Kopfpiep und Stilleklang

Diese Woche schrieb mir jemand die folgende E-mail, die ich mit seiner Erlaubnis zitiere…

Sehr geehrter Herr Hammel,

Ich möchte ihnen gerne meine Erfahrung mitteilen mit dem Hören der Stille-Klang-Hördatei, die ich von ihrer Website gedownloadet habe. Ich bin Pianist, habe seit 1 Jahr einen Piep im Kopf, lebe in Holland und bin an allen Therapieformen interessiert die es gibt für Tinnitus.

Nachdem ich bislang immer mit Klangstücke-CDs für Tinnituspatienten meditiert habe, war ihre StilleKlang eigentlich ein Schritt in eine ganz andere Richtung, nämlich Richtung Stille, anstatt den KopfPiep zu maskieren mit anderen Geräuschen / Klängen. Das fand ich faszinierend. Nach 3-maligem Hören hat sich zwar an den Beschwerden noch nichts geändert, wohl aber an meiner Sensibilität für Stille. Das führt dazu, dass ich nun im Alltag oft die Stille dem auflegen einer CD vorziehe, außerdem habe ich einiges aufgeräumt (ge-simplifyt). Das Thema: Musiker und Fehler / vollkommene Musik finde ich interessant.
Auch die Assoziation Hoch – Stille / Freiheit. Mit dem Bild des Aufzugs konnte ich nicht soviel anfangen, auch nicht mit dem 10stöckigen Haus (ich sehe dann immer ein langweiliges Bürogebäude). Ich werde die StilleKlang noch weiter hören, um zu sehen, ob ich noch Neues hinzuentdecke.

Meine Frage nun ist: Vielleicht haben Sie noch ein paar Tips für mich, oder auch Literaturhinweise, haben sie selber etwas geschrieben, oder andere, was zu meiner Situation passen würde?

Liebe Grüsse,

A. P.

Ich schrieb ihm zurück:

Sehr geehrter Herr A. P.,

Literatur zur hypnotherapeutischen Bearbeitung von Tinnitus gibt es fast keine.
Ein Buch von Dr. Steinriede kommt zu dem Ergebnis, man könne die erlebte Lautstärke (resp. Stille 😉 ) regelmäßig nicht beeinflussen, nur den psychologischen Umgang damit. Dem widersprechen die Beobachtungen / Messungen von Dr. Schneider und mir. Die von uns gemessenen Patienten haben nach der Arbeit mehr Stille oder völlige Stille erlebt. Ich arbeite meistens nicht mit einer förmlichen Hypnose und tiefer Trance, sondern mehr mit Alltagstrancen, wie man sie auch sonst beim Tagträumen erlebt. Eine Sammlung von Interventionen, die ich in dem Heidelberger Tinnitusversuch wiederholt verwendet habe, finden Sie skizziert unter: www.hsb-westpfalz.de/das-team/dr-p-schneider/interventionen.html . Ansonsten hier einige „Fragmente“ zur Hypnotherapie bei Tinnitus.

Der amerikanische Hypnotherapie-Entwickler Milton Erickson hat im Rahmen der Trancearbeit mit einem  Tinnitushörer folgende Geschichte verwendet.

Erickson erzählt: Ich gebe dir eine Geschichte, damit du es besser verstehst? wir lernen nämlich Dinge auf eine sehr ungewöhnliche Art, auf eine Art, von der wir nichts wissen. In meinem ersten Collegejahr kam ich an einer Kesselfabrik vorbei. Die Arbeiter waren an zwölf Kesseln gleichzeitig beschäftigt, und sie waren in drei Schichten eingeteilt. Und diese pneumatischen Hämmer schlugen unablässig auf das Metall und trieben Nieten in die Kessel. Ich hörte den Lärm und wollte herausfinden, was es war. Nachdem ich erfuhr, dass es eine Kesselfabrik war, ging ich hinein und konnte darin niemanden reden hören. Ich konnte sehen, wie die verschiedenen Angestellten Gespräche führten. Ich konnte sehen, wie sich die Lippen des Vorarbeiters bewegten, aber ich konnte nicht hören, was er zu mir sagte. Er hörte, was ich sagte. Ich bat ihn nach draußen, damit ich mit ihm reden könnte. Und ich bat ihn um Erlaubnis, meine Decke mitzubringen und dort für eine Nacht auf dem Boden zu schlafen. Er dachte, mit mir stimmt etwas nicht. Ich erklärte, dass ich ein angehender Medizinstudent sei und dass ich an Lernprozessen insteressiert sei. Und er erlaubte mir, dass ich meine Decke mitbringen und auf dem Boden schlafen dürfte. Er erklärte es allen Arbeitern und ließ einen Zettel für die nächste Schicht da. Am nächsten Morgen wachte ich auf. Ich konnte hören, wie die Arbeiter über diesen bescheuerten Jungen redeten. Warum zum Teufel schlief er hier auf dem Boden? Was wollte er denn dabei lernen? Im Schlaf während der Nacht blendete ich all diesen schrecklichen Lärm von zwölf oder mehr pneumatischen Hämmern aus und ich konnte menschliche Stimmen hören.

