Noten

Herr Gundolf sagte: „Auf der Suche nach einem Leben, das die Note Eins verdient, habe ich ein Leben erhalten, das die Note Vier verdient.“ Ich antwortete: „Wenn du jetzt nach einem Leben suchst, das die Note Drei verdient, kannst du eines erhalten, das die Note Zwei verdient.“

Schießübung

Als ich ein Kind war, hat mir mein Großvater die folgende Geschichte erzählt:

„Zur Vorbereitung auf den Krieg machten wir Schießübungen. Einige Kameraden schossen so oft wie möglich ins Schwarze. Sie kamen an die Front. Die meisten von ihnen starben. Andere Kameraden schossen absichtlich daneben. Sie überlebten den Krieg.“

Ich erzähle die Geschichte manchmal Leuten, die sich durch ihr berufliches Engagement möglicherweise selber schaden. Man kann sie auch Menschen erzählen, die sich ritzen, und ebenso Leuten, die auf andere Art sich oder andere verletzen – körperlich oder seelisch. Dann enthält die Geschichte die Aufforderung an das Unbewusste, die längst bestehende Ambivalenz zwischen Verletzen und Nicht-Verletzen so zu regeln, dass man – wenn überhaupt – nur dem Anschein nach verletzt, ohne die Absicht zu verfolgen, zu treffen. In einigen Mobbingsituationen ergibt die Geschichte ebenfalls viel Sinn.

Die Dicke und die Dünne

Hier habe ich eine Geschichte für Anorektikerinnen.

Es gibt zwei Welten. Es muss zwei Welten geben, denn wir reden nicht von der gleichen Welt. Wir reden von verschiedenen Welten.
In der Innenwelt wohnt die Dicke. Die Dicke ist nicht besonders beliebt. In der Innenwelt ist sie verachtet, und die in der Außenwelt behaupten, es gäbe sie nicht.
In der Außenwelt wohnt die Dünne. Auch die Dünne ist nicht sehr beliebt, denn in der Außenwelt macht sie allen Leuten Sorgen, und in der Innenwelt glaubt man nicht an sie.
Die Dicke aus der Innenwelt glaubt nicht an die Dünne von der Außenwelt. Sie wundert sich nur, dass ihr Leute begegnen, die behaupten, dass sie sie täglich treffen.
Die Dünne aus der Außenwelt glaubt auch nicht an die Dicke von der Innenwelt. Sie wundert sich nur, dass die Person, die es am meisten betrifft, erklärt, dass sie die Dicke täglich sieht.
Wer hat nun recht? Die an die Dicke glauben, oder die an die Dünne glauben?
In den Köpfen von Menschen gibt es beide, die Dünne und die Dicke. Sie wohnen nur in verschiedenen Welten. Sie leben auf verschiedenen Planeten.
Im Zeitalter der Technik ist der Besuch anderer Planeten eine Frage der Transportmittel. Ich kann mir vorstellen, ich besteige eine spezielle Kapsel, die mich für eine begrenzte Zeit von der Innenwelt hinüberbringt zur Außenwelt. Das könnte angenehm sein, denn auf dem Weg dorthin bin ich die Dicke los, von der ich lang schon Urlaub machen möchte. Der Preis, den ich dafür zu zahlen habe, ist, dass ich bei einem Besuch in der Außenwelt der Dünnen begegnen könnte, an die ich nicht glaube und vielleicht auch gar nicht glauben möchte. Und die Dünne sieht ja angeblich schlimm aus, aber wer weiß. Ich stelle mir vor, dass gleichzeitig mit mir, sozusagen im Austausch, von der Außenwelt ein zweites Raumschiff startet, das zur Innenwelt fliegt und einen Urlaubsbesuch in der Welt der Dicken macht. Dann können sie sich einmal vorstellen, wie es ist, Tag für Tag mit ihr zusammen zu wohnen und bestreiten nicht mehr, dass sie da ist.
Ich werde diese Reise nur wenige Male machen. Wozu soll ich mich dieser Mühe unnötig oft unterziehen? Denn später schicke ich die Dicke selbst auf die Reise zu der Dünnen, damit sie sich austauschen und voneinander lernen. Denn ich möchte, dass die Dicke von der Dünnen lernt, und die anderen möchten, dass die Dünne von der Dicken lernt. Ich bleibe zuhause und mache Urlaub von der Dicken.
Wenn sich die beiden miteinander austauschen und in der Mitte treffen, auf halbem Weg… von wegen halb: sie könnten sich ja auch an einem dritten Planeten treffen, wie Unterhändler, die an einem dritten Ort ein Mittel finden, das die Gläubigen im Reich der Dicken und die Gläubigen im Reich der Dünnen zu einer Gemeinschaft macht, und sie gründen miteinander den Es-ist-ganz-anders-Planeten. Und sie wohnen miteinander auf dem Es-ist-ganz-anders-Planeten und tauschen und teilen alles miteinander. Und auf dem Es-ist-ganz-anders-Planeten gibt es keine Innenwelt und keine Außenwelt, und die Dicke und die Dünne geben sich die Hand und folgen einem anderen, einem ganz eigenen Weg.

