Schleuderkurs

Meine Schweizer Kollegin Catherine Iseli hat in einem Forum erzählt von einer Schweizer Radiosendung mit dem Titel „Schleudern ohne ins Schleudern zu geraten“ über „Autofahren unter erschwerten Bedingungen“ (Radio DRS1, 12.4.2010, 9-11 Uhr).

Catherine berichtete:

Eine Abteilung der Zürcher Polizei musste einen Auffrischungskurs besuchen, und der Polizeiinstruktor gab dann im Interview Auskunft darüber, welches die entscheidenden Dinge seien, die man trainieren müsse, um in einer  Extremsituation mit seinem Wagen nicht ins Schleudern zu geraten. Der  Instruktor sagte sinngemäss:

„Das Wichtigste, was man trainieren muss, ist der Blick. Menschen tendieren in einer Gefahrensituation dazu, in Panik zu geraten, die Übersicht zu verlieren. Der Blick geht dann dorthin, wo das Hindernis  ist und die Gefahr droht. Die Hände lenken das Fahrzeug in die Richtung, in die der Blick geht. Das erklärt auch, weshalb viele  Schleuderfahrten an einem Baum, einem Laternenpfahl, Pfosten etc. enden,  auch wenn sonst weit und breit kein Hindernis ist.
Es gilt also, zu trainieren, den Blick und die Aufmerksamkeit in die  Richtung zu richten, wo keine Gefahr droht, wo freie Fahrt möglich ist, also in die gewünschte Richtung. Wenn der Blick dorthin geht, dann folgen die Hände automatisch und tun das Richtige, um den Wagen aus der Gefahrenzone zu bringen.“

Sie sagt:

Psychotherapie ist wie Autofahren unter erschwerten Bedingungen;  unsere Klienten brauchen einen Antischleuderkurs, und sie müssen  lernen, „den Blick“ zu trainieren…

Danke, Catherine!

Nussallergie

Letzte Woche war ich bei Freunden zu Besuch, um mit ihnen und ihrem vierjährigen Sohn Tim Schlitten fahren zu gehen. Wir saßen gerade beim Abendessen, als Tatjana und Markus von den Nuss- und Pollenallergien ihres Sohnes Tim erzählten. „Man kann das hypnotherapeutisch gut behandeln“, sagte ich. „Ich habe das schonmal mit einem Vierjährigen probiert, und es hat gut geklappt.“ „Wie geht das?“ Wenn ich es ihr erkläre, kann ich es auch gleich tun, dachte ich.

„Also“, sagte ich und wandte mich an ihren Sohn, „Tim, du weißt doch, dass der Körper sich gegen Feinde wehrt, also gegen Bakterien und solche Bösewichte. Aber manchmal erwischt er auch Leute, die gar nichts Böses vorhaben, also Freunde und ganz harmlose Besucher. Das ist wie auf einer Burg, wo die Ritter auf der Burgmauer stehen und alle Bösen Feinde bekämpfen. Aber weil sie so eifrig sind und keinen Feind übersehen möchten, greifen sie auch noch Gäste und Freunde an, die nur friedlich die Burg besuchen möchten. D kommen zum Beispiel Nüsse, die gar nichts Böses vorhaben, und sie greifen sie an, und da kommen Blumen, die lieb sind, und die machen sie kaputt. Die Ritter meinen das nicht bös, sie haben nur etwas falsch verstanden. Und wenn die richtigen Feinde kommen, sind die Ritter auch noch müde, weil sie die ganze Zeit gegen normale Besucher gekämpft haben. Das ist nicht gut. Darum ruft der König die Ritter zusammen und sagt zu ihnen. ‚Hört mal, ihr macht das schon toll mit den Feinden, aber ihr braucht doch nicht die Freunde anzugreifen, und die Besucher, die sich nur mal umschauen wollen und dann wieder gehen. Die sind uns doch willkommen! Die dürfen reinkommen! Das sind doch unsere Gäste! Jetzt guckt nochmal genau hin, wer die Feinde sind und wer harmlose Gäste sind. Und greift nur die an, die Waffen tragen, und die Unbewaffneten lasst reinkommen. Mit denen können wir feiern und es uns gut gehen lassen!‘ Und ich glaube, danach sind sie Schlitten fahren gegangen.“ „Das letzte war geflunkert“, hat Tim gesagt und hat gekichert. „Ich gebe es zu“, habe ich geantwortet, „aber der Rest ist wirklich wahr.“