Ich wusste, es ist möglich, zu lernen, nur bestimmte Geräusche zu hören, wenn du deine Ohren richtig einstellst. Du hast ein Piepen in den Ohren, aber du hast noch nicht daran gedacht, die Ohren so einzustellen, dass du das Piepen nicht mehr hörst. Und wenn du zurückblickst, dann sind da eine Vielzahl von Zeiten, an denen du heute aufgehört hast, das Piepen zu hören. Es ist schwierig, sich an Dinge zu erinnern, die nicht auftreten. Aber das Piepen hat aufgehört. Aber weil nichts da war, erinnerst du dich nicht mehr daran? Nun ist das Wichtige, die Sache mit dem Piepen zu vergessen und sich an die Zeiten zu erinnern, als kein Piepen da war. Und das ist ein Lernprozess. Ich habe in einer Nacht gelernt, nicht mehr die pneumatischen Hämmer in der Kesselfabrik zu hören ? und ein Gespräch zu hören, das ich am vorigen Tag nicht hören konnte? ich wusste, was der Körper automatisch tun kann? Nun verlasse dich auf deinen Körper. Vertraue ihm. Glaube an ihn. Und wisse, dass dir das ausgezeichnet helfen wird.
(M.H.Erickson, in: D.C.Hammond, Handbook of Hypnotic Suggestions and Metaphors, 266)

Einige Interventionen von mir habe ich in kurzen Geschichten skizziert:

„Treiben Sie Sport?“ „Taekwondo.“ „Welcher Gürtel?“ „2. Dan.“ „Gut. Hören Sie zu. Stellen Sie sich vor, Ihr linkes Ohr, das die Stille gut kennt, ist der Meister. Ihr rechtes Ohr, das den Tinnitus kennt, ist der Schüler. Was kann der Meister den Schüler lehren, und was möchte der Schüler von seinem Meister lernen?“ „Konzentration.“ „Gut. Hören Sie dem Meister für eine Zeitlang zu, und schauen Sie ihm zu, wie er den Schüler unterweist. Beobachten Sie den Schüler, wie er auf seinen Lehrer hört und seinen Anweisungen folgt. Was nehmen Sie wahr?“ „Jetzt ist es still.“ (S.Hammel, Handbuch des therapeutischen Erzählens, 84)

Sie liebte es, in die Disco zu gehen. Wenn ihre Eltern sie abholten, wunderten sie sich jedes Mal: „Wie kannst du es aushalten bei dem Krach?“ Doch sie wusste: Laut ist die Musik nur am Anfang. Schon bald ist das Laute nicht mehr laut. Das Ohr stellt die Lautstärke nach.
Sie liebte es, abends im Bett noch leise Radio zu hören. Zwar hatten ihr die Eltern das verboten, wenn sie am nächsten Tag Schule hatte, doch stellte sie das Radio so leise ein, dass sie fast nichts mehr hörte. Sie wusste: Leise ist die Musik nur am Anfang. Schon bald ist das Leise nicht mehr leise. Noch mehrere Male kann sie das Radio noch leiser stellen, und immer noch hört sie alles genau. Denn das Ohr stellt die Lautstärke nach.

Als wir das erste Mal mit der Behandlung von Tinnitus experimentierten, ließ ich den Probanden auf einer Skala von 0 bis 10 die aktuelle Lautstärke bewerten. Es gelang uns, seinen Tinnitus zu reduzieren.
Den nächsten Probanden ließ ich die Leisheit beurteilen. Der Proband fand diese Vorstellung etwas mühsam, doch wir erreichten, dass der Tinnitus völlig verschwand.
Die dritte Probandin ließen wir nach jeder Intervention auf einer Stilleskala den Grad der bereits erreichten Stille skalieren. Das Arbeiten wurde nochmals leichter. Auch diese Probandin verlor ihren Tinnitus ganz.

