Erickson-Geschichten III

Erickson erzählt: In dem Dorf Lowell, in Wisconsin, schneite es in jenem Winter zum ersten Mal am 12. November, kurz vor 4 Uhr nachmittags. Und das Kind auf dem dritten Platz in der dritten Reihe, direkt neben dem Fenster, fragte sich: „Wie lange werde ich mich hieran erinnern?“ Ich grübelte einfach… Ich wusste genau… Ich wusste, es war der 12. November im Jahre 1912. Es war sehr leichter Schnee. (Rosen, S. 68)

Seminar Metaphernschmiede

Inzwischen stehen die Details für das zweitägige hypno-systemische Geschichten-Seminar „Metaphernschmiede“ fest, das ich vom 25.7. – 26.7.2008 beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg (Gunther Schmidt) halte. Den Ausschreibungstext und eine Anmeldemöglichkeit für das Seminar finden Sie hier.

Ziel des Seminars ist es, zu lernen, wie man…

* therapeutische Geschichten für Klientinnen und Klienten findet
* jederzeit Beispielgeschichten für einzigartige Situationen erfindet
* Erzählungen therapeutisch wirksam formuliert und einbettet
* Problemmetaphern in Lösungsmetaphern transformiert
* wegweisende, warnende und aktivierende Geschichten aufbaut.

Neue Hypno-Audiodateien zum Downloaden

Drei neue hypnotische Geschichten habe ich als Audiodateien auf der Seite www.stefanhammel.de eingestellt. Die gestrige Geschichte „Adlerflug“ findet sich unter dem Stichwort „Selbstsicherheit“ im Downloadbereich, handelt aber noch viel mehr von Weltvertrauen bzw. Gottvertrauen – also von der Zuversicht, dass das Leben oder jemand dahinter mich trägt. Die Geschichte vom Mistkäfer habe ich ja früher schon einmal hier veröffentlicht. Sie habe ich zusammen mit der vorgestern vorgestellten Erzählung vom „Grashalm in der Fuge“ zu einer hypnotischen MP3 komponiert. Die beiden Geschichten finden sich unter dem Stichwort „Befreiung“ im Downloadbereich der genannten Seite.

Ich wünsche euch allen viel Spaß beim Anhören…

Adlerflug

Ich weiß nicht, ob du schon einmal einen Adler gesehen hast. Im Zoo natürlich, aber das meine ich nicht. Wenn man im Zoo einen Adler sieht, wirkt er meistens lustlos, müde und verschlafen. Was soll er auch tun? Ein Adler ist zum Fliegen geschaffen, und das kann er in einem Käfig nicht, jedenfalls nicht richtig. Was mich an den Adlern beeindruckt, ist ihre Kraft – und wie sie mit ihrer Kraft umgehen. Man könnte meinen, dass so ein großer Vogel auch kräftig mit den Flügeln schlägt, wenn er fliegt. Aber der Adler hat das nicht nötig. Er zieht seine Kreise am Himmel, und obwohl er die Flügel nur selten bewegt, kann er aufsteigen, bis man ihn aus den Augen verliert. Woher weiß denn ein Adler, dass er fliegen kann? Wenn die Adler sprechen könnten – ich glaube, sie würden nicht erst diskutieren, ob es die Luft gibt, bevor sie fliegen. Sie suchen keine Beweise. Ihnen genügt, dass sie getragen werden. Sie werden getragen, und sie wissen das. Welche andere Sicherheit brauchen sie? Das Ergebnis ist ihr Beweis.

Nach: Stefan Hammel, der Grashalm in der Wüste, impress (Nierstein) 2006 und Hörbuch-CD „Der Grashalm in der Wüste – Die Taggeschichten, impress (Nierstein) 2007. Die Geschichte vom Adlerflug ist auch als Hypno-MP3 downloadbar.