Vom Segen der Überarbeitung

Oft habe ich mich gefragt, warum einige Menschen pausenlos hektisch erscheinen und stets einen dicht gefüllten Schreibtisch und Kalender haben und immer wieder von Überarbeitung reden, und doch im Ergebnis nicht mehr leisten als andere, denen Zeit für Pausen und Erholung übrig bleibt.
Es scheint so, dass Überarbeitung ein guter Schutz ist. Zum einen macht das Herumwirbeln einen äußerst wichtigen Eindruck – wer so am Schaffen ist, wirkt geradezu unentbehrlich. Wer überarbeitet ist und schon klagen muss über die Last des Geleisteten, dem wird man leichter ein paar Fehler nachsehen. Er darf hoffen, als bewunderns- oder bedauernswert betrachtet zu werden. Wenn ein solcher Mensch mit seiner Arbeit nie ganz fertig wird, wird sie womöglich dann an andere weitergeleitet. Zumindest kann er erwarten, von neuen Aufträgen abgeschirmt zu werden. Im Laufe der Zeit wird sein Aufgabengebiet immer enger beschrieben werden oder zumindest dürften nicht viele neue Aufgaben hinzukommen. Andererseits wird er dafür sorgen, dass ihm nicht zu viel Arbeit abgenommen wird, so dass ihm die Vorteile der Überlastung womöglich abhanden kämen. Wenn Entlassungen drohen, wird ein Mensch, dessen Arbeit schon wegen ihrer Menge ins Auge fällt, gern für unabkömmlich gehalten. Doch auch als Selbständiger oder als Beamter bleibt ihm das gute Gewissen, alles Leistbare getan und gewiss nichts versäumt zu haben, indem er die verfügbare Zeit möglichst restlos mit seinen Tätigkeiten gefüllt hat.
Wie viele Nachteile hätte es aber, dasselbe Ergebnis in kürzerer Zeit zu erreichen und sich womöglich zwischendurch ein wenig auszuruhen oder Konzepte auszuarbeiten, wie die Arbeit noch entspannter noch effektiver geleistet werden könnte. Da blieben Neid und Anfeindungen nicht aus! Doch schlimmer wäre der Kampf des Gewissens mit jener unheilvollen inneren Stimme: „Wer Pausen macht, ist faul.“ Ich bin überzeugt: Wer möglichst entspannt und mit dem geringsten Aufwand viel erreichen will, der braucht eine große Portion Charakter.

S. Hammel, Der Grashalm in der Wüste, S. 29.

Bergwanderung

Eine Kollegin hat mir vor ein paar Tagen die folgende Geschichte gemailt.

