Mit Geschichten durch die Krise, Teil 12: Vom Aussterben der Drachentöter

Wie es kam, dass das Land von der Plage des Drachen befreit wurde, obwohl sich keiner fand, der dem Untier den Garaus machen konnte…


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Diese Geschichte habe ich, glaube ich, bisher nur hier im Blog veröffentlicht.

Mit Geschichten durch die Krise, Teil 11: Der Mantarochen

Was hat der Flossenschlag des Mantarochens mit uns zu tun, mit unserer Art, zu leben, zu fühlen, zu atmen? Wer genau hinhört, wird in dieser Geschichte vielleicht die Antwort finden…


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Die Geschichte vom Mantarochen findet sich im „Handbuch des Therapeutischen Erzählens“ (Klett-Cotta 2009) auf S. 50.

Mit Geschichten durch die Krise, Teil 10: Adlerflug

Woher weiß der Adler, dass er fliegen kann? Und was machen die Adler bei Gewitter? Fragen, die ihr euch vielleicht noch nicht gestellt habt. Sind sie deswegen aber ohne Bedeutung? Wer mag, findet hier – Antworten…


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Die Originaltexte zu der Erzählung finden sich im Buch „Der Grashalm in der Wüste“ (impress, Mainz 2006, S. 20) und im „Handbuch des Therapeutischen Erzählens“ (Klett-Cotta 2009, S. 52).

Verspätung

Auch diese kleine Episode stammt von der Geschichtenerzählerin Bettina Betz… 🙂

Sie war Studentin, zwanzig Jahre alt und hatte einen Freund. Er studierte an derselben Universität, war genauso groß und genauso alt wie sie. Und sie hatten noch etwas gemeinsam: Beide hatten sie ein Problem mit dem Zeitmanagement. Sie kam meistens mit hängender Zunge gerade noch rechtzeitig, er kam fast immer zu spät.
Einmal hatten sie sich an einem Bahnhof in der Nähe seines Wohnortes verabredet. Er wollte sie am Bahnsteig abholen. Ihr Zug sollte auf Gleis eins ankommen. Auf den letzten fünfhundert Metern bis dorthin gab es parallel zu den Schienen einen Fußweg, der den Bahnhof mit dem Parkplatz verband.
Als nun ihr Zug langsam auf den Bahnhof zurollte, schaute sie aus dem Fenster. Da entdeckte sie auf dem Weg ihren Freund. Er rannte. Er rannte so schnell er konnte. Er war also wieder einmal viel zu spät von zu Hause losgefahren. Der Zug war schneller als er, er würde es nicht schaffen, rechtzeitig am Bahnsteig zu sein. Aber er gab nicht auf.
Später kann sie sich noch genau an die Gefühle erinnern, die sie in diesem Moment hatte: Sie genoss den Anblick dieses Mannes, der da rannte, ihretwegen. Sie sah sein konzentriertes Gesicht, seine gleichmäßige Bewegung. Und sie freute sich. Sie freute sich auf etwas, das sie damals schon lange einmal hatte tun wollen: Sie würde Gelegenheit haben, ihm entgegenzulaufen.
Das tat sie dann. Nachdem sie ausgestiegen war und den Bahnhof in Richtung Parkplatz verlassen hatte, sah sie ihn von Weitem kommen. Sie ließ ihren Rucksack ins Gebüsch fallen und setzte sich in Bewegung. Sie fühlte sich leicht, glaubte fast, zu fliegen. Kurz bevor sie mit ihrem Freund zusammengeprallt wäre, drosselte sie etwas ihr Tempo, musste lachen, als sie sein überraschtes Gesicht sah, und warf sich ihm in die Arme.

Jemand hat einmal gesagt: „Wir schätzen unsere Freunde für ihre Stärken, aber wir lieben sie für ihre Schwächen.“

Venedig

Auch diese therapeutische Geschichte habe ich von Bettina Betz, danke ganz herzlich und freue mich, dass ich sie mit euch teilen darf!

Venedig ist eine untergehende Stadt, sagt man. Sie ist nicht nah am Wasser sondern im Wasser gebaut. Seit sie existiert glaubt man vorhersagen zu können, wann sie dem Meer zum Opfer fallen wird.