Jetzt hat mich Tatjana nochmal angerufen. Sie hat gesagt: „Tim hat im Kindergarten ein Nutellabrot gegessen, und keiner hat es bemerkt. Die Erzieherinnen passen da eigentlich gut auf, und sie halten den Spray immer in Reichweite, damit man Tim bei einem Erstickungsanfall schnell behhandeln kann, wenn er doch einmal Nüsse essen sollte. Jetzt ist ihnen das aber entgangen. Tim hat überhaupt keine Symptome gezeigt und hat weiter gespielt, als ob nichts Besonderes passiert wäre.“

Hinweis: Vorsicht bei schweren Allergien! Die Überprüfung, ob eine Allergie verschwunden ist, kann außerhalb ärztlicher Behandlungen lebensgefährlich sein.

Fersensporn

Eben habe ich mit einem befreundeten Arzt telefoniert. „Ich habe deine Methode verwendet mit den Körperteilen, die miteinander kommunizieren“, hat er gesagt, „das war sehr schön“. „Welche Methode mit den Körperteilen?“ „Ich hatte eine Patientin mit einem schmerzhaften Fersensporn auf beiden Seiten. Sie ist Trainering für Marketingseminare oder so etwas ähnliches. Nachdem ich sie behandelt habe, hat nur noch die eine Seite weh getan. Ich habe ihr gesagt: ‚Wenn der Fuß, dem es gut geht, der Ausbilder wäre und der andere der Schüler, was würden Sie miteinander besprechen?‘ Lassen Sie die beiden doch mal miteinander darüber sprechen, wie der eine Fuß das hingekriegt hat, dass es nicht mehr wehtut und wie der andere Fuß das von ihm lernen kann!“ Die Frau hat mich irritiert angeguckt und nichts geantwortet. Heute kam sie wieder und hat gesagt: ‚Ich muss sagen, ich fand Ihren Vorschlag schon sehr eigenartig. Dann habe ich das beim Spazierengehen ausprobiert, die beiden Füße sich miteinander unterhalten zu lassen. Danach ist es tatsächlich besser geworden. Ich fand das komisch, aber es hat funktioniert.‘ „.

Die Methode stammt allerdings auch nicht von mir. Ich habe sie von Rosemarie Dypka aus Hamburg, die mir erzählt hat, dass sie immer wieder überraschende Ergebnisse erzielt hat, wenn sie die Klienten gebeten hat, die Körperteile auf der „kranken“ und der g“gesunden“ Seite miteinander ins Gespräch zu bringen. Sinngemäß hat sie gesagt: „Bei Symptomen auf nur einer Körperhälfte kann man die Körperhälften miteinander sprechen lassen, damit die Seite, der es besser geht, der anderen etwas beibringt!“

Zahnbehandlung mit Spaßeffekt

Gerade habe ich eine sehr schöne Aufzählung gefunden, wie bestimmte Zahnärzte den Kindern, die sie behandeln, die Welt der Zahnarztpraxis erklären. Die Ideen entstammen den „Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für zahnärztlichen Hypnose“.

Das rotierende Bürstchen zum Zahnreinigen ist ein „Straßenreinigungsauto mit großem runden Besen“. Karies am Zahn ist eine „schmutzige Rille in der Straße“ und der Rosenbohrer ist der „Rillenputzer“. Der Luftpuster ist „Wind“.

Die Kunststoffüllung ist „Zauberknete“, die Polymerisationslampe ist das „Licht der blauen Fee“. Die Behandlungsleuchte ist eine „Zauberlampe“, der Versiegelungskunststoff „Zauberlack“.

Der Mundspiegel ist „Frau Spiegel“, die Sonde ist „Herr Fühlhäkchen“, die Pinzette ist „Frau Greifer“. Die Zange ist der „Rabe“ und der Tupfer sein „weiches Kissen“. Das Gummituch zum Trockenlegen des Zahns ist ein „Regenmantel“.