Einer Therapeutin, die zum Thema nachgefragt hat, habe ich geschrieben:

„Den Tinnitus betreffend denke ich: Erfragen sie, wonach er klingt, z.B. nach einem Bienenkorb, einem hohen elektrischen Ton oder dem Brummen eines Motorfliegers – und machen Sie dann mit der Klientin eine Reise zu einem Ort, wo dieses Geräusch vorkommt und seinen Sinn hat.
Oder lassen Sie die Klientin ein Gerät konstruieren bzw. ein Tier erfinden, das genau dieses Geräusch macht und lassen Sie sie das Gerät oder Tier in allen Einzelheiten beschreiben.
Kommen Sie dann auf Eigenarten und Fähigkeiten des Gerätes oder Tieres zu sprechen, die therapeutisch nützlich sind (Produktions- / Reparaturwerkzeug / Jagdinstinkt, mütterliche Fürsorge, bei Fledermäusen Nutzung des hohen Tones zum Orten von Beute und Artgenossen, bei Delfinen zur Verständigung, bei einer Hundepfeife Signalfunktion).
Sie können Trance auch erzeugen, indem Sie die Frau bitten, sich nur auf den Klang des Tons zu konzentrieren und vor diesem Hintergrund allmählich immer deutlicher Ihre Worte zu bemerken.
Sie können die Trance durch Dissoziation vertiefen, wenn sie suggerieren: ‚Während ein Teil Ihrer Aufmerksamkeit sich ganz auf diesen Ton konzentriert, ist ein anderer Teil mit dem beschäftigt, was ich sage.'“

Viele Grüße,
Stefan Hammel

Frei nach Heisenberg

Als wir das erste Mal mit der Behandlung von Tinnitus experimentierten, ließ ich den Probanden auf einer Skala von 0 bis 10 die aktuelle Lautstärke bewerten. Es gelang uns, seinen Tinnitus zu reduzieren.
Den nächsten Probanden ließ ich die Leisheit beurteilen. Der Proband fand diese Vorstellung etwas mühsam, doch wir erreichten, dass der Tinnitus völlig verschwand.
Die dritte Probandin ließen wir nach jeder Intervention auf einer Stilleskala den Grad der bereits erreichten Stille skalieren. Das Arbeiten wurde nochmals leichter. Auch diese Probandin verlor ihren Tinnitus ganz.

Was war hier Wissenschaft, was Therapie? Die Art der Messung bestimmte das Ergebnis und wurde Teil der Therapie.

Das ausgewechselte Gedächtnis

Ein Freund erzählte mir neulich, er habe früher ein ausgezeichnetes Gedächtnis gehabt, jetzt aber sei sein Gedächtnis schlecht geworden. Beispielsweise habe er früher einmal ein Lied verfasst, das er gerne wieder einmal singen wolle, aber er habe den größten Teil des Liedes vergessen.

Ich laberte ihn mit einem Vortrag über sein Gedächtnis in Trance. Sinngemäß sagte ich zu ihm: „Wenn du früher einmal ein gutes Gedächtnis hattest, dann hast du es auch jetzt. Du hast nur gerade keinen Zugang dazu. Das liegt wahrscheinlich daran, dass du behauptest, kein gutes Gedächtnis zu haben, so dass du glaubst es sei so, so dass es auf einer oberflächlichen Ebene tatsächlich so ist. Wenn du dir stattdessen Geschichten darüber erzählst, wie gut dein Gedächtnis ist, wirst du innerhalb von Minuten bemerken können, dass dein Gedächtnis besser wird. Tatsächlich ist dein Gedächtnis immer gut, wenn es dir wichtig ist, dich zu erinnern. Wenn es scheinbar nicht gut ist, dann ist es dir nur gerade nicht wichtig, dich an etwas zu erinnern – oder es ist dir eine Zeitlang nicht wichtig gewesen, dich zu erinnern, und danach hast du deine Meinung darüber geändert, und es ist dir erst später wieder wichtig geworden. Du kannst das Gedächtnis für dieses Lied aber wiedergewinnen. Schreib einfach die Zeilen und Fragmente auf, die du noch weißt, in der Reihenfolge, die du am ehesten für richtig hältst. Dann beschäftigt sich dein Unbewusstes nur noch mit den Zeilen, die noch fehlen, und es hat seine Brückenpfeiler gebaut von den Zeilen, die du schon bewusst weißt zu denen, die du noch finden willst. Das ist wie ein Puzzle, das immer leichter zu lösen ist, je mehr Teile du schon gefünden und ineinandergefügt hast.