Ich habe gelesen, dass die Gefahr, abzubrennen für Venedig noch größer sei. Die Stadt ist sehr dicht bebaut. Wenn es brennt, ist die Feuerwehr auf die Kanäle angewiesen. Von Zeit zu Zeit werden diese jedoch zu Reinigungszwecken leergepumpt. Wenn das Feuer also an der „falschen Stelle“ ausbricht und der nächstgelegene Kanal gerade trocken liegt, hat die Feuerwehr weder einen direkten Zugang zum brennenden Gebäude noch einen schnellen Zugriff auf Löschwasser.
Wenn man sagt, man liebt Venedig, dann hört man oft: „Ja, das Morbide hat eine starke Anziehungskraft.“ Die Stadt scheint ein Symbol für die Sehnsucht nach dem Tod zu sein. Viele Geschichten und Filme, die den Tod thematisieren, spielen dort. Die Fassaden der Palazzi bröckeln, das Meerwasser schwappt jährlich meterhoch über den Markusplatz, Touristenströme überschwemmen die ganze Stadt, ihre Füße scheinen sie in den Meeresboden stampfen zu wollen.

Für mich ist Venedig ein Symbol der Lebenskunst. Dabei denke ich nicht an seine große Vergangenheit, sondern sehe es, wie es heute ist: In den maroden Fassaden sitzen blankgeputzte Fenster, hinter den Vorhängen blinken Kronleuchter. Die unscheinbaren Häuser um den kleinen zentralen Platz des Ghettos verbergen nach wie vor fünf Synagogen mit prächtiger Ausstattung. Viele Gebäude werden restauriert und gepflegt und zeigen sich in voller Schönheit. Die verschlungenen engen Gassen sind voller Überraschungen. In den Restaurants wird nach allen Regeln der Kunst gekocht. Die „aqua alta“ geht jedes Mal wieder zurück.

Beim letzten Brand des berühmten Theaters „La Fenice“ (es gab unzählige in der Geschichte Venedigs) stand der Wind günstig und Nachbarn riefen rechtzeitig die Feuerwehr. So hatte sie genügend Zeit, zwar nicht das Theater, aber die Stadt vor dem Feuertod zu retten. Der angrenzende Kanal war in dieser Nacht gerade leer.
Vom Himmel her betrachtet sieht die Stadt Venedig aus wie ein Fisch.
Vielleicht ist sie ein Delfin. Wie sonst könnte sie es so lange über Wasser aushalten?

Im Dschungel

Ich war im Aufenthaltsbereich der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Die Stimmung war sehr unruhig. Eine Frau stöhnte, als ob sie eine schwere Last zu tragen – im Sekundentakt, stundenlang. Eine andere Frau schrie unablässig schwer verständliche Worte in den Raum. Ein Mann brüllte Beschimpfungen durch die Gegend. Alles das pausenlos. Wie die Patienten das wohl ertragen? Eben noch hatte ich mich in einem Zimmer mit einer Frau unterhalten, die sich nicht aus ihrem Raum wagte, weil es draußen so wild zuging. Inmitten von all dem Durcheinander saß eine kleine, zierliche Frau, still, vielleicht ein bisschen schüchtern, vielleicht ein bisschen ratlos. Sie lächelte mich freundlich an, und ich lächelte zurück. Ich setzte mich zu ihr. „Stellen Sie sich vor, das ist ein Dschungel. Schauen Sie sich um. Da sind Vögel, die seltsame Schreie von sich geben, Brüllaffen, und ganz viele andere interessante Tiere…“ „Danke, danke, danke… Ich danke Ihnen! Sie haben mir sehr geholfen. Ich danke Ihnen…!“ Sie strahlte mich an und gab der Luft drei Küsse, die in meine Richtung flogen.

Pflügt aufs Neue…

Im November und Dezember bin ich krank gewesen und konnte teilweise gar nicht, teils nur eingeschränkt arbeiten. Darum auch keine Blogs… Nun bin ich zurück und wünsche euch allen ein möglichst gutes und vor allem gesundes Jahr, in dem ihr alles, was euch am Leben hindern will, zum Guten wendet! Auf dass himmlischer Segen, irdisches Leben und Weisheit, die beides vereint, sich in eurem Leben verbindet!