Der Rosenbohrer ist  ein Löffelbagger oder ein Hubschrauber. Die Turbine ist ein Turbojet.

Die Watterollen sind „Kuschelkissen“, die Matrize eine „Kuchenform“

Der Anästhesiespray ist „Eiscreme“, die Spritze ein „Kitzelkügelchen“.

Der große Absauger ist der „Elefantenrüssel“, der kleine Absauger der „Babyelefantenrüssel“.

Die Säure zum Anätzen ist „Orangensaft“, die Chemikalie zum Befestigen von Kunststoff „Turbokleber“. Das Gummituch zum Trockenlegen des Zahns ist ein „Regenmantel“.

(Signer-Fischer, Gysin, Stein: Der kleine Lederbeutel mit allem drin. Hypnose mit Kindern und Jugendlichen, S. 308)

So eine ähnliche Behandlung würde ich mir als Erwachsener auch wünschen. Die Frage stellt sich aber nicht nur beim Zahnarzt, sondern auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten: Wie erklären wir den Kindern und dem Kind in uns die Welt schmackhaft, liebenswert und schön?

Laufen lernen, und tanzen…

Heute hatte ich eine Frau in Hypnosetherapie, die nach einer Hirnblutung mit halbseitiger Lähmung die Wiedereingliederung ins Berufsleben anstrebt. Sie wollte Unterstützung wegen depressiver Tendenzen, aber auch ein mentales Training, das ihr bei der weiteren Zurückgewinnung ihrer Handlungsfähigkeit auf der rechten Körperhälfte helfen konnte. Sie ist Lehrerin und Mutter zweier Teenager und berichtete mir, dass sie früher gerne geritten und geschwommen sei.

Ich redete mit ihr darüber, dass sie zwei Kindern das Laufen beigebracht habe und wisse, dass es gut ist, die Kinder bei Rückschlägen nicht zu schimpfen, sondern zu ermutigen. Dann erzählte ich ihr etwas über die Mühen des Laufenlernens, wie viele Dinge dabei koordiniert werden müssen, und wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist und wie wunderbar es ist, dass ihre Söhne wie auch sie selbst das gelernt hat. Ich habe ihr gesagt, dass ihre gelähmte Körperseite sei wie eine Tochter, die das Laufen lern, und ihre gesunde Seite wie die Mütter, die das schon könne und der Tochter beibringe, und dass diese Mutter ganz gewiss wisse, wie gut es ist, aus Liebe Geduld mit diesem langen Prozess zu haben und die andere Seite mit genau der Liebe und Geduld beim Lernen zu unterstützen, die sie gegenüber ihren Söhnen gezeigt hatte und gegenüber einer Tochter zeigen würde.

Während ich redete, klingelte ihr Mobiltelefon und zog einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf sich. Der Klingelton war eine Salsamelodie, und so begann ich davon zu erzählen, dass sie diesen Klängen entspannt lauschen könne, und nichts zu tun brauche, sondern nur an einen Urlaub denken in einem Land, in dem diese Musik gespielt wird, oder auch daran, wie sie selbst früher getanzt hat und wieder tanzen wird. Ich erzählte davon, wie die Bewegungen, die sie wieder neu erlernt anfangs nur als Vorstellungen in ihrem Inneren bestehen, aber als Vorstellungen, die Impulse auf ihre Muskeln übertragen, und diese Impulse ziehen immer stärkere Wirkungen nach sich, bis sie in eine sichtbare Muskelbewegung übergehen, selbst dort, wo vorher keinerlei Regung sichtbar war. Während ich redete, begann das Handy wieder zu klingeln, und wieder. Jedesmal, wenn es klingelte, erzählte ich vom Tanzen, das als Vorstellung im Kopf beginnt und das Impulse an die Muskeln erzeugt, die die Beweglichkeit erhöhen, bis sie eines Tages tatsächlich wieder tanzt wie früher. Und zwischendurch erzählte ich davon, wie sie als Kind schon mit großer Mühe das Laufen erlernte, mit vielen Rückschlägen, aber unermüdlich, in dem Wissen, was andere gelernt haben, das lerne ich auch. Ich werde gehen lernen, und laufen lernen, und irgendwann werde ich tanzen.

