Spielend I

Ein Saxophonlehrer fragte seinen Schüler: „Welche Kraft brauchst du, um eine Klappe zu schließen? Nimm diese Kraft, mehr nicht.“

(S. Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens. Geschichten und Metaphern in Psychotherapie, Kind- und Familientherapie, Heilkunde, Coaching und Supervision. Klett-Cotta, Stuttgart 2009)

Strandspaziergang

Durch Ablenkung kann man manchmal Überraschendes einiges erreichen… Man kann damit zum Beispiel Schluckauf bekämpfen. Die folgende Geschichte zeigt, wie nützlich die Ablenkung auch für eine mentale Anästhesie sein kann. Man fokussiert die Aufmerksamkeit auf etwas, was für den Gesprächspartner  bedeutungsvoll ist, womit er sich auch angesichts aktuell möglicher Schmerzen gerne befasst und was mit diesem eventuell leidvollen Erleben gar nicht zusammenpasst…

Ein Arzt musste einer Patientin einen großen Zehennagel operativ entfernen. Die Patientin vertrug jedoch keinerlei Schmerzmittel. „Wie soll ich das denn tun?“, fragte er sie. „Bei wachem Bewusstsein? – das ist doch Folter!“ Die Patientin zuckte mit den Achseln. „Wo sind Sie denn bisher am liebsten in Urlaub gewesen?“ fragte er. „An der Ostsee“, erzählte sie. „Ich habe dort mit meinem Mann so wunderschöne Spaziergänge am Strand entlang unternommen.“ „Erzählen Sie doch davon, und bleiben Sie ganz tief in Ihrer Erzählung“, erwiderte der Arzt. „Bleiben Sie ganz in der Erinnerung und beschreiben Sie mir alles, was Sie dort sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen können, auf Ihrem Spaziergang.“ Die Frau erzählte und erzählte. „Jetzt kommt ein Sturm“, sagte sie, als der Arzt mit seiner Arbeit begann. Sie sah den Sturm kommen, und sie blieb dabei ganz ruhig.

Quelle: Handbuch des therapeutischen Erzählens, S. 79, Stefan Hammel

Das Myom I

Bei einer befreundeten jungen Frau in meinem Bekanntenkreis wurde ein Myom im Außenbereich des Uterus mit einer Größe von 67 mm x 52 mm x 58 mm gefunden. Aus verschiedenen Gründen war eine Operation erst viereinhalb Monate später möglich, und so nutzten wir die Zeit, um suggestiv auf den Tumor einzuwirken.

Die Frau verstand den Tumor unter anderem psychosomatisch in Verbindung mit einem unerfüllten Kinderwunsch oder einem ambivalenten Umgang mit dem Thema der Familiengründung. Ich erzählte ihr, wie Therapeuten bei anderen Geschwulsten vorgegangen sind, und schlug ihr vor, sich aus den Berichten das für sie Passende herauszusuchen und ihre individuellen Suggestionen daraus zu formulieren. Ich erzählte von den Erfahrungen anderer Patienten mit Visualisierungsübungen, etwa bei der hypnotherapeutischen Unterstützung der Behandlung von Brustkrebs und Karzinomen im Bauchbereich und von Methoden, mit denen auf Warzen und Lipome Einfluss genommen werden kann. Ich erzählte ihr, dass fortlaufende Zellteilung prinzipiell eine wunderbare Sache sein könne, aber wohlgeordnet und zielgerichtet, zu passender Zeit an passendem Ort, sprich, in einer Gebärmutter, nicht außerhalb. Letzteres fasste ich als ein Missverständnis des Körpers in bester Absicht auf, das im Gespräch oder Selbstgespräch mit dem Körper aufzuklären sei. Ich schlug ihr vor, den Körper, die Gebärmutter und das Myom direkt anzusprechen und ihnen zu sagen, was sie von ihnen wünsche. Sie tat das auf ihre Art, indem sie sich im Internet einen Film anschaute, in dem gezeigt wurde, wie ein Myom während einer Operation in Scheiben geschnitten und in kleinen Portionen entfernt wird. Anschließend bat sie ihren Körper, diesen Film als Vorbild zu nehmen und das Myom Scheibe für Scheibe zu entfernen.

