Wie sind wir nur hier hergekommen?

Auch heute ist mir nichts eingefallen. Dabei ist Weihnachten und ich wollte euch etwas schreiben. Ich kann es nicht ändern, dass mir manchmal nichts einfällt, und ich hatte mich auch gerade damit abgefunden. Aber dann ist etwas Merkwürdiges passsiert. Als ich eben meine Weihnachtskrippe betrachtet habe, da haben zwei der Figuren plötzlich zu sprechen begonnen. Ich habe mir notiert, was die beiden gesagt haben und gebe es euch gleich auf der Stelle wortgetreu wieder. Weiterlesen

Schafsgespräche

Wir befinden uns im Jahre 5 v. Chr. Ganz Galiläa, –  Judäa und Samaria ist von den Römern besetzt… Ganz Galiläa, Judäa und Samaria? Nein! Ein von unbeugsamen Galiläern bevölkerter Stall hat begonnen, der Hoffnungslosigkeit Widerstand zu leisten. Und das Leben dort ist nicht leicht, übrigens auch nicht für die Schafe, die auf den Feldern rund um Bethlehem lagern. Nehmen wir zum Beispiel zwei Schafe namens Sara und Esther… Weiterlesen

Kein Platz in der Herberge

„Die Leute hatten kein Geld. Wie konnte ich wissen, dass das Kind etwas Besonderes werden sollte… ein König oder so… es stand den Eltern ja nicht auf die Stirn geschrieben…
Seien Sie mal ehrlich, das ist doch bei Ihnen nicht anders: Geschäft ist Geschäft. Klar hatte ich Räume. Ich wollte das dann aber auch nicht so sagen: „Wir wollen Sie nicht!“ Da sagt man dann lieber: „Wir sind leider belegt.“ Jetzt gucken Sie mich nicht so an. Als wäre das bei Ihnen anders. Was würden Sie denn machen, wenn so ein paar zerlumpte Gestalten zu Ihnen an die Rezeption kommen und ihnen sagen: „Wir möchten ein Zimmer, aber wir haben kein Geld.“ Würden Sie die nehmen? Die ortsüblichen Preise konnten sie jedenfalls nicht zahlen. Das waren auch Ausländer, oder jedenfalls kamen sie nicht hier aus der Gegend. Irgendwie haben sie mir ja dann auch leid getan. Die waren fertig.
Ich hab dann gesagt: „Für den halben Denar kann ich Ihnen höchstens mal den Stall anbieten.“ Jetzt gucken Sie schon wieder so. Bei Ihnen ist das auch nicht anders. Schauen Sie sich doch mal um…
Lesen Sie eigentlich Zeitung? Da müssen Sie doch wissen, was los ist. Die Bahnhofsmissionen werden geschlossen, die Aussiedlerwohnheime sind schon lange zu, ein Asylrecht gibt’s nicht mehr. Für Frauenhäuser ist kein Geld mehr da… meinen Sie denn, die Armen und Wohnsitzlosen hätten irgendwo etwas zu lachen? Weiterlesen

Laufen lernen, und tanzen…

Heute hatte ich eine Frau in Hypnosetherapie, die nach einer Hirnblutung mit halbseitiger Lähmung die Wiedereingliederung ins Berufsleben anstrebt. Sie wollte Unterstützung wegen depressiver Tendenzen, aber auch ein mentales Training, das ihr bei der weiteren Zurückgewinnung ihrer Handlungsfähigkeit auf der rechten Körperhälfte helfen konnte. Sie ist Lehrerin und Mutter zweier Teenager und berichtete mir, dass sie früher gerne geritten und geschwommen sei.

Ich redete mit ihr darüber, dass sie zwei Kindern das Laufen beigebracht habe und wisse, dass es gut ist, die Kinder bei Rückschlägen nicht zu schimpfen, sondern zu ermutigen. Dann erzählte ich ihr etwas über die Mühen des Laufenlernens, wie viele Dinge dabei koordiniert werden müssen, und wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist und wie wunderbar es ist, dass ihre Söhne wie auch sie selbst das gelernt hat. Ich habe ihr gesagt, dass ihre gelähmte Körperseite sei wie eine Tochter, die das Laufen lern, und ihre gesunde Seite wie die Mütter, die das schon könne und der Tochter beibringe, und dass diese Mutter ganz gewiss wisse, wie gut es ist, aus Liebe Geduld mit diesem langen Prozess zu haben und die andere Seite mit genau der Liebe und Geduld beim Lernen zu unterstützen, die sie gegenüber ihren Söhnen gezeigt hatte und gegenüber einer Tochter zeigen würde.