Der Grashalm in der Fuge

„Mir träumte letzte Nacht von einem Grashalm“, sagte der Gefangene, „von einem Halm, der in einer Fuge wuchs in unserem Verlies, gerade da, wo das Licht, das durch das Sprechloch in der Türe fällt, auf unsere Mauer trifft. Das Wasser, das von unserer Kerkerdecke und den Wänden tropft, das tränkte ihn. Die Wurzeln wurden stark und drückten die Fuge kaum merklich auseinander. Da wuchs aus diesen Wurzeln dicht daneben ein zweiter Halm. Nun hängten wir den Gürtel an die Tür, so dass seine silberne Spange das Licht ein wenig ablenkte auf jenen zweiten Halm. Auch dieser wuchs und bildete kräftige Wurzeln, die die Fuge ein wenig verbreiterten. So verfuhren wir wieder und wieder, bis das Gras diesen Stein von allen Seiten umwucherte. Am Ende eines Jahres jäteten wir das Unkraut. Durch die Ritzen schien das Licht. Wir stemmten uns gegen den Stein und drückten ihn mit vereinten Kräften im Verlaufe eines Tages Zoll um Zoll nach draußen. Durch das Loch gelangten wir hinaus und waren frei.“ „Schade nur, dass in unserem Verlies keine Grashalme wachsen“, seufzte sein Mitgefangener. Der den Traum erzählt hatte, starrte für eine lange Zeit an die Wand. Dann fragte er: „Und was ist das?“

Die Geschichte vom Grashalm in der Fuge ist auch als Hypno-mp3 downloadbar, zusammen mit der Geschichte vom Mistkäfer, die bereits früher in diesem Blog veröffentlicht wurde.

Zwang

Die Bilder verfolgten ihn. Sie waren wie aus einem schlechten Film, den er sich nicht bewusst ausgesucht hatte, sondern in den er unversehens hineingeraten war. Wenn er an einem Kinderwagen vorbeiging, so sah er sich selbst das Kind aus dem Wagen zerren und auf dem Boden zertrampeln. Wenn er an einer schönen Frau vorbei ging, so sah er sich ihr die Kleider vom Leib reißen und sie vergewaltigen. War er mit seiner Familie zusammen, so fürchtete er sich davor, er könne plötzlich ein Messer nehmen und jemanden erstechen. War er allein zuhause, so sah er sich die Gardinen anstecken. War er im Urlaub, so fürchtete er eine Stimme Gottes zu hören, die zu ihm sagte: „Brich heute auf, gehe weg von hier, ohne Hab und Gut und verlasse dich ab heute nur noch auf mich.“ Es war eine Qual. Je mehr er die grausamen Bilder und Gedanken zu unterdrücken versuchte, desto mehr bedrängten sie ihn. Schließlich sagte er zu sich im Zorn: „Du Dummkopf hast es doch nicht anders verdient.“ Und er begann es sich in allen Einzelheiten möglichst ausführlich auszumalen: Wie er ein Kind zertrampelte. Wie er eine Frau vergewaltigte. Wie er seine Familie erstach. Wie er sein Elternhaus anzündete. Wie er sich ohne Besitz auf eine weite Reise machte. An diesem Tag verloren die Bilder ihre Kraft. Sie wurden blasser und blasser und blasser. Die Reste des alten Zwangs zeigten sich nur noch selten und schwach. Wenn sie kamen, wusste er, wie er sie begrüßte. (Nach: Der Grashalm in der Wüste, 75.)

Die authentische Fallgeschichte verwende ich als Beispiel, um Klienten zu illustrieren, wie sie Zwangsgedanken überwinden können.

