Wie man die Therapie verkürzen kann II

Jetzt kommt die Fortsetzung von gestern. So habe ich also mit den Klienten Sätze und Themen gefunden, die er stockend, gedämpft, brüchig, tränenhaltig ausspricht. Ich thematisiere das nicht unbedingt, ich frage aber nach diesen Inhalten.

Dann kann ich die Klienten bitten, diese Sätze noch einmal zu sagen und dabei entspannt zu atmen, ihren Körper zu fühlen und fließend zu sprechen – so dass ein entspannter, symptomfreier Zustand mit den Erinnerungen geankert wird. Die Methode ähnelt der „Systematischen Desensibilisierung“ bei Phobien, aus der Verhaltenstherapie. Wenn die Klienten den Satz immer gelöster aussprechen, gebe ich ihnen den Rest der Arbeit als Hausaufgabe vor dem Spiegel oder unterwegs mit auf den Weg.

Wir können Gegensätze formulieren, Affirmationen, die sie sich als „Medikament“ für die Seele Weiterlesen

Inselkarten

„Schau her“, sagte der alte Seemann und entrollte eine Karte. „Das hier ist die Insel der Glückseligen.“ Sein Enkel betrachtete sie aufmerksam, während der Mann aufstand und noch eine zweite Karte aus dem Regal entnahm. „Und das hier“, fuhr er fort, während er diese zweite Karte entrollte, „ist die Insel der Unglückseligen.“ „Aber das ist doch genau die gleiche Insel!“ entfuhr es dem jungen Mann. „Vielleicht ist es die gleiche und vielleicht ist es nicht die gleiche“, sagte der Alte mit rätselhaftem Ton. „Aber so viel kann ich dir verraten: Die Pläne wurden von zwei verschiedenen Kartographen gezeichnet. Beide haben die Insel besucht. Der eine ging zu allen öden und trostlosen Bergen der Insel und vermaß von dort aus alle Zwischenräume. Der andere ging zu allen schönen, fruchtbaren, Plätzen und vermaß die Insel von dort. „Schau hier: Sie haben auch die Pfade eingezeichnet, auf denen sie gewandert sind. Wer nun mit der ersten Karte unterwegs ist, sieht von einem schönen Gipfel zum nächsten, und die öden Gegenden werden verdeckt von den schönen Bergen. Wer sich dagegen mit der zweiten Karte auf den Weg macht, schaut von ein einem trostlosen Gipfel auf den nächsten, und die schönen Landschaften bleiben hinter ihnen verborgen.“

Die Brille

Heute Nacht hatte ich einen Traum.

Mein linker Brillenbügel war verbogen und ich wollte ihn reparieren, damit die Brille wieder gut sitzt. Ich habe ihn zweimal hin und her gebogen – und dann war er ab. Ich habe ihn an die Brille gehalten. Er war am Scharnier abgebrochen. Reparieren ließ sich das nicht mehr. Was tun? Ich habe die Brille angezogen, in der Hoffnung, dass sie noch einigermaßen sitzt. Aber sie hing mir schräg auf dem Gesicht. Der Blick durch die Gläser war verzerrt, und ungemütlich war es auch. Man musste sie ständig festhalten. Der Optiker hat sonntags zu. Was ist in einem solchen Fall die beste Lösung? Ich dachte nach.

Da fiel mir ein: Ich habe mir vor über einem halben Jahr die Augen gegen Kurzsichtigkeit lasern lassen. Warum trage ich denn diese doofe Brille überhaupt noch? Und ging ohne weiter.

Der Grund, warum Metaphern in der Beratung so eine unglaubliche Wirkung haben, ist der, weil unser Unbewusstes in Metaphern organisiert ist: Unsere Träume sind Metaphern. Selbst die Rituale der Tiere beim Balzen und beim Klären von Rangordnungen sind Metaphern. Bevor wir in Sprache gedacht haben, haben wir in Metaphern gedacht. Darum haben die Propheten und Weisen aller Zeiten Geschichten erzählt. Und dieser Traum wird mir Anlass geben, mir die Brille anzuschauen, durch die ich meine Welt betrachte. Diesmal werde ich mich nicht mit Reparieren aufhalten.

