Ich möchte gern eine Geschichte erzählen, die vom Durchhandeln handelt, und davon, zusammenzuhalten, zu seinen Werten und zu seinem Selbstwertgefühl zu stehen. Ich weiß noch nicht genau, wie ich sie therapeutisch nutzen kann. Ich erzähle sie hier, weil sie mich berührt.
Im Westjordanland, etwa zehn Kilometer südwestlich von Bethlehem, haben wir Familie Nasser besucht. Die Nassers sind eine christlich-palästinensische Bauernfamilie, die ihren kleinen Hof auf der Anhöhe zu einem Begegnungszentrum gemacht haben für Palästinenser, Israleis und Menschen aus aller Welt, die Frieden suchen. Am Eingangstor des kleinen Landwirtschaftsbetriebes liegt ein Stein, auf den sie geschrieben haben: „We refuse to be enemies. Wir weigern uns, Feinde zu sein.“
Was es mit diesem Satz auf sich hat, haben wir im Gespräch mit dem Besitzer des Betriebs erfahren. „Mein Großvater“, so erzählte er, hat dieses Land im Jahr 1917 von der damaligen osmanischen Besatzungsmacht gekauft. Dann hat er etwas getan, was für die damalige Zeit und noch lange danach sehr ungewöhnlich, ja, geradezu verrückt war. Er hat sich Papiere über den Grundbesitz ausstellen lassen und hat Steuern gezahlt. Jahr für Jahr hat unsere Familie Steuern gezahlt für dieses Papier, das sonst keiner hatte.“ Bis dahin hatten die Bauern einfach dort gelebt, wo ihre Familien immer gelebt hatten; durch mündliche Überlieferung und durch Zeugen wusste jedes Dorf und jede Familie, wo das Land der einen anfing und wo das Land der anderen aufhörte. Warum sollte man Land von einer Besatzungsmacht kaufen, die erst kürzlich gekommen war und vielleicht schon bald von den nächsten Besatzern abgelöst werden würde? „Erst haben wir der osmanischen Besatzung Steuern gezahblt, dann der jordanischen, danach den Engländern und schließlich den Israelis. Dann hat der israelische Staat angefangen ringsumher Siedlungen zu bauen. Eines Tages kamen Soldaten und haben uns gesagt, wir sollten hier verschwinden. Wir sagten, das Land gehört uns. Sie wollten das nicht glauben. Wir haben dann den israleischen Behörden unsere Papiere gezeigt. Wir konnten belegen, dass wir das Land gekauft hatten und lückenlos unsere Steuern bezahlt hatten – an die Osmanen, an die Jordanier, an die Engländer und auch an die Israelis. Darau haben sie gesagt: „Die Papiere sind gefälscht.“ Sie haben von uns verlangt, einen israelischen Notar auf unsere Kosten nach Istanbul und London zu schicken, um in den Archiven dort nachzuschauen, ob unsere Vorfahren das Land tatsächlich gekauft haben. Der Notar hat die Belege tatsächlich gefunden. Als die israelische Seite bemerkt hat, dass sie den Prozess nicht gewinnen können, haben sie ihn verschleppt, so dass er in der Schwebe hängt und nie zu Ende gebracht wird. Dann haben sie Bulldozer geschickt, die unsere Zufahrtsstraße verschüttet haben, damit wir uns nicht mehr versorgen können. Wir haben uns dann einen anderen Zugangsweg freigeschaufelt. Sie haben den Palästinensern hier in Palästina verboten, Strom zu haben und irgendetwas zu bauen. Sie haben uns dann Abrissverfügungen geschickt für die Gebäude, die hier stehen. Wir haben gesagt, die sind damals rechtmäßig gebaut worden. Ich fragte einen von ihnen: ‚Gilt für mich das gleiche Recht, wie für einen Israeli, der hier wohnt?‘ Er sagte: ‚Ja.‘ Ich fragte: ‚Dort drüben sind Häuser, die israelische Siedler ohne Genehmigung gebaut haben. Warum schickt ihr dorthin keine Abrissgenehmigung?‘ Der Mann sagte: ‚Das geht Sie nichts an.