Webtipp: Das Reich der Möglichkeiten

Ich könnte mir vorstellen, dass diejenigen, die den Film „Validation“ gemocht haben, auch das Video vom „Reich der Möglichkeiten“ schätzen werden. Das ist nun ein ganz anderer Film. Es handelt sich um eine Demonstration des Bostoner Philharmonie-Dirigenten und Cellisten Benjamin Zander, der seine lebensfreundliche Weltanschauung erklärt und sie demonstriert, indem er einen jungen Cellisten unterrichtet. Eine Hommage nicht nur an die Musik, sondern an das Leben und an die Liebe zu den Menschen und zu sich selbst…

Zu finden ist das Video im Blog des systemagazin, das mein geschätzter systemischer Kollege Tom Levold herausgibt.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Anschauen!

Das wirklich, wirklich gute Weihnachtsfest

Eine wahre Weihnachtsgeschichte…

Seit ein paar Jahren wohnten sie zusammen. Sie verstanden sich wirklich, wirklich gut. Nur jedes Jahr an Weihnachten verstanden sie sich wirklich, wirklich schlecht. Sie kam aus einer wirklich, wirklich guten Hamburger Familie und er aus einer wirklich guten Heidelberger Familie. Sie hatte mit ihren Eltern bis dahin jedes Jahr ein wirklich, wirklich gutes Hamburger Weihnachtsfest verbracht. Er hatte bis dahin mit seiner Familie ein wirklich, wirklich gutes Heidelberger Weihnachtsfest gefeiert. Nun wohnten sie in Darmstadt. Im ersten Jahr feierten sie dort ein wirklich, wirklich schlechtes Heidelberger Weihnachtsfest. Im zweiten Jahr feierten sie dort ein Hamburger Weihnachtsfest. Das war auch wirklich, wirklich schlecht. Im dritten Jahr versuchten sie ein Heidelberger Hamburger Weihnachtsfest. Das war das wirklich, wirklich schlechteste Weihnachten von allen. Nun saßen sie da und überlegten, was sie dieses Jahr wohl feiern könnten. Sie entschieden sich für ein Darmstädter Weihnachtsfest. Es wurde ein wirklich, wirklich gutes Fest.

(Stefan Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens, Geschichten und Metaphern in Psychotherapie, Kinder- und Familientherapie, Heilkunde, Coaching und Supervision. Klett-Cotta 2009)

Tina

Hier wieder einmal ein Fall aus der Praxis… die Namen und einige Einzelheiten sind, wie üblich, geändert…

Eine Mutter und ihre 16-jährige Tochter Tina kommen in Therapie. Die Frau ist in dritter Ehe verheiratet, Tina stammt aus der zweiten Ehe mit einem Griechen, der in Athen lebt. Sie hat sporadischen Kontakt zum Vater. Tina wurde in kurzer Zeit zwei Mal wegen Schwierigkeiten mit dem Ausbilder vorzeitig aus Lehrverhältnissen entlassen und wurde gegenüber einem anderen Mädchen gewalttätig. Außerdem nennt Tina die Verbesserung der Beziehung zur Mutter als wichtigen Therapieinhalt. Während sie sich von der Mutter oft übersehen und vernachlässigt fühlt, findet diese, dass sich Tina auffallend laut und eindringlich Aufmerksamkeit verschaffe. Mit ihrem Mann, Tinas Stiefvater, könne sie kaum ungestört sein, da Tina dann immer mit irgendeinem Anliegen zu ihnen komme.

Ich erzähle die Geschichte vom lauten Jungen:

„Meine Eltern hören mir nie zu. Sie bemerken mich nicht einmal“, seufzte der Junge. „Er redet ständig und ununterbrochen. Er redet oft und viel. Er unterbricht andere im Gespräch und will selbst nie unterbrochen werden“, erzählten die Eltern. „Je lauter ich war, desto weniger haben sie zugehört“, sagte der Junge später. „Und je weniger sie zuhörten, desto lauter wurde ich.“ Dann wurde er leise und seine Eltern hörten ihm zu.

