Dinner for one

Vergangenen Sonntag saß ich in meinem Praxiszimmer und dachte: “Ich bräuchte jetzt mal ‘ne Therapieâ€?. “Du bist doch Therapeutâ€?, sagte eine innere Stimme, “und hier ist die Praxisâ€?. “Na gut, wenn du meinst…â€? Da standen noch drei Gläser und etwas Apfelsaft. Ich befüllte die Gläser und lud uns zu einer Familientherapie ein: Das Ich der Erinnerungen, das Ich des Augenblickserlebens und das Ich der Erwartungen. Die drei nahmen Platz, und ich erhielt ihre Erlaubnis, an ihrer Stelle abwechselnd aus ihren Gläsern zu trinken. Zugegebenermaßen prüfte ich, ob ich jetzt reif sei für eine Einlieferung… doch dann war’s mir egal, und ich moderierte das Gespräch. Am Anfang haben sich die drei fast gestritten, weil das Ich der Zukunft meinte, kaum beachtet zu werden, während das der Erinnerung über Gebühr Aufmerksamkeit bekäme – dabei seien seine Beiträge oft wenig erfreulich. Ich fragte die Erwartung, was sie denn besser fände, fragte das Augenblickserleben, wie sie das Verhältnis der beiden anderen Ichs bewertete, fragte die Erinnerung, was sie damit anfangen könnte; ich verhielt mich also neutral und machte ein bisschen Familientherapie. Jeder der drei trug gute Ideen bei. So schlugen sie vor, zwischen erfreulichen und unerfreulichen Erinnerungen zu unterscheiden und nur noch die erfreulichen Erinnerungen als Grundlage für die Entwicklung von Erwartungen zu nehmen – und dann herzhaft neu erwarten zu lernen. Als alle zufrieden waren und der Saft leer getrunken, dankte ich Ihnen, entließ sie und beendete die Stunde. Dieses Therapiegespräch wirkt seitdem nach und hat in mir eine äußerst positive Stimmung hinterlassen…

Die Gesprächsmethodik war angelehnt an die „Ego-State-Therapie“ (Ich-Anteile-Therapie), bei der der Therapeut außer mit dem Klienten als ganzem Menschen auch mit seinen Persönlichkeitsanteilen wie mit realen Personen spricht, sie miteinander ins Gespräch bringt, jeden einzelnen respektiert und mit ihnen als innerer Familie oder innerem Parlament Therapiesitzungen gestaltet. Schräge Sache, aber es funktioniert…

Aus Scheiße Rosen machen (Reframing)

„Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“, fragte Paul Watzlawick. Und wies damit darauf hin, dass Wirklichkeit von jedem Menschen anders konstruiert wird. Wer von Wirklichkeit spricht, muss hinzufügen, wessen Wirklichkeit er meint, und genauso genommen auch, zu welchem Zeitpunkt. Wirklichkeit wird immer wieder neu konstruiert, auch innerhalb ein und desselben Lebens. Milton Erickson, der Begründer der modernen Hypnotherapie sagte dazu einmal: „Wenn ich Ihnen viele Jahre des Irrtums ersparen könnte, dann würde ich Ihnen gerne sagen, dass jeder einzelne Mensch auf der Welt jede einzelne Sache auf der Welt unterschiedlich sieht.“

Den Umstand, dass es beliebig viele richtige Sichtweisen der Wirklichkeit zu geben scheint, macht sich die systemische und hypnotherapeutische Beratungsarbeit bei der Technik des Reframing zunutze. Reframing ist eine zentrale Technik in der Familientherapie und in der Hypnotherapie: Die gewohnte Wirklichkeit des Beratenen wird unter einem ungewohnten Aspekt betrachtet und dadurch neu gedeutet. „Aus Scheiße Rosen machen“, nannte das Virginia Satir, eine der Begründerinnen der Familientherapie.