Des Feindes Feind

„Der Büffel ist das gefährlichste Tier im Busch. Er ist noch gefährlicher als der Löwe. Die Begegnung mit einem Löwen kann ein Mensch ohne Waffen vielleicht überleben, aber ein Büffel – sobald er einen Menschen sieht, greift er an!“ So erzählte Mr. Mniyka. „Ich habe nur von einem einzigen Menschen gehört, der eine solche Begegnung überlebt hat“, fuhr er fort. „Dieser Mann sah einen Büffel aus dem Dickicht hervorkommen und im Galopp auf sich zustampfen. Der Mann wurde vor Schreck bewusstlos. Als er zu sich kam, sah er einen Löwen auf dem toten Büffel sitzen und gierig von seinem Fleisch fressen. Der Löwe war der Spur seines Opfers gefolgt. Er hatte die Begegnung von Büffel und Mensch vorausgesehen und den Büffel in dem Moment attackiert, als er durch seinen eigenen Angriff abgelenkt war.“

Die Geschichte erzähle ich, ähnlich wie die vom Reihel, um Menschen auf die Möglichkeit von Auswegen in ausweglosen Situationen aufmerksam zu machen. Ein Möglichkeit positiv zu denken, ist immer die, zu überlegen, was schlecht für das Schlechte ist.

Webtipp: Schneckenrennen

Zum Thema „Schneckenrennen“ gibt es in diesem Blog ja bereits zwei Beiträge und eine Audiodatei. Das fünfminütige Video „a snail’s dream“aus der Reihe „minuscule“ zeigt, wie man von der schnöden Wirklichkeit zu seiner Vision findet, und wie von der unerreichbaren Vision zur schönen neuen Wirklichkeit. Das Video könnte als Impuls in Coaching und Therapie durchaus nützlich sein, wenn es um Themen geht wie: Erfolg, Geschwindigkeit, Entwicklung und Umsetzung von Visionen. Schaut euch das Video doch einmal an, es ist allerliebst! (Ein weiterer minuscule-Film, bei dem eine Schnecke an einem Rennen teilnimmt, ist hier zu finden.) Reale Schneckenrennen werden übrigens in Heckelberg in der Schweiz veranstaltet. Einzelheiten dazu findet ihr hier.

Die Inselblume

Auf einer kleinen Insel mitten im weiten Ozean wuchs eine wunderschöne goldgelbe Blume. Niemand wusste, wie sie dort hingekommen war, denn es gab sonst keine Blumen auf dieser Insel. Die Möwen kamen angeflogen,  um dieses Wunder zu bestaunen. „Sie ist schön wie die Sonne“, sagten sie. Die Fische kamen angeschwommen. Sie schauten aus dem Wasser, um sie zu bewundern. „Sie ist schön wie eine Koralle“, sagten sie. Ein Krebs kam an Land, um sie zu betrachten. „Sie ist schön wie eine Perle am Meeresgrund“, sagte er. Und sie kamen fast jeden Tag, um diese Blume zu bewundern.
Eines Tages, als sie wieder kamen, um nach der Blume zu schauen, fanden sie die goldenen Blätter der Blume braun und vertrocknet. „O weh“, sprachen die Möwen, die Fische und der Krebs. „Die Sonne hat unsere Blume versengt. Wer soll jetzt unser Herz erfrischen?“ Und alle waren traurig.
Doch einige Tage später war da an der Stelle der Blüte eine wunderbare zartweiße Kugel. „Was ist das?“, fragten die Tiere. „Es ist so weich wie eine Wolke“, sagten die Möwen. „Es ist so leicht wie die Gischt“, sagten die Fische. „Es ist so fein wie der Schimmer der Sonne im Sand“, sagte der Krebs. Und alle Tiere freuten sich.
Da fegte ein Windstoß über die Insel und wehte dieses weiße Wunder in tausend kleinen Flocken fort über die Insel. „O weh“, sprachen die Möwen, die Fische und der Krebs. „Der Wind hat unsere Kugel verweht. Was soll jetzt unser Gemüt erfreuen?“ Und alle waren traurig.
Eines Morgens, als die Sonne über dem Meer aufging, leuchteten da im goldenen Morgenlicht hunderte und nochmals hunderte von wunderschönen goldgelben Blumen. Da tanzten die Möwen am Himmel und die Fische im Wasser, und der Krebs tanzte mit seinen Freunden einen Reigen zwischen den Blumen, und alle freuten sich.