Kopfpiep und Stilleklang

Diese Woche schrieb mir jemand die folgende E-mail, die ich mit seiner Erlaubnis zitiere…

Sehr geehrter Herr Hammel,

Ich möchte ihnen gerne meine Erfahrung mitteilen mit dem Hören der Stille-Klang-Hördatei, die ich von ihrer Website gedownloadet habe. Ich bin Pianist, habe seit 1 Jahr einen Piep im Kopf, lebe in Holland und bin an allen Therapieformen interessiert die es gibt für Tinnitus.

Nachdem ich bislang immer mit Klangstücke-CDs für Tinnituspatienten meditiert habe, war ihre StilleKlang eigentlich ein Schritt in eine ganz andere Richtung, nämlich Richtung Stille, anstatt den KopfPiep zu maskieren mit anderen Geräuschen / Klängen. Das fand ich faszinierend. Nach 3-maligem Hören hat sich zwar an den Beschwerden noch nichts geändert, wohl aber an meiner Sensibilität für Stille. Das führt dazu, dass ich nun im Alltag oft die Stille dem auflegen einer CD vorziehe, außerdem habe ich einiges aufgeräumt (ge-simplifyt). Das Thema: Musiker und Fehler / vollkommene Musik finde ich interessant.
Auch die Assoziation Hoch – Stille / Freiheit. Mit dem Bild des Aufzugs konnte ich nicht soviel anfangen, auch nicht mit dem 10stöckigen Haus (ich sehe dann immer ein langweiliges Bürogebäude). Ich werde die StilleKlang noch weiter hören, um zu sehen, ob ich noch Neues hinzuentdecke.

Meine Frage nun ist: Vielleicht haben Sie noch ein paar Tips für mich, oder auch Literaturhinweise, haben sie selber etwas geschrieben, oder andere, was zu meiner Situation passen würde?

Liebe Grüsse,

A. P.

Ich schrieb ihm zurück:

Sehr geehrter Herr A. P.,

Literatur zur hypnotherapeutischen Bearbeitung von Tinnitus gibt es fast keine.
Ein Buch von Dr. Steinriede kommt zu dem Ergebnis, man könne die erlebte Lautstärke (resp. Stille 😉 ) regelmäßig nicht beeinflussen, nur den psychologischen Umgang damit. Dem widersprechen die Beobachtungen / Messungen von Dr. Schneider und mir. Die von uns gemessenen Patienten haben nach der Arbeit mehr Stille oder völlige Stille erlebt. Ich arbeite meistens nicht mit einer förmlichen Hypnose und tiefer Trance, sondern mehr mit Alltagstrancen, wie man sie auch sonst beim Tagträumen erlebt. Eine Sammlung von Interventionen, die ich in dem Heidelberger Tinnitusversuch wiederholt verwendet habe, finden Sie skizziert unter: www.hsb-westpfalz.de/das-team/dr-p-schneider/interventionen.html . Ansonsten hier einige „Fragmente“ zur Hypnotherapie bei Tinnitus.

Der amerikanische Hypnotherapie-Entwickler Milton Erickson hat im Rahmen der Trancearbeit mit einem  Tinnitushörer folgende Geschichte verwendet.