Während ich redete, klingelte ihr Mobiltelefon und zog einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf sich. Der Klingelton war eine Salsamelodie, und so begann ich davon zu erzählen, dass sie diesen Klängen entspannt lauschen könne, und nichts zu tun brauche, sondern nur an einen Urlaub denken in einem Land, in dem diese Musik gespielt wird, oder auch daran, wie sie selbst früher getanzt hat und wieder tanzen wird. Ich erzählte davon, wie die Bewegungen, die sie wieder neu erlernt anfangs nur als Vorstellungen in ihrem Inneren bestehen, aber als Vorstellungen, die Impulse auf ihre Muskeln übertragen, und diese Impulse ziehen immer stärkere Wirkungen nach sich, bis sie in eine sichtbare Muskelbewegung übergehen, selbst dort, wo vorher keinerlei Regung sichtbar war. Während ich redete, begann das Handy wieder zu klingeln, und wieder. Jedesmal, wenn es klingelte, erzählte ich vom Tanzen, das als Vorstellung im Kopf beginnt und das Impulse an die Muskeln erzeugt, die die Beweglichkeit erhöhen, bis sie eines Tages tatsächlich wieder tanzt wie früher. Und zwischendurch erzählte ich davon, wie sie als Kind schon mit großer Mühe das Laufen erlernte, mit vielen Rückschlägen, aber unermüdlich, in dem Wissen, was andere gelernt haben, das lerne ich auch. Ich werde gehen lernen, und laufen lernen, und irgendwann werde ich tanzen.

Volkszählung

Die Verwaltungsangestellte schüttelt den Kopf: Einen Reisepass? Den holen Sie bitte in Zimmer  402.“ Sie klingt genervt. Durch lange Korridore und über mehrere Treppen komme ich dort an. Ein Schildchen an der Tür verweist mich weiter zu Nr. 407. Im Flur davor warten ein halbes Dutzend Leute, bis sie dran sind. Angespannte Langeweile liegt darüber wie Blei. Ich warte eine Stunde, anderthalb. Schließlich darf ich eintreten. In Zimmer 407 erfahre ich, dass ich noch eine Bescheinigung mitbringen muss, von der ich nichts wusste, außerdem 35 Mark Bearbeitungsgebühr. So gehe ich wieder nach Hause. Ich komme vorbei an weihnachtlich geschmückten Häusern und Schaufenstern. Irgendwo steht eine Krippe, Maria, Josef und das Kind. Weihnachtsstimmung habe ich nicht. Da schießt es mir durch den Kopf: Wie es wohl damals Maria und Josef ergangen ist, als der römische Kaiser sie nach Bethlehem geschickt hat, um sie steuerlich zu registrieren und ihre Steuerklasse zu ermitteln? War das Leben damals noch einfacher?

Ich stelle mir vor, wie der kaiserliche römische Sachbearbeiter zu Maria sagt: „Sie sind also sein vertrautes Weib…, was soll das heißen?  Verlobte Ehefrauen gibt es nicht. Sind Sie nun seine Frau oder nicht?“ Maria nickt unsicher. Sie spricht galiläischen Dialekt und versteht ihn nur schlecht mit seinem Bethlehemer Akzent. Der Beamte deutet auf ihren Bauch und wendet sich an Josef: „Sind Sie der Vater?“ „Ja, äh, ich meine, nein“, sagt Josef. „Also unehelich“, meint der Sachbearbeiter. „Und wer ist der Vater?“ Von da an wird die Sache kompliziert.