Lesenswert: Der Rabbi hat immer recht

Das Büchlein von Rabbi Nilton Bonder „Der Rabbi hat immer recht – Die Kunst, Probleme zu lösen“ gibt eine verständliche Einführung in rabbinische Logik. Das heißt, jüdische Anekdoten und Witze werden philosophisch fundiert interpretiert und in einem Gesamtzusammenhang des rabbinischen Denkens dargestellt. Systematisch werden die verschiedenen Fragetechniken und Neudeutungen (Reframings) der Realität unter die Lupe genommen. Die Geschichten, die er erzählt, sind köstlich. Gedacht ist das Buch aber wahrscheinlich nicht als Geschichtensammlung, sondern als methodischer Leitfaden, wie man in jeder erdenklichen Lebens- und Beratungslage zu hilfreichen neuen Sichtweisen kommt. Besonders für Freunde von Beratungstechniken, von brillianter Lösungsfindung, von verständlicher Philosophie, und von jüdischem Denken!

Rabbi Nilton Bonder, Der Rabbi hat immer recht: Die Kunst, Probleme zu lösen
Zürich, München (Pendo) 2001

Lesenswert: Hundert chassidische Geschichten

Das Buch von Martin Buber ist ein Kleinod. Deswegen stelle ich es als erstes in dieser Serie von Buchtipps zu Geschichtensammlungen vor. Die Geschichten, die Buber aus der jüdischen Tradition erzählt, sind ganz kurz. Viele davon lassen sich in Beratungen und alltäglichen Situationen gut nacherzählen und sind voller Witz, Geist und Überraschungsmomente!

Bekannt ist die Erzählung „wie Sussja starb“:

Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: „In der kommenden Welt muss ich nicht verantworten, dass ich nicht Mose gewesen bin; ich muss verantworten, dass ich nicht Sussja gewesen bin.“ (S. 26)

Oft geht es darum, in scheinbar aussichtslosen Situationen, die Hoffnung zu bewahren, Lösungen und Auswege zu finden. In dem Buch finden sich viele Neudeutungen (Reframings) belastender Situationen. Vor allem lehrt das Buch, die Welt, die Menschen und alle Kreaturen zu lieben:

Wenn Rabbi Wolff zu Wagen fuhr, erlaubte er nicht, die Pferde zu schlagen. „Nicht einmal zu schelten brauchst du sie“, belehrte er den Fuhrmann, „wenn du sie nur anzureden verstehst“. (S. 72)

Ein wunderschönes Buch – auch als Geschenk sehr geeignet!

Und wenn Sie wissen möchten, was „chassidisch“ ist, schauen Sie sich rechts unter „Seiten“ die Fußnote an!

Martin Buber, Hundert chassidische Geschichten
Zürich (Manesse) 2003

Der Seebär und der Landbär

Als ich das Grashalm-Buch geschrieben habe, habe ich viele Leute gefragt, welche Geschichten ich rausschmeißen soll – weil, es waren damals viel zu viele Geschichten – und jeder hat etwas völlig anderes gesagt. Die Lieblingsgeschichten der einen waren die Rausschmeißgeschichten der anderen. Auch wenn mir jetzt Leute ihre Lieblingsgeschichten erzählen, nennt jeder eine andere. Denkt daran, wenn ihr eine schlechte Geschichte findet: Die Schönheit von Geschichten liegt im Hirn des Hörers. Siehe die Fußnote rechts.

Einige Leute haben mich dann auch gefragt, was denn meine Lieblingsgeschichte ist. Die ist mir auf einer winterlichen Autobahnfahrt eingefallen. Bei jedem Rasthof musste ich anhalten und ein Stück aufschreiben, und als ich ankam, war sie fertig. Das ist die Geschichte vom Seebär und vom Landbär:

Der Seebär hatte einst Besuch vom Landbären. Die beiden kannten sich schon seit der Bärenschule. Dann war der Seebär weit in die Welt gereist und hatte viele Abenteuer bestanden Weiterlesen

Ansteckend

Vor einiger Zeit habe ich einen alten Freund getroffen. „Vorsicht, ich bin krank!“, hat er von Ferne schon gerufen. „Dann nimm dich gut vor mir in Acht“, sagte ich. „Ich habe eine ansteckende Gesundheit!“

Am Anfang habe ich das getan, um mich vor der suggerierten Ansteckung zu schützen. Weil das offenbar geholfen hat, habe ich öfter so geantwortet. Inzwischen habe ich den deutlichen Eindruck, dass oft auch die Zuhörer – obwohl sie dem Satz meist keine ernsthafte Bedeutung beimessen – danach schneller gesund werden. Inzwischen gibt es Leute, die mich daraufhin ansprechen: „Gib mir mal was von deiner ansteckenden Gesundheit.“ Und einige haben mich gefragt: „Wirkt die auch per Telefon?“ „Jaaa….“, sage ich dann und grinse.