Erickson erzählt: Ich gebe dir eine Geschichte, damit du es besser verstehst? wir lernen nämlich Dinge auf eine sehr ungewöhnliche Art, auf eine Art, von der wir nichts wissen. In meinem ersten Collegejahr kam ich an einer Kesselfabrik vorbei. Die Arbeiter waren an zwölf Kesseln gleichzeitig beschäftigt, und sie waren in drei Schichten eingeteilt. Und diese pneumatischen Hämmer schlugen unablässig auf das Metall und trieben Nieten in die Kessel. Ich hörte den Lärm und wollte herausfinden, was es war. Nachdem ich erfuhr, dass es eine Kesselfabrik war, ging ich hinein und konnte darin niemanden reden hören. Ich konnte sehen, wie die verschiedenen Angestellten Gespräche führten. Ich konnte sehen, wie sich die Lippen des Vorarbeiters bewegten, aber ich konnte nicht hören, was er zu mir sagte. Er hörte, was ich sagte. Ich bat ihn nach draußen, damit ich mit ihm reden könnte. Und ich bat ihn um Erlaubnis, meine Decke mitzubringen und dort für eine Nacht auf dem Boden zu schlafen. Er dachte, mit mir stimmt etwas nicht. Ich erklärte, dass ich ein angehender Medizinstudent sei und dass ich an Lernprozessen insteressiert sei. Und er erlaubte mir, dass ich meine Decke mitbringen und auf dem Boden schlafen dürfte. Er erklärte es allen Arbeitern und ließ einen Zettel für die nächste Schicht da. Am nächsten Morgen wachte ich auf. Ich konnte hören, wie die Arbeiter über diesen bescheuerten Jungen redeten. Warum zum Teufel schlief er hier auf dem Boden? Was wollte er denn dabei lernen? Im Schlaf während der Nacht blendete ich all diesen schrecklichen Lärm von zwölf oder mehr pneumatischen Hämmern aus und ich konnte menschliche Stimmen hören.

Ich wusste, es ist möglich, zu lernen, nur bestimmte Geräusche zu hören, wenn du deine Ohren richtig einstellst. Du hast ein Piepen in den Ohren, aber du hast noch nicht daran gedacht, die Ohren so einzustellen, dass du das Piepen nicht mehr hörst. Und wenn du zurückblickst, dann sind da eine Vielzahl von Zeiten, an denen du heute aufgehört hast, das Piepen zu hören. Es ist schwierig, sich an Dinge zu erinnern, die nicht auftreten. Aber das Piepen hat aufgehört. Aber weil nichts da war, erinnerst du dich nicht mehr daran? Nun ist das Wichtige, die Sache mit dem Piepen zu vergessen und sich an die Zeiten zu erinnern, als kein Piepen da war. Und das ist ein Lernprozess. Ich habe in einer Nacht gelernt, nicht mehr die pneumatischen Hämmer in der Kesselfabrik zu hören ? und ein Gespräch zu hören, das ich am vorigen Tag nicht hören konnte? ich wusste, was der Körper automatisch tun kann? Nun verlasse dich auf deinen Körper. Vertraue ihm. Glaube an ihn. Und wisse, dass dir das ausgezeichnet helfen wird.
(M.H.Erickson, in: D.C.Hammond, Handbook of Hypnotic Suggestions and Metaphors, 266)

Einige Interventionen von mir habe ich in kurzen Geschichten skizziert:

„Treiben Sie Sport?“ „Taekwondo.“ „Welcher Gürtel?“ „2. Dan.“ „Gut. Hören Sie zu. Stellen Sie sich vor, Ihr linkes Ohr, das die Stille gut kennt, ist der Meister. Ihr rechtes Ohr, das den Tinnitus kennt, ist der Schüler. Was kann der Meister den Schüler lehren, und was möchte der Schüler von seinem Meister lernen?“ „Konzentration.“ „Gut. Hören Sie dem Meister für eine Zeitlang zu, und schauen Sie ihm zu, wie er den Schüler unterweist. Beobachten Sie den Schüler, wie er auf seinen Lehrer hört und seinen Anweisungen folgt. Was nehmen Sie wahr?“ „Jetzt ist es still.“ (S.Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens, 84)

Sie liebte es, in die Disco zu gehen. Wenn ihre Eltern sie abholten, wunderten sie sich jedes Mal: „Wie kannst du es aushalten bei dem Krach?“ Doch sie wusste: Laut ist die Musik nur am Anfang. Schon bald ist das Laute nicht mehr laut. Das Ohr stellt die Lautstärke nach.
Sie liebte es, abends im Bett noch leise Radio zu hören. Zwar hatten ihr die Eltern das verboten, wenn sie am nächsten Tag Schule hatte, doch stellte sie das Radio so leise ein, dass sie fast nichts mehr hörte. Sie wusste: Leise ist die Musik nur am Anfang. Schon bald ist das Leise nicht mehr leise. Noch mehrere Male kann sie das Radio noch leiser stellen, und immer noch hört sie alles genau. Denn das Ohr stellt die Lautstärke nach.