Dann frage ich, ob es möglich sei, dass die Mutter ihre Aufmerksamkeit geradezu abschalte, wenn Tina ihr zu viel Beachtung fordere und dass Tina gerade dadurch noch mehr Aufmerksamkeit verlange. Beide bejahen dies. Im Weiteren überlegt Tina, dass dasselbe Verhalten gegenüber ihren Ausbildern zu den Problemen bei den Lehrstellen geführt habe und dass sie durch ihr gewalttätiges Verhalten die Aufmerksamkeit ihrer Mutter habe erreichen können. Ich überlege mir, wie gut sie sich wohl in die Position anderer versetzen kann und frage sie, wie eine Schaufensterinschrift angebracht sein muss, damit sie für die Kunden richtigherum zu lesen ist (siehe „Schaufensterkino“). Warum sind die Inschriften von innen betrachtet immer in Spiegelschrift geschrieben? Als „Hausaufgabe“ bitte ich die beiden, sich einmal täglich genau so zu verhalten, wie es der jeweils andere wünscht. Nach fünf Sitzungen sind sich Mutter und Tochter einig, dass die geschilderten Probleme nicht mehr bestehen.

Möwenfelsen

Hier ist eine Geschichte, die ich Kindern aus Patchwork-, Adoptiv- und Pflegefamilien erzähle. Entwickelt habe ich sie zuerst für eine sehr introvertierte Jugendliche, die im gemeinsamen Urlaub – heimlich, auf eigene Initiative und ohne Erlaubnis ihrer Adoptiveltern – begonnen hat, Paragliding zu lernen.

Vielleicht hast du auch schon einmal an einem Möwenfelsen gestanden und horchtest auf das vielfältige Rufen dieser Vögel. Es ist ein beeindruckender Klang, wenn Tausende von Möwen um einen Felsen fliegen und die Luft mit ihren Schreien erfüllen. Aber du hörst dort nicht nur Schreie. Du hörst auch etwas anderes. Du hörst dort auch die zarten Töne, wenn die Möwen balzen, wenn sie werben. Du hörst die rauen, krächzenden Töne der Jungen, wenn sie frisch geschlüpft sind und nach Futter rufen. Ihr Ruf ist deutlich, sie fordern, was sie brauchen! Sie rufen, als ob sie Gerechtigkeit fordern: „Hier bin ich, ich will wachsen und stark werden.“
Du kannst dort sehen, wie liebevoll die Möweneltern für ihre Kinder sorgen. Wieder und wieder fliegen sie weg und kehren zurück mit einem Fisch im Schnabel für ihre Jungen. Warum tun sie das tagein, tagaus? „Instinkt“, nennen es manche Forscher. Ich nenne es Liebe. Denn wieder und wieder sind sie auf der Suche nach dem, was ihre Kinder stärkt. Sie fragen nicht, ob es regnet oder stürmt oder schneit. Sie suchen Futter für die Möwenjungen. Auch habe ich gehört: Wenn eine Möwe nicht für ihre Jungen sorgen kann, dann springt oft eine andere für sie ein. Sie behandelt sie wie ihre eigenen Kinder. Sie fragt nicht nach Regen oder Sturm oder Schnee. Sie fliegt für diese Küken, die bald schon keine Küken mehr sein werden. Ja, bald schon werden diese Vögel selbst sicher fliegen und bewusst ihre eigenen Bahnen durch die Luft ziehen. Es ist gut, wenn man auf einem Felsen wohnt, wo viele andere Möwen leben…

Noten

Herr Gundolf sagte: „Auf der Suche nach einem Leben, das die Note Eins verdient, habe ich ein Leben erhalten, das die Note Vier verdient.“ Ich antwortete: „Wenn du jetzt nach einem Leben suchst, das die Note Drei verdient, kannst du eines erhalten, das die Note Zwei verdient.“

Schaufensterkino

Die folgende Geschichte erzähle ich manchmal Jugendlichen, die zwar klug sind, aber sehr auf sich fixiert und darum nicht so sehr sozial orientiert. Nächste Woche möchte ich sie einmal bei einem sechzehnjährigen autistischen Jungen ausprobieren. Mal sehen, was passiert…

