therapeutisch nützliche und, wie ich finde, wunderschöne, Geschichte vorgelesen, die er geschrieben hat. Ich habe ihn gefragt, ob ich die Geschichte mit euch teilen darf und – hier ist sie…

„Vor mehreren Jahren schlüpfte aus einem Ei eine hübsche, lindengrüne Binsenschmuckzikade. Da sich diese Zikade – die übrigens eine ausgezeichnete Meisterin im Sich-tarnen ist und eine wunderbare Sprungkraft besitzt – während ihrem Wachstum optimal auf das harte Leben vorbereiten wollte, stiess sie im Verlaufe der Zeit immer wieder ihre Haut ab. Wurde eine Haut zu eng – denn sie entwickelte sich prächtig und erlernte dabei viele, viele hilfreiche Fähigkeiten – dann entschloss sie sich diese abzustossen und sich wieder eine neue zuzulegen. Inzwischen vermutet die Wissenschaft, dass das Abstossen der Haut auch eine Reinigung von erlittenen Verletzungen und von Krankheiten und Parasiten bedeutet. Jeweils zu Beginn, im Dasein mit dieser neuen Haut, war sie unendlich verletzlich und den Gefahren des täglichen Lebens ausgesetzt. Auch die hübsche Zikade selbst wollte immer wieder aufs Neue lernen, wie sie mit dieser Situation umzugehen hatte; auch damit sie in dieser heilsamen Metamorphose, trotz dieser ganz natürlichen und beschützenden Angst, sich nicht noch selbst verletzte. Doch nach und nach härtete auch diese neue Haut wieder aus und übernahm die notwendige Schutzfunktion und sie gewann immer mehr Vertrauen in ihre wiedergewonnene Sicherheit. Ach ja – noch etwas: dieses, von den anderen oft etwas verkannte Tierchen hat eine ganz spezielle Fähigkeit – sie kann sich nicht nur mit ihren Beinen fortbewegen, sondern benutzt dazu auch immer wieder mal ihre elfenhaften Flügel. Und manchmal entschliesst sie sich nicht nur aus eigener Kraft zu fliegen, sondern sie breitet dazu einfach ihre Flügelchen aus und lässt sich vom heilsamen Wind tragen, der sie dann ein Stück durch ihr Leben begleitet.
Und wenn man sich mal etwas Gutes tun möchte, dann kann man dem Zirpen dieser Zikade achtsam zuhören und dabei in Gedanken auf eine mediterrane, sonnenerwärmte und würzig duftenden Wiese reisen.“ (Adrian Hürzeler)

Übrigens: Am 3.11.-4.11.2012 biete ich in Zusammenarbeit mit Adrian Hürzeler bei Luzern am Vierwaldstättersee ein zweitägiges Seminar zu therapeutischem Erzählen an (aber auch für Coaches, Pädagogen und andere Berufe einsetzbar) . Wer Interesse hat, kann hier einmal nachschauen oder bei Adrian oder bei mir einfach nachfragen. Wir freuen uns über euer Interesse!

Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens

Zuletzt habe ich den Blog „Loslassen“ über die Begegnung mit einem sterbenden Menschen veröffentlicht. Dass ich mich damit gerade verstärkt befasse, hat einen besonderen Grund.

„Wo keine Heilung möglich ist – Hypnotherapeutische Stärkung in den letzten Stunden des Lebens“ – unter diesem Titel halte ich nämlich am Samstag Vormittag auf der Jahrestagung der Milton-Erickson-Gesellschaft in Bad Kissingen einen Workshop. Dabei fließen die Erfahrungen als Klinikpfarrer, als systemischer Therapeut und als Hypnotherapeut zusammen.

Wie können wir Sterbenden in den letzten Stunden ihres Lebens hilfreich zur Seite stehen? Wie können wir – außer mit Medikamenten und Apparaten – Schmerzen reduzieren, das Atmen erleichtern, vor allem aber auch helfen, Kummer und Angst abzulegen, den Kampf – wo es denn nötig ist – zu beenden und loszulassen?