Als wir das erste Mal mit der Behandlung von Tinnitus experimentierten, ließ ich den Probanden auf einer Skala von 0 bis 10 die aktuelle Lautstärke bewerten. Es gelang uns, seinen Tinnitus zu reduzieren.
Den nächsten Probanden ließ ich die Leisheit beurteilen. Der Proband fand diese Vorstellung etwas mühsam, doch wir erreichten, dass der Tinnitus völlig verschwand.
Die dritte Probandin ließen wir nach jeder Intervention auf einer Stilleskala den Grad der bereits erreichten Stille skalieren. Das Arbeiten wurde nochmals leichter. Auch diese Probandin verlor ihren Tinnitus ganz.

Einer Therapeutin, die zum Thema nachgefragt hat, habe ich geschrieben:

„Den Tinnitus betreffend denke ich: Erfragen sie, wonach er klingt, z.B. nach einem Bienenkorb, einem hohen elektrischen Ton oder dem Brummen eines Motorfliegers – und machen Sie dann mit der Klientin eine Reise zu einem Ort, wo dieses Geräusch vorkommt und seinen Sinn hat.
Oder lassen Sie die Klientin ein Gerät konstruieren bzw. ein Tier erfinden, das genau dieses Geräusch macht und lassen Sie sie das Gerät oder Tier in allen Einzelheiten beschreiben.
Kommen Sie dann auf Eigenarten und Fähigkeiten des Gerätes oder Tieres zu sprechen, die therapeutisch nützlich sind (Produktions- / Reparaturwerkzeug / Jagdinstinkt, mütterliche Fürsorge, bei Fledermäusen Nutzung des hohen Tones zum Orten von Beute und Artgenossen, bei Delfinen zur Verständigung, bei einer Hundepfeife Signalfunktion).
Sie können Trance auch erzeugen, indem Sie die Frau bitten, sich nur auf den Klang des Tons zu konzentrieren und vor diesem Hintergrund allmählich immer deutlicher Ihre Worte zu bemerken.
Sie können die Trance durch Dissoziation vertiefen, wenn sie suggerieren: ‚Während ein Teil Ihrer Aufmerksamkeit sich ganz auf diesen Ton konzentriert, ist ein anderer Teil mit dem beschäftigt, was ich sage.'“

Viele Grüße,
Stefan Hammel

Das Symptom wegsingen

Neulich hat mir ein Freund die folgende Geschichte erzählt…

„Wir gingen spazieren. Meine Frau Carola hatte einen starken Schluckauf. Ich fing an, im Rhythmus zu unseren Schritten zu singen und bat sie darum, ihren Schluckauf in das Lied einzubringen, indem sie ihn rhythmisch zwischen den Liedzeilen einfügte. Beim ersten Mal kam der Schluckauf genau an der richtigen Stelle. Ich lobte sie und forderte sie auf, so weiter zu machen. Beim zweiten Mal musste ich warten, bis sie ihren Schluckauf eingefügt hatte. Ich bat sie um eine korrekte Beachtung des Taktes. Innerhalb von weniger als einer Minute verschwand der Schluckauf.“

Die Geschichte illustriert eine  Interventionsform aus der systemischen Therapie (wie auch aus der Hypnotherapie Milton Ericksons), die Symptomverschreibung. In diesem Beispiel wird das Symptom nicht nur gefordert, sondern außerdem noch instrumentalisiert und ritualisiert. Dabei wird das zunächst unwillkürlich auftretende Symptom in den Dienst absichtsvollen Handelns gestellt. Weil es nicht möglich ist, einen Schluckauf bewusst zu gestalten, kollabiert das Symptom.