Genau genommen werden hier zwei Schritte in einem gebündelt: Wirklichkeitsdekonstruktion und Wirklichkeitsrekonstruktion. Wer die Neudeutung der bisherigen Weltsicht etwas allmählicher in Gang bringen will, kann auch in diesen zwei Schritten vorgehen: Zunächst sät der Berater Ungewissheit darüber, wie zuverlässig die bisherige Deutung der Wirklichkeit ist, danach sucht er gemeinsam mit dem Beratenen alternative Deutungsmöglichkeiten. Diesen Zweischritt wählte Salvador Minuchin, ein anderer Mitbegründer der Familientherapie immer wieder: Erst an der alten Wirklichkeit rütteln, dann neue Wirklichkeiten vorschlagen.

Bei einem solchen zweischrittigen Vorgehen ist es möglich, sehr demokratisch verschiedene neue Wirklichkeitsdeutungen anzubieten und es den Beratenen zu überlassen, welche sie wählen möchten. „Wir sind Realitätenkellner“, meint Gunther Schmidt, der Erfinder des Begriffs der „hypnosystemischen“ Beratung.

Was ist Hypnotherapie nicht?

Über Hypnose und Hypnotherapie gibt es viele Legenden…

  • Hypnotische Trance ist kein abnormer Zustand, sondern vergleichbar der Verfassung, in der wir uns beim Lesen eines interessanten Buchs oder beim Betrachten eines Kinofilms befinden.
  • Hypnose ist auch kein willenloser Zustand, und der Hypnotiseur hat keine unumschränkte Macht über den Hypnotisanden. Der Hypnotiseur verstärkt Tendenzen, die im Hypnotisanden bereits angelegt sind.
  • Das Risiko, aus einer Hypnosesitzung nicht mehr aufzuwachen, besteht nicht. In sehr seltenen Fällen geht die Hypnose in einen Schlaf über, der mit dem normalen Erwachen endet.
  • Hypnotische Zustände werden oft nicht als solche wahrgenommen, da eine leichte Trance mit dem normalen „Tagträumen“ vergleichbar ist. Geistig-seelische Extremerlebnisse lassen sich in Trance zwar erzeugen, sind aber nicht die Regel und für die Therapiearbeit meist nicht relevant.
  • Hypnotische Zustände werden definitiv nicht durch einen hypnotischen Blick oder ein mystisches Persönlichkeitsmerkmal des Hypnotisierenden erzeugt.
  • Das weitgehende oder vollständige Vergessen der in Trance gehörten Inhalte ist eher die Ausnahme als die Regel.

Wie finde ich eine passende Geschichte? Teil VII

Eine Schatzkammer an metaphorischen Geschichten bilden Filme. Mit Kindern kann man über Shrek reden, mit Paaren über Liebesfilme, mit rauen Kerlen über Actionfilme… und wer unfreiwillig in Therapie kommt – sowas gibt’s, und gar nicht selten – wird sowieso lieber über Filme reden als über Psycho-K… Weiterlesen

Kontinenz und andere Gesundheiten

In der Klinik habe ich vorhin ein Schild gesehen, das für eine Kontinenz-Selbsthilfegruppe warb. Die nennen sich nicht etwa Inkontinenz-Selbsthilfegruppe… Konsequenterweise heißt auch der übergreifende Verband „Deutsche Kontinenz-Gesellschaft“. Warum nicht „Inkontinenz“? Weiterlesen

Was ist ein Yes-Set?

Yes-Set ist eine Bezeichnung für eine suggestive Grundtechnik. Auf mehrere Konsensaussagen folgt eine deutende bzw. suggestive Aussage, die dann vom Zuhörer meist angenommen wird. Das heißt: Eine Reihe zunächst unbestreitbarer, dann zunehmend diskutierbarer (evtl. auch indiskutabler) Aussagen wird als Ganze angenommen, wenn der Zuhörer zunächst in eine Haltung von Zustimmung versetzt wird:

Das Wetter ist schön. Für morgen haben sie Gewitter angekündigt. Lass uns schwimmen gehen!