Der Freund sagte: Das probiere ich aus. Er suchte sich Stift und Papier und begann zu schreiben. Nach fünf Minuten nahm er seine Gitarre und sang das ganze Lied.

Die Ahnungslosen

„Ich habe oft Jugendliche vor mir sitzen, die auf jede Frage, die ich ihnen stelle, antworten: ‚Keine Ahnung‘. Was kann man mit denen machen?“ fragte mich eine Beraterin.

„Erzähle ihnen vom Stamm der Ahnungslosen“, sagte ich. „Sie leben im Dschungel der Unwissenheit und haben echt keine Ahnung. Als sie sich Hütten bauen wollten, haben sie am Anfang Gras genommen. Das hat aber nicht geklappt, dann haben sie Blätter genommen. Danach haben sie es mit Lianen probiert, das war auch nicht so gut. Rindenstücke waren zwar besser, aber auch nicht überzeugend. Sie haben alles mögliche versucht, es war alles nichts. Die Holzhütten haben dann schließlich gehalten. Dann wollten sie sich Kleider machen. Und sie hatten echt keine Ahnung. Sie haben mit Schlamm experimentiert, den sie auf der Haut haben trocknen lassen, und danach mit Büffelmist, den sie zu breiten Fladen ausgerollt haben und nach dem Trocknen um die Hüften gelegt haben. Das war zwar besser, hat aber bei Regen nicht mehr funktioniert. Kleider aus Dornengestrüpp waren auch nicht das Richtige. Irgendwann haben sie dann Flechtröcke und Lederstücke verwendet, von da an ging es besser. Die waren so blöd, die waren echt ahnungslos. Einmal wollten sie ein Boot bauen. Da haben sie Wasserpflanzen verwendet. Auch die Boote aus Stein waren nicht gut. Die Ahnungslosen haben alles Mögliche probiert. Sie waren so ahnungslos, dass sie noch nicht mal ans Aufgeben gedacht haben. Das ist schon eine Leistung. So haben sie halt immer weitergemacht. Irgendwann hat mal einer einen Baum ausgehöhlt. Das hat funktioniert, das haben sie beibehalten. Dann wollten sie Fischen fahren. Erst wollten sie die Fische vergiften, aber das war nicht so gut… und so weiter…

Erzähle den Jugendlichen so lange von den Ahnungslosen, bis sie es überdrüssig werden und von ‚keine Ahnung‘ nichts mehr wissen wollen. Erzähle ihnen so lange, wie die Ahnungslosen ‚keine Ahnung‘ hatten, bis die Jugendlichen zwischen Amüsiertheit und zunehmend genervter Ungeduld schwanken. Dann erzähl ihnen eine Lösung und ziehe die nächste Etappe wieder in die Länge. Nimm dir Zeit. Lass die Ahnungslosen so doof sein, wie es nur geht, und noch viel unfähiger, als die Jugendlichen sich fühlen. Lass sie so bescheuert sein, dass die Jugendlichen nur über sie lächeln können. Die Ahnungslosen sind maximal blöd. Das Gute ist nur, dass sie immer weiter machen und immer Erfolg haben. Wer den Stamm der Ahnungslosen kennt, für den ist, ‚keine Ahnung‘ zu haben, nicht mehr cool und auch nicht mehr egal. Aber es ist auch keine Tragödie. Man kann etwas daraus machen.“