(Nach Hammel, Der Grashalm in der Wüste, S. 55)

Margarete und Lucia (Die zwei Eidechsen)

Margarete und Lucia (Die zwei Eidechsen)

Letztes Wochenende habe ich auf der Burg Fürsteneck in Hessen ein Seminar über systemische Beratung gehalten. Da ging es um systemische Grundhaltungen und Grundmethoden. Zum Beispiel: Was ist Perspektivwechsel, und was ist ein Reframing? Ich habe ihnen dazu als Beispiel die folgende Geschichte erzählt.

In einer Mauerritze lebten zwei Eidechsen, Margarete und Lucia. Lucia lag den Tag über auf der Mauer und badete in der Sonne. Margarete verbrachte die meiste Zeit damit, Insekten zu suchen für sich und ihre Kinder. Wenn sie Lucia auf der Mauer liegen sah, ärgerte sie sich. „Wie du die Zeit vertust. Wenn du eine anständige Eidechse wärest, würdest du dich mal um das Wohl deiner Kinder kümmern. Was machst du denn den ganzen Tag da oben?“ Weiterlesen

Der Goldwäscher

In einer Hütte am Fluss in den felsigen Bergen lebte einmal ein Goldwäscher. Jeden Morgen stand er auf, wusch sich, aß eine Scheibe Brot, zog seine Arbeitskleidung an und ging mit seinem großen Sieb zum Fluss. Viele Jahre lebte er schon hier und hatte schon so manche Tonne Sand gesiebt. An manchen Tagen fand er etwas Gold, doch selten war es mehr als er brauchte, um sich das Nötigste an Essen, Kleidung und an Werkzeug für seinen täglichen Bedarf zu kaufen. Lange hatte er davon geträumt, auf eine große Menge Gold zu stoßen. Doch dieser Traum, das ahnte er jetzt, würde sich wohl nie erfüllen. Denn meistens, wenn er in sein Sieb schaute, war darin nichts zu finden als nur die kleinen Kiesel, die in der Sonne glitzerten. Eines Tages kam ein alter Schulfreund bei ihm zu Besuch. Er war Juwelier in einer größeren Stadt und hatte es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Er interessierte sich, einmal zu sehen, wie dieser Goldwäscher lebte. „Zeig mir doch bitte einmal, wie du Gold wäscht“, bat er den alten Freund. Zögernd stand dieser auf, nahm sein Sieb von der Wand und ging mit seinem Gast zum Fluss. Er tauchte das Sieb in den Fluss, schüttelte es und ließ das Wasser herauslaufen. „Siehst du, wieder nichts“, seufzte er und blickte auf zu seinem Freund. „Das ist ja unglaublich“, sagte der und wurde blass. „Lauter Diamanten!“

Das Mülleimermonster

Das Mülleimermonster

„Das ist ein Mülleimer“, erklärte Luise, als sie mir zum Geburtstag ein Pappmachée-Monster mit dem weit aufgerissenen Maul überreichte. Fred, das Mülleimermonster, saß von da an in meinem Beratungszimmer und wartete auf Nahrung. Anfangs begnügte er sich mit Büroabfällen. Genährt vom geistigen Abfall vieler Gespräche, fand er aber Geschmack an all den Dingen, die die Klienten nicht brauchen und darum im Beratungsraum zurücklassen wollen. Ich gewöhnte mir an, Fred und die Klienten einander vorzustellen. Im Laufe der Zeit fraß das Monster meine manchmal missglückten Worte und viele bedrückte Gedanken von Klienten. Er fraß belastende Erinnerungen und ungeliebte Angewohnheiten. Eine Klientin schickte ihre depressiven Gedanken noch von zuhause aus zu Fred. Am Ende fraß Fred auch auf, was mich belastete. Manchmal saß er nachts an meinem Bett und durfte alle unerwünschten Träume zu sich nehmen.