Natürlich gibt es auch ein No-Set:

„Jämmerlich schreit das Robbenbaby in der Kälte Labradors. Es hat Hunger, doch seine Mutter kommt nicht mehr. Sie wurde von skrupellosen Pelztierjägern erlegt. In Deutschland werden dieses Jahr wieder vermehrt Robbenpelze verkauft.“

Lesenswert: MiniMax-Interventionen

Bei keinem Reisebüro wird man einen Flug mit dem Zielflughafen „Nicht mehr dieses deprimierende Glasgow“ buchen können. Da muss man sich in der Regel etwas klarer und positiver äußern. Wenn Menschen von einem Psychotherapeuten nach ihren Therapiezielen gefragt werden…

So beginnt Manfred Prior seine Überlegungen zum Thema „Sondern…?“. In seinem Buch „MiniMax-Interventionen – 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung“ demonstriert er, wie Berater mit scheinbar winzigen Verschiebungen der Aufmerksamkeit einem Gespräch eine völlig neue Wendung geben können. Das Buch zeigt tatsächlich, wie man mit geringem Aufwand viel erreicht – nicht nur für die Klienten, sondern auch für sich selbst, da es sich mit einer solchen Art, Gespräche zu führen – einmal gelernt – mit Sicherheit viel leichter berät.

Große Empfehlung!

Manfred Prior, MiniMax-Interventionen: 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung.
Heidelberg (Carl-Auer-Systeme) 2004

Wie finde ich eine passende Geschichte? (VI)

Was macht eigentlich eine therapeutische Geschichte aus?

Die Kunst des beratenden Erzählens besteht nicht darin, Geschichten zu finden, die an sich schon „therapeutisch“ wären, sondern darin, durch eine Art metaphorisches Träumen zu schon vorhandenen Geschichten die passende Situation zu finden und zu schon vorhandenen Situationen die passende Geschichte – und die Geschichten gegebenenfalls noch der Situation anzupassen. Weiterlesen

Im Lande Begonien

Die Sache von gestern nochmal in eine Geschichte gefasst:

Als Reisender musste ich einmal das Land Begonien durchqueren. Sie haben dort einen wirklich seltsamen Brauch. Es gibt dort nämlich an den Straßen und Wegen des Landes keinerlei Hinweisschilder, die dir helfen könnten, von Dorf zu Dorf oder von einer Stadt zur nächsten zu finden. An jeder Straßenkreuzung aber stehen Blumen, die du fragen kannst, um von ihnen Auskunft zu erhalten. Nach der Art, wie sie dir Auskunft geben, unterscheidet man Weiser, Wegweiser und Hinweiser. Die Hinweiser sind besonders angenehm für all jene Reisenden, die nur einfach möglichst schnell und bequem zu ihrem Ziel kommen wollen. Sie sagen dir freundlich, wohin du gehen sollst. Die Wegweiser sind oft grob und ungehobelt in ihrer Sprache. Sie können sehr gehässig klingen. Nichtsdestoweniger können auch sie sehr nützlich sein. Sie sagen dir, wohin du keinesfalls gehen sollst, so du Unglück und Verderben von dir fernhalten willst. Die Weiser schließlich reden zu dir auf eine seltsame Weise. Sie sprechen in Rätseln. Sie beginnen, dir einen Weg zu weisen und fahren fort mit dem anderen. Sie erzählen dir vom Ziel, doch nicht, wie du dieses erreichst. Sie stellen dir Fragen anstatt dir zu antworten. Sie erzählen dir Dinge, deren Sinn du erst später verstehst. Manche Reisende halten das, was die Weiser sagen, für lauter unnützes Zeug. Doch einige finden erst durch die Weiser ihr Ziel. (Der Grashalm in der Wüste, 70)

Der Gebrauch von Metaphern

Wo passt welche Geschichte?

Wenn man Metapherngeschichten nach ihrer Wirkung in Kategorien einteilt, gibt es Ja-Geschichten, Nein-Geschichten und Öe?!-Geschichen. Ich glaube, das muss ich erklären.

1. Ist die Struktur der Metapher parallel zur Situation des Hörers verstehbar und führt zu einer unerwarteten Lösung, dann wird Weiterlesen