Vielleicht darf ich mit euch meine Gedanken teilen, die ich in der Klinik beim Gottesdienst zum neuen Jahr weitergegeben habe? Das bezog sich auf einen Satz des Propheten Jeremia, der gesagt hat: „Pflügt aufs Neue und sät nicht unter die Dornen!“

Ein neues Jahr liegt vor uns wie ein Acker. Ungepflügt und unbestellt darauf wartet es darauf, beackert zu werden. Unsere Aufgabe wird es sein, die vor uns liegende Zeit zu bestellen wie ein Feld, so dass sie Früchte trägt – Früchte des Erfolgs, des Glücks, der Liebe, Früchte einer erfüllten Zeit bzw. eines gelingenden Lebens. Unsere Aufgabe wird es also sein, die Scholle zu wenden, unsere Saat zu säen und die Ernte einzubringen. Es gibt wohl viele ganz verschiedenen Stile, so einen Acker zu bestellen. Man kann ihn tiefer oder flacher pflügen, im Herbst oder Winter oder Frühjahr, mit vielen oder wenigen Pflugscharen darüber fahren oder ihn mit ganz anders geformten modernen Gerätschaften bearbeiten. Wer den Fortschritt ablehnt, muss einen Ochsen anschirren oder gar sich selber vorspannen, wobei entsprechend leichtes Gerät zu empfehlen wäre. Man kann natürlich auch hingehen und sagen: Das letzte Jahr hat’s mir den Raps und die Gerste verhagelt. Wer weiß, ob sich die Arbeit lohnt. Vielleicht hagelt es ja wieder, oder es verregnet mir die Ernte. Ich pflüge dies’ Jahr einmal nicht. Ich säe die Frucht gleich in die Disteln und Dornen und was dann aufgeht, das ernte ich dann eben.
Würden Sie das so machen? Aber nein, bestimmt nicht. Wer würde denn so etwas tun? „Pflüget ein Neues und säet nicht in die Dornen“ lautet ein Rat aus der Bibel, aus dem Prophetenbuch Jeremia. Aber sagen Sie mir, wer wäre denn so doof, ein Feld zu bestellen und nicht zu pflügen und die Saat gleich auf die Disteln und Quecken zu streuen? Man weiß es nie. Menschen nehmen auch anderes Unkraut ins neue Jahr und säen Neues darüber, ohne das alte erst einmal umzupflügen. Den Streit und die Verletzungen vom letzten Jahr  lassen sie wachsen, denn das noch einmal umzupflügen ist harte Arbeit, und wer weiß, ob es sich lohnt. So säen sie all ihre Bemühungen um Gerechtigkeit und Liebe und liebevolles Miteinander auf eine verletzte Beziehung, in den Schmerz und die Kränkung hinein. Immerhin, sie fahren die Saat noch aus. Es gibt auch Menschen, die einen solchen Acker, der sie einmal enttäuscht hat, überhaupt nicht mehr bestellen. Das Unkraut des Schweigens und Nicht-mehr-grüßens wuchert immer über einer Beziehung, und je höher es wuchert, desto unwirtschaftlicher scheint es, darauf noch einmal etwas zu säen. Mit einem Acker geht man kaum so um, aber mit anderen Menschen verfahren viele so. Man lässt das alte Unkraut wuchern, so dass nichts Neues wachsen kann. Klar scheint mir: Um zu gedeihen, braucht Liebe einen vorbereiteten Boden. Kränkungen müssen aufgehoben und im Gespräch zum Guten gewendet werden. Harte Positionen müssen gelockert werden. All das Schmollen und den Trotz muss man selber umwenden, damit auf seiner Rückseite etwas Neues gedeihen kann. Das kann weh tun, noch einmal spürt man die Verletzung. Aber Das Schweigen muss aufgebrochen werden. Wer Recht hat oder Unrecht ist ja gar keine Frage, im Verhältnis zu dem Leiden, was das stolze oder gekränkte Schweigen anrichtet. Was zählt ist, was heilt. Also geht es doch darum, ob man sich in die Position des anderen hineinversetzen kann, und ob man es schafft, das in irgendwelche geeignete Worte zu fassen. Worte des Bedauerns stehen nicht am Anfang, es ist schon gut, wenn sie am Ende möglich werden. Zum Bereiten eines guten Bodens gehört sicher auch, dass man sich im Stillen mit sich selbst auseinandersetzt. Was war gelungen, was ist mir missraten in der vergangenen Zeit? Wie kann es beim nächsten Mal besser werden?
Diese Art von Arbeit ist hart, und der Ertrag ist so unsicher wie jede Ernte. Und trotzdem: Wer seine Liebe auf fruchtbaren Boden fallen lassen will, muss den harten Boden vergangener Enttäuschungen neu um brechen und von neuem seine Saat ausstreuen. Also: „Pflügt aufs Neue, und sät nicht unter die Dornen!“

 

Das Stanford-Experiment

Wie kann die Welt friedlicher, lebenswerter, liebenswerter werden?