Das Zölibat

Es war irgendwann in der Zukunft. Eines Morgens erwachte ein Papst mit einem seltsamen Traum. Im Traum hatte er vor Tausenden von Priestern gesprochen. Aus einer Eingebung heraus hatte er gerufen: „Mit dem heutigen Tag ist das Zölibat aufgehoben. Priester dürfen ab jetzt wieder heiraten.“ Die Priester aber jubelten nicht. Sie schauten ihn an und schwiegen still. Da hörte er hinter sich eine Stimme: „So viele Jahre lang habe ich mir viele Freuden versagt und mein Leben nach der rechten Lehre ausgerichtet. Soll das alles umsonst gewesen sein?“ Er drehte sich um und sah in einen Spiegel. Da hörte er einen Chor von Priestern, die sangen in Psalm und Antiphon: „Soll das umsonst gewesen sein?“ „Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht!“ Später an jenem Morgen traf der Papst einen Kardinal und fragte ihn: „Was würde passieren, wenn ich das Zölibat aufhöbe?“ „Du hättest ein Leben lang vieles umsonst getan und unterlassen. Du wärest umgeben von Menschen, die ein Leben lang vieles umsonst getan und unterlassen haben. Wir müssten unser Leben neu ausrichten. Es gäbe eine Krise. Bedenke, was du tust.“ „Ja“, sagte der Papst, „das ist ein wirklich mutiger Schritt“

Die Geschichte vom Zölibat habe ich gestern im Zusammenhang eines Mannes erwähnt, der eine längere Zeit der Depression durchlitten hatte und sich davon in relativ kurzer Zeit erholt hatte. Ich habe die Geschichte zuerst im „Handbuch des therapeutischen Erzählens“ aufgeschrieben. Als Anwendung für die Geschichten habe ich dort notiert:

Die Therapie von Zwangshandlungen oder Wahnvorstellungen, die für die Biographie eines Menschen bereits prägend sind, weil sie über eine längere Zeit unter Einbeziehung der Familie und der Öffentlichkeit ausgelebt wurden, oder weil sie mit großen Opfern verbunden waren, kann erschwert werden durch die Notwendigkeit, die Vergangenheit  neu zu interpretieren. Es ist eine große Leistung, die Vergangenheit umzuschreiben und persönlich und öffentlich hinter der neu gefundenen Lebensdeutung und Lebensgestaltung zu stehen. Um dem Klienten den Schritt in ein solches neues Leben zu ermöglichen, kann es sinnvoll sein, auf den Preis hinzuweisen, der dafür zu zahlen ist. Zu diesem Preis gehört oft auch die Trauer verpasste Chancen in der Vergangenheit. Wer einen solchen Schritt tut, hat Respekt und Bewunderung verdient.

Bespitzelung?

In diesen Tagen habe ich die folgende E-mail erhalten.

Sehr geehrter Herr Stefan Hammel,

ich habe Sie neulich im Fernsehen gesehen und war sehr beeindruckt von Ihrer Arbeitsweise im therapeutischem Bereich. Da stellt sich mir zunächst erst einmal eine grundlegende Frage. Kann man mit Ihrem Konzept des therapeutischen Vorlesens wirklich alle “ Probleme “ lösen?
Ich habe schon, als Privatperson einiges über therapeutisches Arbeiten bzw. eben solche Konzepte gelesen (…) und an mir selbst erlebt, wie heilsam ( … ) das ein oder andere Buch sein kann.
Aber das Beispiel von welchem ich Ihnen berichten will, kennt sicher  bzw. leider keine Lösung, die sich mit  therapeutischen Büchern auflösen lässt. Und zwar geht es darum, dass ich schon seit einigen Jahren bespitzelt werde und zwar “ 24 Stunden “ am Tag, auch jetzt wo ich gerade diese Mail an Sie schreibe. Ich habe mich auch schon an die Polizei gewand, an den weißen Ring und an andere mehr, aber ohne ersichtliche Beweise, glaubt mir das sowie so kaum jemand ( selbst für mich ist und bleibt es abstrakt, aber wirklich).!!!? Und aus dieser Perspektive, ist es wohl auch nicht zu lösen. (Ich habe der Polizei nur abschließend eins versichert, dass ich es so transparent wie irgend möglich machen werde und davon lasse ich erst ab, wenn sich ein Lösungsansatz ergibt (die die das Tag ein Tag aus und auch in der Nacht für notwendig halten mir (und bestimmt auch anderen in diesem Lande, sind mir in den meisten Fällen wohl bekannt, auch persönlich, Le Bon beschreibt sie in seinem Buch; Massenpsychologie als psychisch kriminelle (ich finde das als sehr milde ausgedrückt ) ) so .

Mit freundlichen Grüßen 🙂

S.K.