Der Workshop geht aus von Erfahrungen, die ich beiGebeten an Sterbebetten gemacht habe: Dass fast alle Sterbenden – wenngleich ohne Worte – auf das Gesagte (und offensichtlich Gehörte) reagieren, so dass Trost, Ermutigung, aber auch hypnotherapeutische Interventionen zur Verbesserung des Befindens bis zu den letzten Atemzügen eines Menschen ankommen und umgesetzt werden können.

Es ist ein Thema, vor dem viele von uns Scheu haben – und auch ich empfinde diese Unsicherheit. Es stellen sich verschiedene ethische (oder einfach zwischenmenschliche) Fragen, die nicht vollständig lösbar sind: Was will der Sterbende selbst? Kann man bedenkenlos als heilig empfundene Handlungen wie Gebet und Segen mit therapeutischen Techniken verknüpfen? Wenn ein Sterbender bei einer solchen Andacht  unter großer Anspannung steht (seinem Herzschlag und Atem nach zu urteilen) und danach fast sofort verstirbt – ist das ein gutes „Loslassen“ oder eine Zumutung?

In dem Workshop werden wir diese und andere Fragen diskutieren, Erfahrungen austauschen und verschiedene Herangehensweisen, die zur Reduzierung von Angst, Kummer, Schmerzen und Atemnot führen, ganz praktisch ausprobieren.

Ich freue mich auf die gemeinsame Erfahrung!

Seminar: Therapeutisches Erzählen mit Kindern

In Kaiserslautern halte ich am 2.3.-4.3. ein Seminar mit konkreten, schnell umsetzbaren Methoden zum Therapeutischen Erzählen mit Kindern und Jugendlichen. Dabei geht es auch um die Frage, wie wir das eigene Erleben, die Erfahrungen, Verhaltensweisen und medialen Gewohnheiten der Kinder für die Therapie utilisieren, also für die Problemlösung nutzbar machen – und das auf eine so kreative, unterhaltsame Weise, das die Kinder und Jugendlichen Spaß am Gespräch haben und manche Probleme sich scheinbar aus Versehen lösen.

Die dahinter stehende Frage ist: Wie können wir therapeutisch mit Kindern und Jugendlichen im Gespräch sein, ohne sie zu belehren oder zu langweilen, ohne sie zu unter- oder überfordern? Aus dem Ansatz der hypnosystemischen Beratung hat Stefan Hammel sein Konzept des therapeutischen Geschichtenerzählens entwickelt.

Inhaltlich setzt das Seminar drei besondere Schwerpunkte:
– Geschichten zu Aggression und Ängstlichkeit (z.B. Mobbing in der Schule)
– Geschichten für Bock- und Ahnungslose, Computer-Kids und Herbeigeschleppte…
– Geschichten bei Depression und Autoaggression (z.B. Ritzen)

Vorgestellt und eingeübt werden wichtige Aspekte des therapeutischen Erzählens. Vielfältige Vorgehensweisen werden anhand bewährter Geschichten für Kinder und Jugendliche demonstriert und mit praktischen Übungen so eingeübt, dass die Techniken von den Teilnehmern eigenständig eingesetzt werden können. Eingegangen wird auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sowie auf Therapieansätze bei den genannten Themenschwerpunkten. In den Blick kommen neben Fabeln für Kinder Beispielgeschichten aus dem Leben anderer Jugendlicher oder aus der Welt der Stars, Metaphern aus Natur und Technik sowie imaginierte Computerspiele und Filme.

Der Preis für das 3-tägige Seminar (18 Zeitstunden) in Kaiserslautern liegt bei 300 Euro (Studenten und Nichtverdiener die Hälfte). Eine günstige Unterbringung (30 Euro / Nacht) im Institut für Hypno-Systemische Beratung ist möglich. Wer Fragen hat oder sich anmelden möchte, meldet sich unter o631-37o2o93 oder per E-mail.