Ich möchte in den nächsten Tagen und Wochen einige Geschichten und Videos darüber veröffentlichen, wie die Gesellschaft und die Einzelnen von Gewalt geheilt werden können – es geht mir um Versöhnung, um innere Heilung (und dabei ist mir die Heilung der sogenannten „Täter“ so lieb wie die der sogenannten „Opfer“), es geht mir um wertschätzende Kommunikation, um Mediation, um Therapie, aber auch um eine Gesellschaftliche Dimension: Wie erreichen wir es, dass unsere Gesellschaft sich selbst deeskaliert.

Dazu möchte ich als erstes eine kurze Dokumentation zum berühmten Stanford-Experiment zeigen. In diesem Experiment aus dem Jahr 1971 wurden (ähnlich dem Milgram-Experiment von 1946)  beliebige, möglichst „normale“ Versuchspersonen im Rahmen eines Rollenspiels an der psychologischen Abteilung einer Universität in „Wärter“ und „Gefangene“ unterteilt, um deren Interaktion zu studieren. Ähnlich wie im Film „die Welle“ wurden sie mit einfachen Attributen unterschieden. Die Einteilung in Täter und Opfer war beliebig.

Nach sechs Tagen musste das Experiment abgebrochen werden, weil die Rollenspiel-Wärter immer grausamer und die Rollenspiel-Gefangenen zunehmend traumatisiert wurden.

In der nächsten Zeit möchte ich Videos und Geschichten präsentieren, die sich unter anderem den Fragen widmen, wie Abhängigkeitsbeziehungen menschlich gestaltet werden können, wie destruktive Handlungsmuster und Teufelskreise in sozialen Beziehungen beendet werden können.

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Das Gärtchen

Herr Rech wohnt in Hoppweiler an der Gies. Das liegt bei Eppenbach an der Ried, ganz in der Nähe von Unteralben. Jeden Tag macht sich Herr Rech in seinem kleinen Gärtchen zu schaffen. Er hackt den Boden und recht ihn, er zieht den Löwenzahn heraus, zupft trockene Blätter von den Sonnenblumen und gießt alles, was da wächst. Zwei Nachbarn kommen vorbei. Sie tuscheln miteinander: „Also so einer – hat er denn wirklich nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag Blumen zu gießen?“
Der Gartenfreund hört das. Er sagt sich: „Das muss ich mir nicht nachsagen lassen! Ich habe ja wohl genug anderes zu tun!“ Herr Rech steht nun recht früh auf, stürzt sich in seine Arbeit und macht viele Überstunden. Er ist jetzt rechtschaffen eifrig. Sein Vorgesetzter ist zufrieden. Die schönen Pflanzen in seinem Gärtchen vertrocknen, und nach ein paar Wochen steht der Garten voller Unkraut. Da hört er, wie seine Nachbarn an dem Grundstück vorbeigehen: „Also so einer – lässt alles verkommen. Wie sieht denn das aus? Es ist eine Schande für den ganzen Ort!“
Am nächsten Tag steht Herr Rech ganz früh auf. Er arbeitet fleißig und ohne Pause in seinem Betrieb und bringt abends spät sein Gärtchen in Ordnung. Da hört er, wie seine Nachbarn vorbeikommen: „Also so einer – nun hat er vier Kinder und kümmert sich gar nicht um sie. Seiner Frau hilft er nicht. Schämen sollte er sich!“
Von da an steht Herr Rech noch früher auf. Er arbeitet im Morgengrauen in seinem Gärtchen, arbeitet in seinem Betrieb wie ein Wilder, hilft am Nachmittag seiner Frau, kümmert sich dann um die Kinder. Todmüde fällt er ins Bett.
So geht es eine Zeitlang, bis er eines Morgens nicht mehr aufsteht. Der Arzt stellt den Totenschein aus. „Herzinfarkt“ schreibt er darauf. Am übernächsten Tag ist die Beerdigung. Seine treuen Nachbarn begleiten ihn auf seinem letzten Weg. „Also so einer – was hat er jetzt von seiner vielen Schafferei gehabt?“