Als Maria und Josef die Behörde verlassen, ist es Abend. Weihnachtsstimmung haben sie nicht. Dabei bat sich Josef sehr darauf gefreut, nach Bethlehem zu kommen. Die Heimat seiner Vorfahren. Aber als die Leute in der Herberge seinen galiläischen Akzent hören, sagen sie: Ausländer brauchen wir nicht. Geht zurück nach Nazareth, wo ihr hingehört.“ Sie gehen weiter. Maria kommt in die Wehen. Ein Bauer gibt ihr Notunterkunft in einem Stall. „Das geht nur vorläufig“, wie er betont. „Der denkt wohl, wir wollen unsern Ruhestand hier verbringen“, sagt Josef verärgert, während er Heu sammelt, um Maria ein Bett zu machen. In dieser Nacht wird das Kind zur Welt kommen, das die Propheten angekündigt haben. Das Kind, auf das die Juden warten. Das Kind, in dem Gott Mensch wird. Gottes Kind. „In was für ein Land ist dieses Kind geboren? In was für eine Zeit?“, so denkt Josef spät in der Nacht noch nach. In eine Zeit und ein Land, wo Menschen heimatlos umherziehen. Es heißt, die Herberge sei überfüllt. Manche Fremde werden behandelt wie das Vieh, jedenfalls von einigen Leuten. Es kann Leute geben, die sagen: „Eine Futterkrippe für euer Kind, das ist noch Luxus. Das Heu ist noch zu gut für euch.“ Irgendwann schläft Josef ein. Er träumt noch einmal, wie er an der Herbergstür steht. Doch diesmal stellt sich ein weißer Engel neben den Herbergsvater und flüstert ihm etwas zu. Der Engel spricht: „Hört mal, dieses Kind ist nicht irgendein Kind, das ist Jesus. Das ist der Christus, der Retter, den ihr erwartet.“ Und das Gesicht des Herbergsvaters wird hell. Er sagt: „Ach so. Wenn das so ist, dann kommt herein. Bringt Gottes Segen mit in Fülle! Hier ist euer Bett. Meine Frau und ich können auf dem Boden schlafen.“

Doch Josef und Maria schütteln den Kopf. Sie ziehen weiter. Sie finden irgendwo… ganz gewiss… an einem Platz, wo man Fremde wie Freunde behandelt… einen anderen Stall. Sie schauen einander an: Wie weit werden sie noch wandern?

Der Esel

Zu den Adventssonntagen und Weihnachtsfeiertagen möchte ich ein paar Geschichten erzählen, die vielleicht weniger Bezug zu Beratung haben, dafür aber zu dieser Jahreszeit und ihrer Bedeutung. Einige Geschichten mit spirituellem Hintergrund und Bezug zu meinem Erstberuf. Es geht sofort los.