Schlafende Hunde

Die Geschichte „Schlafende Hunde“ habe ich zunächst für die Auflösung von Phantomschmerzen, postoperativen Schmerzen und Hypersensitivität entwickelt. Sie kann außerdem zur Aufhebung von Schmerzen in Reaktion auf traumatische Ereignisse hilfreich sein. Bei traumatisierten Patienten kann sie auch als Suggestion dafür dienen, unpassende (getriggerte) Reaktionen auf alltägliche Situationen zu identifizieren, zu würdigen und loszulassen.

Ein Einbrecher wollte in eine Villa eindringen. Doch neben dem Haus lag ein großer, gefährlicher Wachhund. Um diese Gefahr zu umgehen, warf der Einbrecher ein Fleischstück in den Garten, das er mit einem Betäubungsmittel getränkt hatte. Als der Hund in einen tiefen Schlaf gefallen war, drang er in die Villa ein und nahm alles mit, was er brauchte. Als der Einbrecher fort war, erwachte der Hund. Er roch an der Spur des Entkommenen und bellte und bellte und bellte… Dabei war der Einbrecher längst fort. Der Hausherr hörte den Hund bellen und kam zu ihm. Er lobte seine Treue und Zuverlässigkeit, redete freundlich mit ihm, begütigte ihn, bis der Hund allmählich selbst ruhiger wurde, bis der Hund immer weniger bellte, bis der Hund immer leiser bellte, bis der Hund schließlich aufhörte, zu bellen, bis er schließlich ganz still wurde und schwieg, bis der Hund schließlich einschlief. Er wusste, er war ein guter Wachhund. Jetzt konnte er ruhen.

(Stefan Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens. Geschichten und Metaphern in Psychotherapie, Kinder- und Familientherapie, Heilkunde, Coaching und Supervision, S. 77f.)

 

Der doppelte Geburtstag

Eine Frau berichtete kürzlich in der Beratung über verschiedene Todesfälle, die sie im Verlauf ihres Lebens zu bewältigen hatte: Ihre Urgroßeltern, weitere Verwandte, mehrere Freunde und Bekannte und ihr Großvater, an dem sie sehr gehangen hatte. „Und dann ist mein Großvater auch noch an meinem Geburtstag gestorben! Jedes Jahr an meinem Geburtstag bin ich traurig.“

„Ich war einmal auf einem Friedhof in Warschau“, sagte ich. „Dort habe ich eine Gruppe von Roma gesehen, die um ein Grab versammelt waren und dort den Geburtstag des Verstorbenen gefeiert haben. Über die Grabplatte hatten sie ein Tischtuch gelegt. Darauf standen Teller, Gläser, Besteck und Kerzenleuchter. Sie hatten alle möglichen Delikatessen dabei, und natürlich auch etwas zu trinken. Ich nehme an, dass sie auch ein Gedeck für den Verstorbenen gerichtet haben. Und ich stelle mir vor, dass auch er ein Glas Wodka bekam und sie mit ihm angestoßen haben. Es war eine Gruppe fröhlicher Leute, die dort auf dem Grab getafelt haben. Wenn die ersten Christen ihre Toten beerdigt haben, haben sie ihnen einen Siegerkranz auf das Grab gelegt und haben mit ihm gefeiert. Für sie war es eine Siegesfeier, aber auch so etwas wie ein Geburtstag – der Geburtstag eines neuen Lebens, des ewigen Lebens. Wenn Ihr Opa an Ihrem Geburtsag gestorben ist, dann deutet nicht sein Todestag Ihren Geburtstag, sondern Ihr Geburtstag erklärt seinen Todestag. Ihr Geburtstag ist sein Todestag, das heißt, der Tag seiner Geburt in ein neues Leben. Ic h möchte Sie daher bitten, dass Sie an Ihrem Geburtstag auch seinen Geburtstag feiern!“

„So habe ich das noch nie gesehen“, sagte die Frau.