Es regnete. Keine Schule heute. Wie jeden Samstagvormittag stand sie hinter der Glastheke, in der die Brötchen, Kuchen und anderen Backwaren zum Verkauf auslagen. Durch das Schaufenster sah sie, wie der Wind die Blätter von den Bäumen fegte und in der Straße verwirbelte. Vor dem Laden kämpfte eine Frau mit ihrem Regenschirm. In dicken Buchstaben stand darüber die Inschrift: ,,Bäckerei Müller“. In Spiegelschrift natürlich, für jemanden, der drinnen stand. Wenn sie alleine war und keine Kunden zu bedienen hatte, stellte sie sich gerne vor, dieses Schaufenster sei eine Kinoleinwand und das, was sie dahinter sah, sei nur ein Film. In ihrer Fantasie veränderte sie dann die Szene. Aus den Autos wurden Kutschen, aus den Blättern Vögel und aus der Frau mit dem Regenschirm zum Beispiel ihre Mutter, wie sie mit einem wilden Drachen kämpfte. Dieses Bild amüsierte sie jetzt ganz besonders. Ihre Mutter, die alles falsch verstand, die ihr das Wort im Mund herumdrehte, die aus Gutem Böses machen konnte und aus böse gut, sie würde wahrscheinlich auch den Kampf gegen einen Drachen bestehen oder mindestens ein ,,Unentschieden“ erreichen. Bis zum nächsten Kampf.
Die Frau mit dem Regenschirm war längst verschwunden. Nun stellte sie sich vor, was sie denn gerne auf diese Schaufensterscheibe schreiben würde, anstatt des langweiligen Schriftzugs: „Bäckerei Müller“. Wie wäre es mit „Du bist mir wichtig“, „Ich mag dich trotzdem“, oder: „Ich ärgere mich, weil ich dich liebe“? Vielleicht auch: „Ich ärgere dich…“. Sie grinste ein wenig bei dem Gedanken. Sie malte sich aus, wie diese Inschriften auf der großen Scheibe wirken würden. Alle, die an der Bäckerei vorübergingen, könnten sie lesen, auch ihre Mutter. Sie sah vor ihrem inneren Auge die Inschrift: „Du bist mir wichtig.“ Ob ihre Mutter sie dann endlich verstehen würde? Sie stellte sich vor, wie ihre Mutter vor dem Schaufenster stand, die Stirn runzelte und den Kopf schüttelte. Da kam ihr der Gedanke: „Du musst deine Worte in Spiegelschrift anbringen.“

Der Tanz der Dornen und der Messer

Eine Kollegin hat mir eine Anregung gegeben zu einer Geschichte für Menschen, die sich ritzen oder auf ähnliche Weisen selbst verletzen. Ich erzähle die Geschichte folgendermaßen.

Es gibt bei den Indianern die faszinierendsten Bräuche. Zum Beispiel: Bevor ein Mensch erwachsen wird, ist es nötig, bestimmte Rituale zu vollziehen. Die Ethnologen, die diese Völker erforschen, sprechen von Initiationsriten. Das sind nicht einfach bloß Mutproben, sondern es sind Bräuche, die die Tür öffnen in eine neue Stufe des Lebens. Im Leben der Menschen sind diese Bräuche wie eine Stufe, die sie überschreiten, um sich auf einer anderen, höheren Ebene wiederzufinden. Diese Riten sind eine eindrucksvolle Sache! Bei einem Stamm ist es so, dass die jungen Leute eine ganze Nacht lang tanzen. Dabei schlagen sich selbst mit langen, dornigen Ranken auf den Rücken. Sie ziehen fest an den Ranken, bis ihnen die ganze Haut in Fetzen von ihrem Rücken hängt und sie gemeinsam in ihrem Blut tanzen.

Nach diesem Tanz kommt ein zweiter Tanz, bei dem sie sich mit scharfen Messern Wunden in die Arme und Beine schneiden. Dann reiben sie sich gegenseitig ein: Erst mit dem Blut, das aus ihren Adern rinnt, danach mit Speichel, den sie einander auf die Wunden reiben, und zuletzt mit Salz.

Dann tanzen sie weiter, wilder noch als zuvor. Zuletzt sinken sie einander erschöpft in die Arme und schlafen, und schlafen, und schlafen. Im Traum sehen sie Bilder, die ihnen den Weg weisen in das Erwachsenenleben, das sich unterscheidet von dem Leben, das sie vorher geführt haben.

