Ausgestrichen

Meine Nichte Luise ist dreizehn. Heute hat sie mir ihren Fuß gezeigt, den sie mit einem Kugelschreiber bemalt hat, etwa so, als wäre er ein Wahlzettel: Zwei Kreise, und ein Kreuz durch jeden Kreis. Ich habe sie gefragt: „Funktioniert das noch?“ „Ja“, hat sie gesagt.

Vor einem Jahr hat mir Luise erzählt: „Neulich hatte ich einen Mückenstich. Ich hatte daran gekratzt, und er hat fürchterlich gejuckt. Ich habe mir den Stich angeguckt. Mit einem Kugelschreiber hab ich einen Kreis darum gezogen. Mit einem Kreuz habe ich ihn ausgestrichen. Das Jucken ist verschwunden und nicht wieder gekommen.“

Der Geschichtenerzähler (IV)

Weiter geht’s mit Folge vier…

Von da an erzählte ihm sein Lehrmeister täglich solche halbe oder dreiviertel Geschichten. Einmal erzählte er nur den Anfang, ein andermal bloß den Schluss. Manchmal erzählte er nur ein Stück aus der Mitte der Geschichte und einmal gar verfiel er nach zwei einleitenden Sätzen in ein langes Schweigen und sagte schließlich nur: „Am Ende musste die Königstochter selbst den Drachen töten.“
Hatte sich der Junge allmählich mit diesen Merkwürdigkeiten abgefunden, so störte ihn jetzt, Weiterlesen

Placebo IV

Dieses Jahr hatte ich eine seltsame Begegnung mit dem Placeboeffekt.

Seit Wochen hatte mir der linke Fuß weh getan. Weder war es schlimmer geworden, so dass ich dann doch mal zum Arzt gegangen wäre, noch war es weg gegangen. „Vielleicht mal neue Einlagen kaufen“, habe ich gedacht. Aber die Frage hat mich doch beschäftigt: „Was ist das? Wo kommt das her?“ Irgendwann – beim Warten während einer Nachmessung zur Tinnitus-Hypnotherapie – dachte ich: Wie kann ich das denn sinnvoll suggestiv beeinflussen, obwohl ich nicht weiß, was es ist?

Mir ist eingefallen, dass sich eine Venenentzündung sich vor zehn Jahren einmal ähnlich angefühlt hat. Damals hatte mir ein homöopathisches Präparat namens Lachesis geholfen. „Lieber Körper“, habe ich jetzt gesagt, „bitte prüfe doch einmal, ob dir Lachesis gut tut. Wenn ja, dann verhalte dich bitte wie bei Lachesis.“ Für eine Weile habe ich einen einen heftigen Schauder auf der Haut gespürt, den ich mir nur als Reaktion des Unbewussten erklären konnte. Über Nacht sind dann die Beschwerden verschwunden und nicht mehr wieder gekommen.

Ich fand’s beeindruckend.

Der Geschichtenerzähler (II)

Und weiter geht’s mit der zweiten Folge…

„Zuerst musst du lernen, den Geschichten Ehrfurcht entgegenzubringen“, sagte der Alte einmal. „Nur wer auch erzittern kann vor der Kraft einer Geschichte, dem wird sie ihre Wirkung entfalten. Du musst die Sehnsucht in dir finden nach dem lösenden Wort, nach dem Wort, das befreit, das Türen öffnet und Menschen auf eine Reise schickt. Und du musst schweigen lernen. In dem Augenblick, wenn deine Geschichte die größte Kraft hat, bewegt sie auch den Hörer und dich mit der größten Geschwindigkeit. Dann muss sie enden, damit ihr mit Wucht aus ihr herausgeschleudert werdet Weiterlesen

Wie finde ich eine passende Geschichte? (Teil III) Und wo sind die Sterne am Tag?

Eine Methode, um passende Geschichten zu finden, besteht darin, während der Beratung in sich Traumbilder aufsteigen lassen. Man könnte geradezu selbsthypnotisch vor Sitzungen mit sich vereinbaren, die assoziativen Bilder, die einem da kommen, vermehrt bewusst werden zu lassen. Was da alles zu Tage käme! Wer mit sich vereinbart, solche Traumbilder Weiterlesen

Kann man per Telefon oder mp3 hypnotisieren?