Sechs Wochen später äußerte sie, das in den vorangegangenen Wochen spürbare Druckgefühl im Bauch sei verschwunden, und das Erleben, häufig und dringend Wasser lassen zu müssen, sei nicht mehr vorhanden. Geträumt habe sie, sie hätte das Myom in der Größe eines kleinen Fingernagels gesehen. Eine neue Messung des Myoms vor der Operation, knapp viereinhalb Monate nach der Diagnosestellung, ergab eine Größe von 58 mm x 52 mm x 54 mm. Der Unterschied könnte als Messungenauigkeit gedeutet werden oder als Hinweis darauf, dass sich der Tumor in Länge und Höhe reduziert hat. Die Frau selbst ging davon aus, dass sich das Myom in Folge der Autosuggestion verkleinert hatte, entschied sich aber dennoch für die Operation als einen relativ kurzen und sicheren Weg der Problembehebung.

Alle Zellen leben lassen!

Die folgende Intervention kann verwendet werden um Verbrennungen und Erfrierungen zu reeduzieren bzw. zu verhindern.

Dass der geschmolzene Käse so heiß war, hatte er nicht gedacht. Zu spät kam sein Versuch, die viel zu heiße Speise auszuspucken. Der Schmerz breitete sich im Mundraum aus und wurde stärker. „Alle Zellen leben lassen! Alle Zellen leben lassen!“, dachte er plötzlich, in den Schmerz hinein, gerade so, als ob er es laut seinem Gaumen zuriefe. Immer wieder rief er in seinen Gedanken „Alle Zellen leben lassen!“ Der Schmerz ließ endlich nach. Mit der Zunge fühlte er seinen Mundraum ab. Alles war dort wie vorher, weich und geschmeidig. Der Körper war seiner Anweisung gefolgt.

Diese Geschichte ist in der abgewandelten Form mit: ,,Alles Gesunde leben lassen!“ auch für Bestrahlungen nützlich.

Quelle: Handbuch des therapeutischen Erzählens, S.65,  Stefan Hammel

Seminar: Die Kraft von Metaphern

In gut zwei Wochen, am 5.2. und 6.2. halte ich beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg ein Seminar zu therapeutischem Geschichtenerzählen. Kurzentschlossene können noch dazukommen. Anmeldeschluss ist jetzt am Wochenende (für Anmeldungen per E-mail: Sonntag, 23.1.2011, per Telefon: Montag, 24.1., 9.30 h). Das Seminar steht unter dem Titel „Die Kraft von Metaphern im System und mit System“. Hier der Ausschreibungstext:

„Therapeutisches Erzählen ist seit jeher ein zentraler Bestandteil von Hypnotherapie, Systemik und vielen anderen Beratungsformen. Der Einsatz von Metaphern- und Beispielgeschichten ist aus dem alten Orient bekannt und ist bis heute eine der wirksamsten Beratungsformen. Die Geschichten werden vom Berater erzählt oder vom Klienten eingebracht und vom Berater reframed, oder sie werden von den Gesprächspartnern gemeinsam entwickelt. Nur, wie entdecke ich eine nützliche Geschichte und wie erzähle ich sie? Per Musenkuß? Das Seminar vermittelt die Techniken, um individuelle Geschichten in der Beratung spontan zu entwickeln und sie therapeutisch wirksam zu erzählen.

Ziel des Seminars ist es also, zu lernen, wie man…

* therapeutische Geschichten für Klientinnen und Klienten findet
* jederzeit Geschichten für einzigartige Lebenssituationen erfindet
* Erzählungen therapeutisch wirksam formuliert und einbettet
* Problemmetaphern von Klienten in Lösungsmetaphern zu transformiert, die diese unwillkürlich in ihre Wirklichkeit reintegrieren
* motivierende, warnende, Such- und Lernhaltungen aktivierende Geschichten aufbaut.“

Ich freue mich über Anmeldungen beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg!