‘ Gegen den Abriss unseres Wohnhauses haben wir prozessiert. Als wir fertig waren und die Genehmigung zurückgenommen war, haben sie uns einfach sechs neue Abrissverfügungen geschickt. Die Zelte und der Verschlag für die Hühner, alles soll angeblich ein Gebäude sein und darum abgerissen sein. Die Hühner haben wir jetzt in einen Wohnwagen gebracht. Ein Wohnwagen ist ja kein Gebäude. Oft kreisen Hubschrauber über uns, um zu beobachten, was wir machen. Sie haben uns immer neue Abrissverfügungen geschickt. Einmal waren wir so kurz davor, dass wir uns sicher waren, dass nächste Woche die Bulldozer unser Haus abreißen. Wir haben das in E-mails ein paar Freunden in Europa mitgeteilt. Gar nicht systematisch. Wir haben gar nicht gedacht, dass wir etwas dagegen ausrichten können. Aber die haben dann offenbar so viele Briefe an die Regierung geschickt, dass dann nichts passiert ist. Auch im Moment haben wir einen Prozess gegen solche Verfügungen am laufen. Schauen Sie, wir haben uns jetzt Höhlen in den Kalkstein gebaut. Eine Höhle ist ja kein Gebäude. Und der Strom… ein Deutscher, der hier war, hat gesagt, ich organisiere Ihnen das, dass Sie Solarzellen bekommen. Ich habe das nicht geglaubt. Aber irgendwann kamen Leute und haben uns hier Solarzellen installiert. So haben wir auch Licht in unseren Höhlen. Seit 1991 haben wir 150.000 Dollar Prozesskosten, um für ein Land zu kämpfen, das uns rechtmäßig gehört, das wir gekauft haben und für das wir Steuern gezahlt haben. Wir haben auf unserem Land 250 Olivenbäume gepflanzt. Wenn man sein Land behalten will, ist es gut, etwas darauf zu pflanzen. Dann kann niemand sagen: ‚Das Land gehört niemand, es wird ja nicht genutzt.‘ Eines Nachts sind Siedler aus der Nachbarschaft gekommen und haben die 250 Olivenbäume alle abgesägt. Das hat uns sehr getroffen. Nicht nur wegen des wirtschaftlichen Verlusts. Olivenbäume wachsen sehr langsam. Für uns ist ein Olivenbaum auch ein Zeichen für Hoffnung, für den Glauben an die Zukunft. Es ist ein Symbol. Wir waren sehr niedergeschlagen. Dann hat eine jüdische Menschenrechtsorganisation in Europa von dem Fall gehört. Sie haben uns geschrieben, dass sie uns die Bäume ersetzen wollen. Ein paar Wochen später sind freiwillige Helfer aus Europa angereist und haben 250 junge Olivenbäume bei uns gepflanzt. Einige Zeit später haben wir einen anonymen Anruf bekomme. Ein Mann hat uns 1 Million Dollar für das Land geboten, dann zwei Millionen. Wir haben gesagt: ‚Das ist das Land, das unser Großvater uns gekauft hat und auf dem wir groß geworden sind. Es ist das Land unserer Famile. Wir leben hier. Es ist nicht zu verkaufen.‘ Einige Zeit später haben wir wieder einen Anruf bekommen. Sie wollten uns 10 Millionen Dollar bieten, dann zwanzig. Schließlich haben sie ins Telefon gerufen: ‚Dann sagen Sie uns doch einfach, wieviel sie wollen! Wir zahlen Ihnen auch das Ticket nach Amerika, und damit ist es dann gut!‘ Wir sind nicht darauf eingegangen. Wir wissen nicht, wie lange wir hier bleiben können. Wir prozessieren jetzt seit 1991, und es ist kein Ende in Sicht.“ Sie sagen auch: „Nicht die Israelis sind schlecht. Wir haben viele israelische Freunde. Schlecht ist das System, das so mit uns umgeht.“
Der Hügel, auf dem diese Familie lebt, gehört zu einer Bergkette, auf dem die israelische Regierung sogenannte jüdische Siedlungen errichtet, das sind Trabantenstädte rund um Jerusalen, die auf staatsfremdem Gebiet errichtet werden, wobei stetig weitere Palästinensergebiete annektiert werden. Palästina wird dadurch zu einem Löcherkäse, auf dem kein Staatsgebiet mehr errichtet werden kann, weil er von jüdischen Enklaven durchlöchert ist. Die Siedlungen werden zuerst einzeln, dann (jeweils mit einer größeren Umbaumaßnahme) als ganze Hügelkette von einer zehn Meter hohen Mauer umfriedet. Das Grundeigentum dieser Familie ist auf einem Hügel einer solchen Kette, der mit einer solchen Mauer und entsprechenden Straßen, die nur von jüdischen Siedlern benutzt werden dürfen, aus Palästina herausgeschnitten werden soll. Vorestern wurde in den Nachrichten berichtet, dass israelische Behörden solche von deutschen Firmen gebauten Solaranlagen abreißen wollen.