Man kann. Ich habe zwei mal ausprobiert, jemanden aus einer Beinahe-Hyperventilation zu einer normalen Atmung und so aus einer Panik zur Ruhe zu bringen. Das geht gut. (Atempacing und -leading: Man übernimmt den Atemrhythmus des anderen, verändert ihn bei sich und der andere geht mit.) Und viele Kollegen verwenden die eine oder andere Technik auch am Telefon.

Eine Demo-Hypnose per mp3 gibt es auf meiner Website ja schon länger. Gezeigt werden da Trancephänomene wie Zeitverzerrung, Veränderung der Atmung und der Bewegungsabläufe, Ausblenden der Außenreize, außerdem Tranceinduktionen: Verwirrungsinduktion, Induktion durch Mehrdeutigkeit, Vorstellen von Trancesituationen, Ratifikation der Hypnose, etc.

Inzwischen sind auf der Seite Kurzhypnosen zu Gesundheitsthemen mit aufgenommen, und alle paar Tage kommen neue dazu. Den Anfang machen Trancen zur Stärkung des Immunsystems, zur An- und Auflösung von Ohrgeräuschen, was ganz Kurzes für Schnarcher und Schnarchhörer und einige andere. Wahrscheinlich reicht’s, um einen Eindruck zu vermitteln!

Die Schmerzverkäuferin

Vorhin habe ich auf dem Flur der Röntgenstation eine ältere Frau getroffen. Sie hat in ihrem Bett gelegen, zwischen anderen Patienten, umhereilenden Krankenschwestern, Betten schiebenden Transport- dienstmitarbeitern und anderem Personal. Wir hatten Zeit. Unser Gespräch verlief etwa so.

„Ich habe mir die Hüfte gebrochen. Ich habe solche Schmerzen. Die kann ich keinem verkaufen!“ „Wem würden Sie sie denn gern verkaufen?“ „Ihnen nicht. Sie sind ein Guter.“ „Wem möchten Sie sie denn sonst vielleicht verkaufen?“ „Keinem Guten. Höchstens einem bösen Hund. Aber der Weiterlesen

Kann man Hühner hypnotisieren?

Das geht. Mein Vater hat als Kind von einem Nachbarn eine sehr effektive Methode gelernt. Er hat eines der Nachbarshühner gefangen, hat es so lange kreisförmig am Hals gestreichelt, bis es eine Katalepsie (Körperstarre) entwickelt hat, und hat es dann seitlich überstehend auf den Rand des Hackklotzes gelegt. Dort blieb es fast-herunterfallend liegen, bis die Nachbarin das tot erscheinende Tier unter Schreckensgeschrei Weiterlesen

Kann man andere wider Willen hypnotisieren?

Man kann. In der Therapie ist es ein Verstoß gegen elementare ethische Grundsätze. In der Showhypnose ist es weit verbreitet. Im privaten Kontext habe ich es wenige Male ausprobiert. Es geht problemlos. Man riskiert nur, sich dabei unbeliebt zu machen. Mit Recht ja eigentlich.

Ein Kurzvideo zu Hypnose wider Willen findet sich bei der englischen „Academy of Hypnotic Arts“ (das erste Video auf der Seite).

Der Geschichtenerklärer

Ein Märchen! Die Augen der Kinder leuchteten. Der Geschichtenerklärer begann: „Es war einmal eine Geißenmutter, die hatte sieben junge Geißlein. Wie diese prototypische Einleitung zeigt, handelt es sich offensichtlich um ein Märchen. Die Zahl sieben ist in dieser Art Literatur die Zahl des Vollständigen. Später wird es wichtig werden, dass die jungen Geißen nicht alle gefressen, daher aber alle gerettet werden. Warum der Geißenvater nicht genannt wird, erfahren wir nicht. Manches spricht dafür, dass er im Wolf versinnbildlicht ist. Das spätere Fressen der Geißenjungen kann als gewalttätiger oder sexueller Akt verstanden werden. Wenn ihr nachher die Geschichte in fünf Hauptabschnitte untergliedert, werdet ihr feststellen, dass das Märchen einem gestuften Schema folgt…“ Und das Leuchten in den Kinderaugen erlosch.