Sie gehen aus diesem Ritual gestärkt hervor. Noch mehrere Male werden sie besondere Initiationsriten zu bestehen haben, die sie in neue Lebensstufen führen. Aber das Ritual der Dornen und der Messer machen sie nur einmal. Eingeführt in die Welt der Erwachsenen, lassen sie von da an die vorige Zeit hinter sich. Sie gehören nun zu einem neuen Alter, das neuen Regeln folgt.

Fräulein Gehirn

Hier noch ein Nachtrag. Das ist eine zweite Geschichte, die ich Anna in ihrer ersten Therapiestunde erzählt habe. Seitdem unterhält sie sich öfter mit ihrem Gehirn – etwas, was wir vielleicht alle manchmal tun sollten.

Du weißt natürlich, dass du ein Gehirn hast, und dass es denken kann, nicht wahr? Hast du schon einmal mit deinem Gehirn gesprochen? Nein? Dann ist ja heute Zeit, um damit anzufangen. Wie heißt denn dein Gehirn? Ist es ein Mann oder eine Frau?
Sehr gut… Du kannst also zu deinem Gehirn sagen: „Guten Tag, Fräulein Gehirn!“ und bestimmt wird es antworten: „Guten Tag, liebe Anna“. Du kannst es fragen: „Liebes Fräulein Gehirn, könntest du mir dabei helfen, mich immer zu konzentrieren, wenn meine Lehrerin die Hausaufgaben erklärt?“, und Fräulein Gehirn wird dir antworten: „Natürlich kann ich das, liebe Anna, du hast mich nur noch nie danach gefragt.“ „Ach so“, kannst du dann sagen, „dann bitte ich dich jetzt darum. Würdest du mich bitte immer wach und konzentriert sein lassen, wenn die Lehrerin die Hausaufgaben erklärt, liebes Fräulein Gehirn?“ „Aber selbstverständlich, liebe Anna!“

Annas U-Boot

Hier eine Geschichte zu einem Kind namens Anna, das ich neulich kennenlernen durfte. Der Effekt des beschriebenen Vorgehens war durchschlagend, also, Mutter und Tochter waren mit dem Ergebnis der ersten Therapiestunde sehr glücklich. Anna hat angefangen, Freundschaften zu knüpfen kann sich in der Schule besser konzentrieren und bekommt viel mehr von ihrer Umgebung mit.