Der Grashalm in der Wüste

Gestern war ich in der Kinderpsychiatrie und habe den Kindern eine Geschichte erzählt. Wir vergessen so oft, dass Menschen, die sich selbst und anderen Mühe bereiten, nicht nur aus ihren Problemen bestehen, sondern auch aus dem, was heil ist.Und wenn wir das Gesunde, Kraftvolle, Glückspendende im Leben der Kinder oder auch von uns selber pflegen, könnte es sein, dass wir mehr erreichen, als wenn wir immer mehr Zeit auf die Behandlung des Störenden verwenden. Natürlich muss man zuweilen bei dem, was stört, anknüpfen. Wenn man allerdings bei der Behandlung der Störung hängen bleibt, ist man wahrscheinlich schon selbst ein Teil der Störung geworden. Denn wer sagt uns, dass die Reaktionen der Menschen auf das Problem nicht zu dem Problem maßgeblich beitragen? Vielleicht kommen wir schneller zum Ziel, wenn wir das Unauffällige, Gesunde, Normale in den Vordergrund unserer Betrachtung stellen. Ich habe jedenfalls den Kindern die folgende Geschichte erzählt.

Ein Mann durchquerte eine Wüste. Rings um ihn her gab es nur Sand, Steine und Felsen, den leuchtend blauen Himmel und über ihm die glühend heiße Sonne. Auf der Hälfte seines Weges geschah es, dass er Rast machen wollte und sich nach einem geeigneten Platz umsah. Weiterlesen

Nägelkauen

Heute hatte ich eine Frau zu Besuch, die sich Gedanken machte, weil ihr Pflegesohn stark an den Nägeln kaut. Er habe von sich aus gesagt, er wolle aufhören, und sie hat ihm ein Mittel besorgt, dass bitter schmeckt und das er sich auf die Nägel streichen kann, um sich das Nägelkauen abzugewöhnen.Aber bald hat der Junge sich an den Geschmack gewöhnt, und er hat weiter gekaut. Sie wollte wissen, was man da machen könne.

Sie erzählte weiter, der Junge lasse sich eher Unrecht tun, als sich zu wehren, und ziehe sich bei jeder Kritik still in sich zurück. Allerdings tue er oft das Gegenteil dessen, was man ihm auftrage. Vielleicht habe es damit zu tun, dass er in seiner Herkunftsfamilie viel beschimpft und schlecht gemacht wurde und oft verprügelt wurde, wenn er sich gegen Vorwürfe oder eine unfreundliche Behandlung wehrte.

Ich habe zu der Frau gesagt, sie solle ihm in der Apotheke ein anderes Fabrikat eines solchen Mittels kaufen und ihm sagen, dass dieses „stärker“ sei. Dann solle sie ihm sagen, sie habe mit einem Therapeuten gesprochen, und der habe ihr gesagt, beide Hände gleichzeitig abgewöhnen sei zu viel auf einmal. Es sei klar gewesen, dass das nicht klappen konnte. Eine Hand auf einmal sei genug.

Dann solle sie ihn auswählen lassen, an welcher Hand er als erstes aufhört, Nägel zu kauen. Sie solle mehrmals fragen, ob er sicher sei, dass dies die Hand ist,  bei der er zuerst aufhören will und sich das versichern lassen. Danach soll sie ihm mitteilen, dass er nicht aufhören dürfe, Nägel zu kauen, sondern jedesmal, wenn er an den Nägeln dieser Hand kaue, müsse er stattdessen auf die andere Hand wechseln und dort kauen. Das sei wichtig. Auf keinen Fall dürfe er schon aufhören, die Nägel der anderen Hand zu kauen, sondern er müsse das Kauen dort noch um die Male vermehren, die er sonst an der anderen Hand gekaut habe.

Wenn er versehentlich doch einmal an die Hand gerate, deren Nägel wachsen sollen,sollte er zum Ausgleich umso mehr die an den Nägeln der anderen Hand kauen.

Ich sagte zu der Frau: Wenn er die Nägel der einen Hand auf diese Weise zum Wachsen bekommt, gehen wir anschließend mit der anderen Hand fingerweise vor: In der ersten Woche kaut er nur noch an vier Fingern, und an den anderen umso mehr,  in der zweiten an drei Fingern, und so weiter.

Wenn der Erfolg an der „schönen“ Hand dagegen zu wünschen übrig lässt, stellen wir fest, die Aufgabe sei noch zu groß, arbeiten daran, dass er zunächst einen Finger ungekaut lassen kann und arbeiten uns von hier aus fingerweise vor.

Der Gesang der Sterne

Peter Schneider, ein Freund und Kollege an der Heidelberger Neurologischen Klinik, der an Tinnitus geforscht hat, hat einmal erzählt, dass Robert Schumann seinen Tinnitus als „Musik, von Engeln vorgesungen“ bezeichnet hat. Warum mir das einfällt? Heute Nachmittag hat mir eine Hörgeräteakustikerin die folgende E-Mail geschickt.