Der Stilleaufzug

Mit einem Tinnituspatienten, den ich zur Zeit begleite, mache ich eine Wahrnehmungsübung. Oder sollte ich eher sagen: Ausblendungsübung? Ich nenne sie den Stilleaufzug. Diese Übung geht so…

Stell dir einmal vor, du stehst vor einem Aufzug der Stille. Das Haus hier hat zehn Stockwerke, und mit jedem Stockwerk, das du höher fährst, wird der Grad der Stille leiser, mit jedem Stock leiser und leiser… Ich weiß nicht, in welchem Stockwerk dieses zehnstöckigen Gebäudes du die Fahrt nach oben in das Reich der Stille gleich beginnst, aber ich bin ganz sicher, dass du es weißt…
Stell dir vor, das ist wie ein innerer Zeichentrickfilm, und in diesem Film geschieht alles, wie du es möchtest, denn dieser Aufzug gehört dir, und du kannst dir dazu alles vorstellen, was dir gefällt. Es ist dein Stilleaufzug, den dein Gehirn produziert, und dein Gehirn gehört dir, und du bist der Produzent dieses Films, den dein Gehirn jetzt für dich exklusiv produziert, und du siehst diesen ganz besonderen Film zum ersten mal, und dieser Film zeigt dir etwas ganz Außergewöhnliches…
Sonst sieht dieser Aufzug ja wie ein normaler Aufzug aus. Aber dann drückst du den Knopf in das nächste Stockwerk. Der Aufzug setzt sich in Bewegung, er kommt wieder zur Ruhe. Schau einmal: In welchem Stockwerk befindest du dich? Bist du schon im Zehnten oder möchtest du vielleicht gerne dorthin? Besichtige doch nun einmal den zehnten Stock. Genau… Du kannst dich dort ganz kurz oder lange aufhalten. Du kannst nur hineinschnuppern oder kannst dich dort in Ruhe umsehen. Und während ein Teil von dir, wenn es möchte, hier noch ein wenig verweilen kann, möchte ich ein anderer Teil von dir auf eine Eigenart dieses Gebäudes aufmerksam machen.
Dieses Haus hat nämlich eine Dachterrasse. Schaue sie dir einmal an! Während du nämlich den Blick von dieser Dachterrasse genießt, bemerkst du etwas sehr Erstaunliches. Dieses Haus hat nämlich in seinen Kellerstockwerken eine besondere Mechanik. Und dieses Haus beginnt sich nun ganz sanft und angenehm abzusenken, so dass die Dachterrasse der Stille bald ebenerdig sein wird, so dass du die Stille des elften Stocks, wenn du aus deinem Traum erwachst, gleich auch auf der ebenen Erde genießen kannst. Und in dieser völligen Stille wirst du genau das in vollkommener Klarheit hören, was auch andere Menschen hören, und einige bestimmte Dinge, die du nicht mehr brauchst, weil andere Menschen sie auch nicht brauchen, die bleiben in dieser vollkommenen Stille, weil du den elften Stock der Stille gleich auch auf ebener Erde haben wirst. Und dein Gehirn wird alles so für dich regeln, wie es am besten für dich ist und äußerst angenehm… Du kommst nun auf der ebenen Erde an. Du verlässt die Plattform und begibst dich auf einen schönen kleinen Rundgang, auf dem sich alles für dich vervollkommnet, so wie du es brauchst.

Eine Hypno-MP3 mit verschiedenen Übungen zum Thema, unter anderem auch dem Stilleaufzug, findet ihr übrigens hier.

Vom Problem, ohne Problem zu sein

Gestern hatte ich hier eine Therapiestunde mit einem 19-jährigen jungen Mann, der etwa ein Dreivierteljahr unter Depressionen gelitten hatte und zuletzt zunehmend suizidal gewesen war. Die Therapie war sehr gut verlaufen, wir hatten innerhalb weniger Sitzungen die Depression weitgehend auflösen können. In der gestrigen Therapiestunde, etwa drei Monate bzw. sechs Sitzungen nach dem Höhepunkt der Depression, sagte er: „Mir geht es richtig gut. Allerdings… ich habe eine Sendung gesehen, wo berichtet wurde über Leute, die die Diagnose AIDS bekommen haben und dann nach einem Vierteljahr erfahren haben, dass sie die Krankheit doch nicht haben. Sie haben daraufhin eine Identitätskrise bekommen und richtig Probleme gehabt, mit der neuen Situation fertig zu werden. Sie hatten sich schon so mit ihrer Krankheit identifiziert, dass es schwierig war, sich plötzlich als gesund zu sehen. So ähnlich geht es mir. Ich merke, dass ich ins Schwimmen komme und erst herausfinden muss, wer ich ohne Depression bin.“

Vielleicht hätte ich ihm die Geschichte vom Zölibat erzählen sollen. Ich habe sie für mich behalten und mit ihm vereinbart, dass er das Problem, ohne Problem zu sein ohne mich lösen wird. Wir haben die Therapie beendet. Gerade stelle ich fest, dass ich die Geschichte vom Zölibat hier im Blog noch gar nicht erzählt habe. Ich erzähle sie euch also morgen. Bis dann also…

Hypnotherapie bei Brustkrebs?