Anna träumt. Sie geht in die vierte Klasse, und sie träumt. Sie kommt nach Hause, und sie träumt. Sie lebt in ihren Träumen. Sie lebt so sehr darin, dass niemand so recht zu sagen weiß: Ist sie begabt oder nicht, ist sie einfältig oder subtil, schüchtern oder gehemmt, nur introvertiert oder psychisch gestört. Anna scheint glücklich in dieser Welt – oder ist sie nur dort, weil sie draußen sehr unglücklich wäre? Ist Anna krank, oder einfach nur ungewöhnlich? Auf welche Schule soll sie gehen, und wie kann sie am besten gefördert werden? Die fragenden Eltern kommen mit ihr zur Therapie.
„Du lebst also in einem U-Boot“, sage ich zu Anna. Fragend schaut sie mich an.
„Du tauchst unter und lebst in einer bunten Welt von Fischen und Korallen, von lauter bunten Sachen, die die Leute da oben nicht kennen. Kann man das so sagen?“ „Ja“, sagt Anna.
„Es ist bestimmt schön da unten. Du kannst in Ruhe den Meeresgrund erforschen, und kein Mensch kann dich dabei stören.“ „Das stimmt“, sagt Anna.
„Du kannst Tiefseeforscherin werden. Das sind Leute, die im Auftrag der Menschen da oben die Welt da unten erforschen. Sie finden alles heraus über die Tiere und Pflanzen des Meeres.“ „Das ist schön“, sagt Anna.
„Natürlich haben alle U-Boote ein Periskop. Das ist ein Rohr mit einem Spiegel, so dass man von unten aus immer sehen kann, was oben passiert.“ „Und damit kann ich die anderen beobachten“, sagt Anna.
„Genau. Natürlich willst du auch nicht unter Wasser mit anderen U-Booten oder Schiffen zusammenstoßen. Darum hast du ein Sonarsystem. Das sendet Schall aus, damit du weißt, wann du anderen zu nahe kommst, also, wann du anderen U-Booten und Schiffen ausweichen musst und wann du besser auftauchen solltest.“ „Muss ich denn auftauchen?“, fragt Anna.
„Na ja, du kennst das ja: Wenn du mit anderen zusammenstößt, ist das sehr unangenehm. Beide Schiffe können Schaden leiden, auch wenn der Zusammenprall gar nicht beabsichtigt war. Besser ist es, wenn du einen Unfall vorhersehen kannst und rechtzeitig ausweichst oder erst einmal auftauchst. Um frühzeitig zu reagieren, brauchst du auch ein Mikrofon, das die Signale der Schiffe aufnimmt. Und du brauchst ein Funksystem, um auch, wenn du untergetaucht bist, mit der Besatzung anderer U-Boote und Schiffe reden zu können.“ „Ja, das ist gut. Dann stoße ich nicht mehr mit ihnen zusammen.“
„Genau. Natürlich muss jedes U-Boot auch ab und zu auftauchen.“ „Warum denn?“ „Na, du brauchst doch Sauerstoff, und Essen und Trinken. Du musst ab und zu auftauchen, um das mit an Bord zu nehmen.“ „Ja, das stimmt.“
„Bei Forschungsreisen ist es auch so, dass das U-Boot regelmäßig auftaucht, um mit den Menschen oben zu besprechen, was es unten erforschen soll.“ „Ach so?“
„Natürlich. Das U-Boot hat den Auftrag, herauszufinden, was dort unten passiert, und um den Menschen über der Wasseroberfläche davon zu erzählen.“ „Kann das U-Boot auch auf andere schießen?“
„Klar hast du Torpedos, aber die setzt man ja nur gegen feindliche Schiffe ein, und nur, wenn es unbedingt sein muss. Besser ist, man spricht miteinander über Funk, oder man taucht auf und benutzt das Megaphon: ‚Hallo, ich habe eure Signale gehört und bin aufgetaucht. Was gibt es Wichtiges bei euch?’ Richtig gute U-Boot-Kapitäne sind oft unter Wasser und oft über Wasser. Sie kennen die Signale der anderen Schiffe so gut, dass sie immer wissen, wann es besser ist, aufzutauchen und wann es besser ist, unterzutauchen, und wann es gut ist, so halb über dem Wasser und halb unter dem Wasser zu sein. Etwa so wie ein Krokodil, das nur die Augen, die Ohren und die Nasenlöcher über dem Wasser hat. So ist es gut getarnt und kann schnell untertauchen, wenn es möchte, und doch bekommt es alles mit, was über dem Wasser passiert. Auch U-Boote schwimmen manchmal ganz knapp unter der Oberfläche, so dass nur der Kommandoturm herausschaut. Auf diese Art bekommen sie alles mit von dem Leben über dem Wasser. Sie hören alle Signale, die für sie wichtig sind und sehen alles, was für sie nützlich ist. Wenn sie aber untertauchen wollen, dann sind sie ganz schnell drunten.“ „Cool“, sagt Anna. „Das gefällt mir.“
Natürlich hat die Kapitänin eines solchen U-Boots manchmal Urlaub. Wenn U-Boot-Kapitäne Urlaub haben, dann sind sie an Land. Sie treffen sich mit ihren Freundinnen und Freunden, erzählen ihnen von ihren Reisen und hören zu, was die anderen erlebt haben. Ich kannte einen Kapitän, der flog in seiner freien Zeit mit einem kleinen Wasserflugzeug herum. Er schaute sich von oben an, was er ansonsten oft von unten her gesehen hatte: Das Land und das Wasser, die Schiffe, die U-Boote und all die anderen Dinge. Und wenn er alles gesehen hat, dann landete er wieder, oder wasserte, wie das die Wasserflieger nennen. Er kannte die Welt von allen Seiten, und er war ein sehr glücklicher Mensch.“ „Cool“, sagt Anna. „Das möchte ich gerne machen“.

Das eigentliche Leben

Immer wieder habe ich darauf gewartet, dass das eigentliche Leben losgeht. Ich habe gedacht, es würde dann kommen, wenn die aktuellen Probleme und Unfertigkeiten überstanden wären. Manchmal dauerten die Schwierigkeiten länger als erwartet, und ansonsten wurden sie von neuen Herausforderungen abgelöst. Irgendwann ist mir klar geworden: Noch eigentlicher wird’s nicht.