Hallo Herr Hammel,

Zum Thema Tinnitus ist mir vorhin etwas eingefallen:

Als ich noch in der Ausbildung war, versorgten wir einen jungen Mann mit Hörgeräten. Er muss Mitte Zwanzig gewesen sein, war jedoch in seiner geistigen Entwicklung etwas zurück. Eines Tages erzählte er uns während einer Anpasssitzung mit vor Begeisterung glänzenden Augen, er sei ein ganz besonderer Mensch, denn ein Engel sei vor langer Zeit, als er noch ein ganz kleiner Junge war, zu ihm gekommen und habe seine Ohren derart verzaubert, dass er von diesem Augenblick an den für fast alle Menschen unhörbaren Gesang der Sterne zu hören vermochte. Er erzählte uns ausführlich über die verschiedenen Klänge der unterschiedlichsten Sterne und dass sie an manchen Tagen lauter und deutlicher und an anderen tagen leiser, fast unhörbar seien. Sonst war er eher introvertiert und sprach sehr wenig, bei diesem Thema jedoch ging er vollkommen auf und begeisterte sich dermaßen, dass diese Begeisterung förmlich aus ihm heraussprühte. Ich war zunächst ein wenig irritiert, begriff dann aber schnell, dass er über seinen Tinnitus sprach.

Als er weg war, sprach ich meine Meisterin darauf an, denn meine Erfahrung mit Tinnitus war bis dahin eher theoretischer Natur gewesen, dennoch fand ich die Einstellung des Mannes spontan bewundernswert und es interessierte mich sehr, was ihn auf diese Geschichte gebracht haben könnte. Meine Meisterin entgegnete mir ziemlich barsch, diesen „Müll“ habe die Mutter des Mannes dem „armen“ Jungen eingeredet und sie verstehe nicht, weshalb die Mutter ihm nicht klar und deutlich erklären würde, um was es sich bei den Geräuschen in seinem Kopf in Wirklichkeit handle. Ich war vollständig anderer Meinung, wagte mich aber nicht, diese ihr gegenüber zu äußern.  Ich dachte noch oft über diese Geschichte nach, dabei fiel mir auch wieder ein Lehrer von mir ein, der uns in einer Unterrichtsstunde einmal eine Komposition vorspielte in welcher die Planeten unseres Sonnensystems und die Sonne vertont worden waren‚“.  Irgendwann begann ich die Geschichte  meinen Kunden zu erzählen, wenn sie über Tinnitus klagen, und vielleicht konnte ich dem ein oder andern damit auch zumindest ein bisschen helfen … und manchmal denke ich: „Wer von uns kann eigentlich mit Bestimmtheit sagen, den Gesang der Sterne könne niemand von uns hören?“

(Tamara Peter)

Die Klinke ölen

Heute habe ich mit einem Freund telefoniert, der Arzt ist. Er hat mir folgende kleine Geschichte erzählt:

„Ich hatte eine Frau in Behandlung, die Arthrose in den Daumen hatte. Nach einer homöopathischen Behandlung mit ‚Teufelskralle‘ war der eine Daumen schon viel besser, der andere aber war noch recht unbeweglich und schmerzte bei jedem Bewegungsversuch. Ich gab ihr noch eine homöopathische Spritze und ging mit zur Tür, um die Frau zu verabschieden. Die Türklinke quietschte schrecklich. Das tat sie schon lange, aber diesmal störte es mich aus irgendeinem Grund. Während wir noch im Gespräch waren, holte ich einen Spray für die Tür. Ich sprühte das Gelenk der Klinke ein und bewegte die Klinke mehrmals hin und her. Während ich das tat, fiel mir auf, dass die Frau ihren Daumen gleichzeitig ebenfalls hin und her bewegte. Das hat mich fasziniert. ‚Gucken Sie mal, Ihr Daumen ist genau wie die Türklinke‘, habe ich gesagt. Dann habe ich die Klinke noch einmal bewegt und gesagt: ‚Jetzt quietscht es nicht mehr.‘ ‚Ja, und es tut auch nicht mehr weh‘, sagte die Frau und bewegte ihren Daumen hin und her.“