Von einem Bekannten habe ich letzte Woche die folgende E-mail erhalten. Seine Frau (etwa 35 Jahre alt) war zu mir in Therapie gekommen, nachdem ein aggressives Karzinom in der Brust gefunden worden war, das bereits im Bereich der Brust gestreut hatte. Ihr Anliegen war, dass ich mit hypnotherapeutischen Mitteln die medizinische Behandlung unterstützen sollte. Sie hatten sich, dem Rat der behandelnden Ärzte folgend, für eine Brustamputation entschieden, wollten jedoch, gegen deren Meinung, keine Chemotherapie machen und nicht an der Erprobung eines neuen Medikamentes teilnehmen. Die Namen sind, wie üblich, verändert.

Hallo Stefan,

vielen herzlichen Dank für Deine Unterstützung!
Anke ist noch im Krankenhaus und kann den Termin morgen nicht wahrnehmen.
Nach der OP war sie sichtlich erleichtert. Sie sagte mir, dass Abendbrot hätte ihr so gut geschmeckt, wie die letzten 3 Wochen nicht mehr. Der Schnellbefund hat ergeben, dass die Wächtelymphknoten „heil“ sind. Das gibt uns ein ganzes Stück Beruhigung. Wir sind sicher, den richtigen Weg genommen zu haben.
Ich kann es kaum in Worte fassen. Die Prognosen sahen anders aus. Ich bin überzeugt, dass das Gebet und Deine Therapie Wunder bewirkt haben. Bei dem Endergebnis bin ich zuversichtlich, dass dies ebenfalls positiv ausfällt.
Das muss ich noch loswerden: Nachdem ich die Geschichten in Deinem Buch verschlungen habe (die mit der Brille als Krücke) hatte ich immer mehr den Anschein, dass auf meiner Brille ein weißer Schleier liegt, obwohl ich sie geputzt habe.
Seit Sonntag hatte ich diese nicht mehr auf der Nase. Ich fühle mich richtig gut damit.

Liebe Grüße

Peter

Ich möchte ein paar Gedanken zum Verfahren anschließen: In der Therapie habe ich die Frau unter anderem gebeten, sie möge…

  • ihr Immunsystem dafür loben, dass es schon lebenslang fast alle Krebszellen aussortiert und abgesondert hat
  • die Krebszellen auffassen als solche, die als Freunde des Körpers in bester Absicht etwas gewaltig übertreiben
  • allen Zellen ausrichten, sie sollen wachsen, bis sie an eine andere Zelle stoßen und dann aufhören
  • den Krebszellen erlauben, sich zurückzubilden und am Leben zu bleiben, oder
  • andernfalls dürfe der Körper sie beseitigen.
  • sich regulierende Bilder vorstellen, die ihre Körperfunktionen neu aufeinander abstimmen, zum Beispiel die Wirkung von Ventilen.

Das hypnotherapeutische Verfahren war sehr ähnlich demjenigen bei einem anderen Patienten, von dem ich (auf dessen ausdrückliche Aufforderung hin) neulich berichtet habe.

Vorgestern hat Peter angerufen und mir mitgeteilt, dass die Laborbefunde vorliegen. Der entfernte Tumor werde nicht mehr als G3 sondern als G2 bewertet. Das heißt, dass sich der Tumor in der Laborauswertung als weniger verwachsen und verzweigt darstellt als in den Voruntersuchungen. Er wird daher, grob gesprochen, als weniger aggressiv angesehen. G1 steht für leichte, G 2 für mittlere, G3 für starke und G4 für extreme Verwachsungen.