Eine Frau um die 60, nicht mehr ganz gesund und mobil, nimmt an einer Bergwanderung teil. Dabei sind auch Einheimische. Die „Fremden“ stürmen nun schnellen Schrittes dem Gipfel entgegen. Sie haben es eilig. Die Frau kommt nicht mehr mit. Es ist zu anstrengend für sie. Sie kann ja auch nicht mehr so gut laufen. Aber die Gruppe drängt vorwärts, niemand nimmt Rücksicht auf sie. Traurig fällt sie immer mehr zurück. Da wird sie von einer Einheimischen angesprochen: „Lassen Sie die nur rennen. Die kriegen ja gar nichts mit. Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles.“ Während die Frau nun langsam und in Ihrem Tempo weitergeht, bekommt sie die Schönheiten der Landschaft gezeigt, wird ihr vieles erklärt und erzählt. Und sie erholt sich. Auch sie kommt am Gipfel an. Sicher später, allerdings um vieles reicher.

Wahre Geschichte.

Grunzen

Gestern war ich auf einer Hochzeit und habe dort alte Freunde wieder getroffen. „Unsere achtjährige Tochter Lisa hat einen Tic entwickelt“, sagten sie. „Sie macht immer so ein scheußliches Grunzen, vor allem beim Essen. Kann man da nicht etwas machen?“ „Lass uns mal überlegen“, sagte ich und wir besprachen miteinander verschiedene Ideen. Später auf dem Spielplatz zeigte ich Lisa, dass bei mir ein Grunzen entsteht, wenn ich mir auf die Nase drücke, und dass bei einem Druck auf die Nase ihrer Eltern ein anderes Grunzen zu hören ist. Ich drückte ihre Nase und lernte so ihr Grunzen kennen. Wir fanden heraus, dass man die Nase durch wiederholtes Drücken leer grunzen kann, so dass für eine Weile nichts mehr kommt. Vor dem Abendessen grunzten wir uns also erst einmal leer. Wir fanden auch heraus, dass sie, wenn sie sich selbst die Nase drückt, nur ganz leise grunzt. Dann legten wir fest, dass zu jedem Nasedrücken ein Grunzen gehört, und natürlich auch umgekehrt zu jedem Grunzen ein Nasedrücken. Wenn sie also grunzt, solle sie sich also anschließend gleich auf die Nase drücken, damit das Verhältnis zwischen Drücken und Grunzen wieder stimmt. Besser aber sei es, immer schon vorher zu merken, wenn ein Grunzen kommt und sich davor schon die Nase zu drücken, damit das Grunzen, wie es sich gehört, eine Folge des Drückens ist. Sie müsse also lernen, sich immer vorher schon auf die Nase zu drücken. Ich schärfte Lisa ein, dass das ganz wichtig sei. Wir hatten viel Spaß miteinander, aber ich glaube, sie wird nicht mehr viele Tage beim Essen grunzen.

Von Beten, Arbeiten, Genuss und Sünde

„Darf ich beim Beten rauchen?“,  fragte ein Mönch den Abt. „Nein“, sagte der Abt. „Darf ich beim Rauchen beten?“, fragte ein anderer den Abt. „Ja“, sagte der Abt. (Anonym überliefert)

Das Schlechte zu verbessern ist etwas anderes, als das Gute zu verschlechtern, selbst wenn es bei oberflächlicher Betrachtung das Gleiche zu sein scheint. Gleich ist die Erscheinung, ungleich die Haltung und die Auswirkung auf das weitere Denken und Verhalten.

Ein Mensch, der die Schönheit der Bäume vor seinem Büro bewundert und dabei seine Arbeit macht, erlebt etwas anderes als einer, der seine Arbeit macht und dabei (vielleicht noch) die Schönheit der Bäume sieht. Derjenige, der das offiziell Wichtige, aber nicht Lustbetonte als Begleitmusik neben dem offiziell Unwichtigen, aber Schönen laufen lässt, hat wesentlich mehr psychische Energie zur Verfügung, als der, der es umgekehrt macht. Daher wird er seine Arbeit selbst nebenbei besser machen, als der andere, für den die „hochwertige“ Arbeit absolut im Vordergrund steht. Das gilt besonders bei kundenorientierten, sozialen und burnoutgefährdeten Tätigkeiten, wo „gute Stimmung“ direkt zur Qualität der Arbeit beiträgt.