Ich habe folgendermaßen geantwortet:

Sehr geehrte Frau S.K.,

wenn Sie bespitzelt werden, kann natürlich kein Psychotherapeut die Bespitzelung unterbinden. Möglich ist es, den Umgang damit zu verändern, also beispielsweise mit Psychotherapie dafür zu sorgen, dass Ihnen die Bespitzelung fast so gleichgültig wird, als fände sie gar nicht statt.
Denn was haben Sie bisher davon, dass Sie sich über die Spitzel aufregen oder beunruhigen – wahrscheinlich weitaus mehr Unannehmlichkeiten, als wenn Sie zwar von ihnen wissen, aber sich nicht mehr für sie interessieren. Zumal Sie den Spitzeln, die wohl daran interessiert sein werden, Sie zu verunsichern, durch größtmögliche Gleichgültigkeit am ehesten „eins auswischen“ können.
Ich schlage Ihnen vor, dass Sie einen Systemischen Therapeuten/in oder Hypnotherapeuten/in (z.B. Verfahren nach Milton Erickson) aufsuchen und ihn / sie darum bitten, Ihnen nicht – wie sicher manche Leute – die Tatsache der Bespitzelung ausreden zu wollen, sondern nur mit Ihnen daran zu arbeiten, dass Ihnen die Spitzel mehr und mehr egal werden. (Gerne können Sie meine Mail dabei mitnehmen, falls der Therapeut an dem Vorschlag interessiert ist.)
Wenn Sie tatsächlich bespitzelt werden, wird das die Spitzel zumindest frustrieren und Ihnen ein leichteres Leben schenken. Sie können denen durch Nicht-beeindruckt sein am ehesten eine Nase drehen.
Und selbst falls diejenigen Leute recht haben sollten, die behaupten, es gäbe keine Bespitzelung, wird das Problem dabei reduziert.

Viele Grüße, Stefan Hammel

Flug- und Brückenphobie

Diese Woche habe ich eine Mail erhalten von einem Klienten, der wegen einer generalisierten Angststörung, wegen einer Brücken- und Flugphobie und der Angst, in fremder Umgebung allein unterwegs zu sein, bei mir in Behandlung war. Wir trafen uns innerhalb einer Woche gleich dreimal für eine Stunde, da er in der folgenden Woche eine weite Autofahrt mit vielen Brücken und im Folgemonat eine Flugreise vor sich hatte. Etwa anderthalb Wochen nach dem letzten Treffen habe ich nun diese Zeilen erhalten, die ich mit seiner Erlaubnis hier weitergebe. Vielleicht dienen Sie ja jemand anderem zur Ermutigung, um an neue Lösungsmöglichkeiten zu glauben und sich auf den Weg zu machen…

Hallo Hr. Hammel,

wie besprochen möchte ich Ihnen gerne ein Feedback geben was meine Ängste betrifft.
Es war auf jeden Fall sehr gut und ich glaube auch wichtig, dass wir uns an dem Samstag vor Pfingsten nochmal getroffen haben. Zumindest kann ich berichten das meine Motorradfahrt nach Koblenz, inklusive Autobahn (ca. 60km und eine halbe Stunde) eigentlich sehr positiv verlaufen ist.
Ich hatte nur 1-2 kurze Momente der Angst, aber weniger panische Angst, sondern eher ein kürzeres, weniger starkes Angstgefühl beim Überfahren einer relativ langen Brücke.
Nach ca. 20 Minuten nur Autobahn und nur Geradeaus überkam mich ein beklemmendes Gefühl. ich hatte „es“ aber jederzeit im Griff und konnte den restlichen Tag genießen.

Insgesamt geht es mir seit den Therapiestunden sehr viel besser, ich habe kaum noch Angst (70-80% weniger als zuvor) und kann mein Leben viel leicher und besser leben.
Meine Phantasie kann ich nun auch endlich besser „steuern“. Nicht sie bestimmt meinen „Film“, sondern ich.

Gelegentlich empfinde ich noch einiges an Negativgedanken, die ich im Moment nicht zu beschreiben weiß. Wahrscheinlich einfach „Unwohlsein“, vor allem morgens nach dem Aufwachen. Was könnte das sein? Vielleicht träume ich schlecht und erinnere mich nicht dran. Eventuell denke ich daran, dass das Leben endlich ist?! – Muss ich mal weiter analysieren.

Vor meinem bevorstehenden Flug habe ich kaum Angst, aber ich würde lügen, wenn ich mich bedingungslos darauf freuen würde. Zumindest hat die Nachricht über das Flugzeug der Air France, das bei Brasilien abgestürzt ist, kaum weitere Angst geschürt.

Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen danken für Ihre Hilfe, für Ihre Denkanstösse, für eine aussergewöhnliche Art der Therapie, die ich jedem bedenkenlos weiterempfehlen werde und freue mich über eine Antwort.

Viele Grüße,

K. M.

Wertvolle Beratung: Vergebung

Nach einer Pause, bedingt durch meinen Umzug, melde ich mich wieder zurück. Und mache da weiter, wo ich aufgehört habe., bei Wertbegriffen, die für die Beratung und Therapie wichtig sind, obwohl es auf den ersten Blick gar nicht so scheinen mag. Vergebung ist ein altes Wort, das nicht mehr oft verwendet wird. Auch in der Therapie ist der Begriff eher in Vergessenheit geraten. Ich gebracuche den Begriff auch eher selten, weil er etwas groß und pathetisch klingen mag, und manchmal ist leichter, mit den Klienten viele kleine, vielleicht gar unscheinbare, Schritte aneinander zu reihen, bis man sich unversehens gemeinsam am Ziel findet.

Oftmals, so denke ich, geht es in der Therapie darum, zu lernen, das Recht auf Zorn und Groll, das Recht auf Wiedergutmachung, das Recht auf eine Entschuldigung oder Sühne loszulassen und darauf zu verzichten, Gerechtigkeit (wie jeder selber sie versteht, wieder einzufordern. Vergebung kann auch bedeuten, nicht in der Vergangenheit, die niemand ändern kann, zu kreisen und Forderungen zu stellen, die sich nur durch eine Zeitreise in frühere Tage einlösen ließen. Oftmals geht es gar nicht um die moralische Frage, dass es „gut“ sei, anderen zu vergeben. Oftmals ist das wichtigste an der Vergebung, einen selbstzerstörerischen Prozess zu beenden; denn derjenige, dem vergeben werden soll, hat möglicherweise mit der behaupteten Schuld gar kein Problem – oder ist womöglich selbst gar nicht mehr am Leben. Mit der Vergebung hat es aus therapeutischer Sicht aber die folgende Bewandnis: Weiterlesen

Das depressive Entlein

Von meinem Kollegen Dr. Elmar Hatzelmann aus München stammt die Geschichte vom depressiven Entlein, die mir sehr gut gefällt und die ich daher an dieser Stelle weitergeben möchte…

Es war einmal ein ziemlich hässliches Endlein. So sah sie es und sie war sich ganz sicher, denn sie beobachtete alle anderen Tiere. Und alle waren besser, schöner, toller.
Nichts passte ihr an sich, rein gar nichts. Und das war es auch schon. Sie war ein Nichts. Null, Zero. Luft. Nicht mal Staub. Sie war so abgrundtief hässlich. Die Inkarnation von Hässlichkeit. Und wahrscheinlich wussten es alle anderen auch. Die Farbe der Flügel, die Größe, die Haltung, einfach alles völlig daneben. Es war einfach
nichts – sie war wirklich das Ende. Sie konnte nicht mal mit klugen Gesprächen ihre äußere Nichtigkeit ausgleichen. Denn dort war es genau so. Sie war einfach nicht klug genug, mental tote Hose. Sie konnte sich nur noch mit ihrem Schicksal abfinden. So ist es halt. Gaußsche Verteilungskurve. Dort war sie ganz ganz links am Anfang der Kurve, lebenslang eingebucht auf niedrigste Intelligenz und schlechtestes Aussehen. Das musste so sein. Denn es musste ja auch einen Durchschnitt und die ganz tollen Glücklichen geben.
Vielleicht würde sie im nächsten Leben auch zu den Glücklichen gehören, als Schwan oder so.
Alle hatten es viel besser. Weiterlesen

Die kleine Torte

Gestern habe ich in der Klinik eine Frau getroffen, die zeigte mir nach der Begrüßung einen Butterkeks auf ihrem Nachttisch. „Das ist meine Torte. Ich habe eine Torte bestellt und habe das hier bekommen. Jetzt habe ich beschlossen: Das ist meine Torte.“ Ich war von diesen Sätzen merkwürdig berührt. Mir gefiel die Torte der Frau. Vor meinem inneren Auge sah ich eine kleine Kerze darauf brennen. Erst zuhause fiel mir ein, was mir die Frau danach an erlittenem Unrecht berichtet hatte, und ich verstand, dass sie nicht über das Gebäck, sondern über ihr Leben gesprochen hatte.