Ich alter Esel! Was hab ich da getan? Ich habe Nein gesagt und Ja getan. Wie konnte ich nur? Ich bin ein Esel. Mit fremden Leuten wegzugehen. Leute, die ich nicht mal kannte! Ich meine, schlecht war es nicht. Eigentlich hat es gut getan. Eigentlich sehr sogar. Und ich habe viel dabei gelernt. Ich frage ja nur: Wie komme ich dazu? Ich meine: Erst hab ich natürlich auf stur gestellt. Was wollten denn diese beiden verzottelten Männer von mir? Kamen da an und wollten mich losbinden von meinem Haus. Klar hab ich da protestiert. I-aah! I-aah! I-aah! Da kam auch gleich kam meine Chefin gelaufen und fing an, heftig mit den beiden zu diskutieren, so richtig mit Händen und Füßen. Was denen denn einfiele, und so. Ich verstehe diese Menschensprache nicht so gut, aber das hab ich verstanden.
Die beiden Männer waren sehr freundlich und erklärten ihr, ich würde von jemand gebraucht. Das hab ich auch verstanden. Meine Chefin wurde dann bald ruhiger. Anscheinend kannte sie denjenigen, der mich da brauchte. Bald wurde sie richtig freundlich und bedrängte die Männer, auf Tee und Hirsefladen mit ihr ins Haus zu kommen. Ich glaube, die beiden hatten ziemliche Mühe, ihr beizubringen, dass sie mich jetzt gleich bräuchten und sie sich leider nicht aufhalten könnten. Schließlich gab sie nach.
Eigentlich wollte ich mich ja jetzt weiter stur stellen. Da neben mir war ja noch mein Fohlen. Sollte ich das allein lassen? Da wäre ich ja ein Rabenesel! Aber diese beiden Jungs haben einfach das Fohlen mit losgebunden. Unverschämtheit! Da blieb mir gar nichts anderes übrig, als mitzukommen. Ansonsten machten sie mir einen anständigen Eindruck. Ich gehe ja nicht danach, ob die Menschen sauber und gekämmt sind. Ich gucke mir an, wie sie miteinander umgehen. Meine Chefin hat mich freundlich getätschelt und mir gesagt, die bringen mich schon wieder. Haben sie auch gemacht. Aber erst kam noch was ganz anderes. Erst haben sie mich zu ihrem Chef gebracht. Das war der verzotteltste von allen. Aber mit einem unheimlich freundlichen Blick. Er hat erst mal mit mir geredet und mir die Nüstern gestreichelt. Hey, ein freundlicher Herr! Vor so einem kann ich Respekt haben. Die anderen Männer legten dann Kleider auf meinen Rücken, als Sattel sozusagen, auf den ihr Chef sich drauf setzen sollte. Das hat er auch getan. Ich dachte wieder: „Nicht ohne meine Tochter!“, und hab die Muskeln bis runter zu den Hufen angespannt. Dann sagte der freundliche Herr zu seinen Freunden, sie sollten meiner Kleinen auch etwas Kleidung auf den Rücken legen. Da hab ich kapiert, dass sie mit auf die Reise geht. Das war o.k.
Wie er so auf mir saß und ihn alle bewunderten, da spürte ich: Das gibt’s nur einmal. Das hier ist etwas Besonderes. Nach und nach kamen immer mehr Leute dazu, eine richtige Menschenmenge. Sie jubelten und schwenkten Zweige durch die Luft, und viele zogen ihre Obergewänder aus und breiteten sie wie einen Teppich vor mir aus. Eigentlich natürlich vor meinem Chef. Dem haben sie auch zugejubelt. „Hosianna!“ haben sie gerufen. Das ist nämlich Hebräisch und heißt: ,,Hilf uns doch!“ Sie nannten ihn „Sohn Davids“. David, das war mal ein großer König. Auf den sind die Leute in Jerusalem immer noch mächtig stolz. Der hat auch in Jerusalem gewohnt. Aber David ist schon so lange tot. Es gibt keinen König mehr. Oder sollte es jetzt doch einen geben? Ich dachte immer, die Römer regieren hier. Aber wie wir auf dieses Tor zugingen, also ich und mein Junges, und dieser freundliche Herr auf meinem Rücken, und diese jubelnde Menge ringsherum – also, das konnte nur ein König sein. So viel habe ich verstanden, und davon lasse ich mich auch nicht abbringen. Aber die Leute, die meisten von ihnen, haben nichts verstanden. Nämlich später haben sie „Kreuzige!“ geschrieen und damit geholfen, ihren König zu verurteilen. Sie haben erst „Ja“ gerufen und dann „Nein“ getan. Ich weiß, es ist schwer für die Menschen, einen König zu tragen, der nicht mit Gewalt die Römer vertreibt. Die Menschen sind Gewalt gewöhnt. Sie vertragen keinen, der mit Liebe regiert. So ungewöhnlich es ist: Die Liebe schmerzt sie mehr als die Gewalt.
Ich gebe zu, ich bin auch kein Engel. Ich bin ein Esel. Aber ich habe dazugelernt. Ich habe nur am Anfang „Nein“ gesagt und dann doch „Ja“ getan. Ich habe doch diesen König mit Stolz getragen. Ich trage ihn immer noch! Ich trage ihn nicht auf meinem Rücken. Ich trage ihn in meinem Herzen.

Streichelpädagogik

Beim Weitergehen finde ich ein Schild mit der Aufschrift:

„Man kann in ein Kind nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln.“ (Astrid Lindgren)

So viele Türen mit so vielen Botschaften… Sehr gerne möchte ich mich unterhalten mit den Menschen, die dahinter wohnen. Nun frage ich euch: Welche Botschaft könnte an eurer Tür zu lesen sein…?

Was man mit Liebe betrachtet…

Momentan halte ich gerade ein Seminar im Milton-Erickson-Institut Heidelberg. Während die anderen arbeiten und in den Seminarpausen wandere ich über den Flur und durch die Institutsräume.

An den Türen finde ich Schilder und Zettel. Darauf stehen Sätze, die es wert sind, ins Herz genommen zu werden. Zum Beispiel dieser…

„Alles, was man mit Liebe betrachtet,  ist schön.“ (Christian Morgenstern)