Eine Arbeit gelingt am besten, wenn sie mental, sozial und organisatorisch so arrangiert ist, dass sie Spaß macht.

Schaffe psychische Energie, und du bekommst Qualität.

Tourette

Ein befreundeter Arzt erzählte mir Folgendes über seine 15-jährige Tochter. 

Chrissi war nicht immer ganz höflich zu ihren Familienangehörigen. „Vielleicht hast du ja ein Tourette-Syndrom“, neckte sie ihr großer Bruder, der Medizin studiert. „Ist mir doch scheißegal, ob ich ein verficktes Scheiß-Arsch-Tourette-Syndrom habe“, sagte Chrissi.

Wer dazu eine Erklärung möchte, schaut nach bei Wikipedia.

Interessenverschiebung

Nach einer langen Zeit im Koma kehrte mein Onkel Dennis mit einer geistigen Behinderung ins Leben der Menschen zurück. Vieles hatte er vergessen und vieles war ihm gleichgültig geworden. Oft deutete er mit dem Finger zum Himmel: „Schau, eine F-14 Tomcat Maschine! Sieh mal, ein Apache-Helicopter!“ Und er beschrieb die Triebwerkstypen, Leistung, Traglast, Cockpitausstattung, Besatzung und Bewaffnung der vorbei fliegenden Maschinen. „Er war im Koreakrieg“, sagte seine Frau. „Aber ich wusste nicht, dass etwas darüber weiß. Wir sind seit 30 Jahren verheiratet, und er hat sich nie dafür interessiert.“

Die Geschichte kann in der Beratung dazu dienen, um deutlich zu machen, dass die Menschen in unserer Umgebung verborgene Fähigkeiten haben, von der die Umgebung nichts weiß – manchmal über Jahrzehnte hinweg. Wir können nicht beurteilen, was ein anderer nicht kann bzw. nicht weiß, und wir haben nur bruchstückhafte Information darüber, was er kann und weiß. Dies gilt besonders bei der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern, mit „psychisch Kranken“ und „Behinderten“.

Lesenswert: Gesundheit für Körper und Seele

Louise L. Hay ist eine Meisterin der Hypnotherapie und des Mentaltrainings. Im Bereich der Denk- und Lebensgewohnheiten und der körperlichen Gesundheit hat sie eine psychosomatisch orientierte Therapie begründet. Dazu gehört für sie eine Annäherung, vielleicht auch Verschmelzung, von therapeutischen, wissenschaftlichen und religiösen Ansätzen in der Therapie. Ihr Ansatz ist revolutionär – man muss aber wohl berücksichtigen, dass Äußerungen revolutionärer Art plakativ, parteiisch und leidenschaftlich zu sein pflegen. 24 Jahre nach der ersten Veröffentlichung ihres Buches „Gesundheit für Körper und Seele“ hat dieses nichts von seiner Kraft eingebüßt – nur wir selbst mögen differenzierter geworden sein, indem wir das Psychosomatische wichtiger nehmen als früher, zugleich aber auch die Grenzen des psychosomatischen Denkens deutlicher im Blick haben.

Die wissenschaftlich orientierte Hypnotherapie ist in den letzten Jahren mit den Geistheilern und Schamanen anderer Kulturen in Dialog getreten, um das Gemeinsame der beiden Ansätze zu finden, um voneinander zu lernen und Respekt für einander zu entwickeln. So gewinnt auch das spirituell orientierte Hypnotherapiekonzept von Louise L. Hay an Relevanz für eben diesen Dialog. Daneben enthält das Buch viele therapeutische Techniken, die in anderen Schulen nicht bekannt sind und damit eine wertvolle Ergänzung für das eigene Programm darstellen.

Louise L. Hay, Gesundheit für Körper und Seele, Berlin (Ullstein) 2004