Der Goldmacher

Jetzt erzähle ich mal wieder eine Geschichte. Ich verwende sie, um Menschen anzuregen, in scheinbar aussichtslosen Situationen nach einer Sichtweise zu suchen, die aus der Bedrohung eine Chance und aus der Not eine Tugend macht. Therapeutisch gesprochen hilft die Geschichte, belastende Lebenssituationen zu reframen (neu zu deuten) und Problemstrukturen aktiv zum Gestalten von Lösungen zu utilisieren.

In den alten Zeiten lebte bei uns ein Mann vom Stande derer, die sich Alchimisten nennen, der brüstete sich, er habe eine Weise gefunden, wie er Gold herstelle. Da das der König Weiterlesen

Wie baue ich eine Geschichte auf?

Ich habe jemanden getroffen, die meinte, sie könnte keine Geschichten erzählen. Jeder kann Geschichten erzählen! Wir tun es jeden Tag! Es gibt viele Arten, eine Geschichte aufzubauen. Ein Aufbau, der vielen bekannten Geschichten zugrunde liegt, ist zum Beispiel dieser:

1. Den realen oder fiktiven Protagonisten und seine Welt skizzieren

2. Das Problem des Protagonisten darstellen

3. Misslingende Lösungsversuche oder Irrfahrten benennen

4. Frust, Ratlosigkeit, Traurigkeit!

5. Ein äußerer oder innerer Ratgeber hat die Idee zur Lösung

6. Den Erfolg feiern – oder alles offen lassen zum weiter denken

Real erlebte Geschichten lassen sich auf diese Art ebenso aufbauen, wie erfundene. Prägt euch diese Abfolge doch einmal ein, und dann probiert es einmal aus! Viel Spaß dabei!

Reiterin und Pferd

Ich sah, wie eine Reiterin ein Pferd an sich gewöhnte. Die junge Frau war klein und zierlich. Das Pferd, ein schwarzer Wallach, schäumte vor Leidenschaft. Der Wallach sträubte sich und widerstrebte ihren Befehlen. Er hätte sie jederzeit abwerfen können, doch darum ging es nicht. Zwei Seelen rangen miteinander. „Wer führt?“ Die Frage erfüllte die Luft. Die Frau nahm sich viel Zeit für das Pferd. Sie wollte über das Tier herrschen, und es doch nicht unterwerfen. Sie wollte seine Achtung und sein Vertrauen. Am Ende gewann sie das Ringen, und ich glaube, beide waren glücklich.

Den Schrank aufräumen

Ich habe einen großen Wohnzimmerschrank. Beim Einzug in meine Wohnung hatte ich ihn mit Sorgfalt eingeräumt. Alles hatte seinen Platz. Doch im Laufe der Jahre sind in die Fächer, Regale und Schubladen viele Dinge hineingeraten, die dort nicht hingehören – oder zumindest jetzt nicht mehr. Mein Leben hat sich verändert, und andere Dinge sind wichtig geworden. Jetzt räume ich meinen Schrank auf. Als erstes habe ich alles aus dem Schrank geholt und auf dem Boden verstreut. Ein wüstes Durcheinander ist da entstanden – ich glaube aber, ein Durcheinander mit Sinn. Trotzdem, für das Ordnen brauche ich Zeit. Manche Sachen sind mit Erinnerungen verbunden. Ich muss sie mir noch einmal ansehen. Andere fordern von mir eine Entscheidung. Da sind Dinge, die werden weggeworfen. Da sind andere, die werden aufgehoben, aber nicht im Schrank, sondern woanders, zum Beispiel auf dem Speicher. Wieder andere kommen zurück in den Schrank, aber an eine andere Stelle. Der ganze Schrank soll eine neue Ordnung bekommen. Zuvor aber werde ich den Schrank auswischen, den Staub entfernen und vielleicht auch polieren. Meine Tochter war eben da. Sie sah auf das riesengroße Durcheinander und sagte zu mir: „Ich dachte, du wolltest aufräumen?“

Die Macht der Gedanken

„Die Jungs an der Bushaltestelle haben wirklich genervt. Immer haben sie mich an meiner Zipfelmütze gezogen. ‚Hört auf’, habe ich gerufen. „Sonst geht irgendwann der Bommel ab.“ Wieder und wieder sagte ich: „Hört auf!“ Nichts half! In Gedanken habe ich dann den Entschluss gefasst: „Dem nächsten, der daran zieht, trete ich ganz fest ans Schienbein!“ Doch keiner zog mehr daran.

Geschichten in der Kindertherapie

Gestern hat mich eine Kollegin in einem Forum mit Blick auf Geschichten in der Therapie mit Kindern gefragt: „Wie gehen Sie vor? Die Geschichten werden einfach erzählt, resp. vorgelesen und nicht kommentiert?“ Ich hab das mal so beantwortet:

Wenn die Geschichte gut zur Situation passt, kann sie einfach unkommentiert erzählt oder vorgelesen werden. Die Geschichte sollte analog zum Problem des Kindes strukturiert sein und metaphorisch oder beispielhaft eine erfolgreiche Lösung (Lösungsart, Lösungsstruktur) anbieten. Die Analogie zum Problem und das bereits bestehende Beratungssetting (das Kind weiß: wir sind hier zur Beratung wegen Problem XY) sorgen dafür, dass die Geschichte vom Unbewussten als Lösung identifiziert wird. Darum ist kein Kommentar nötig, der Kontext ist der Kommentar.

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Dialektale Redensarten nutzen

Mann auf einer Bank

Damit die Beratung an Leichtigkeit gewinnt, außerdem für einen guten Rapport (gemeinsame Wellenlänge, Anknüpfung) und als Suggestivmethode via Metaphorik (Visualisierung und Implikation) schlage ich euch vor: Nutzt doch eure regionalen Redensarten! Auf Pfälzisch klingt das zum Beispiel so…

Nachlassregelung und Versorgung von Nachkommen: Mer gebbts doch liewer mit de warme Hand, gell, oder?

Magersucht: Horschemool. Du kannsch e Gääs zwische de Herner küsse.

Konflikte, Ehestreitigkeiten, Mobbing: Ää Bock allää steest net. – Do däät de ää e Aug drum gebbe, wann de anner kääns hett.

Skepsis bei Übertreibungen: Sie mache awwer aa manchemool aus eme Furz e Dunnerschlaach, odder net?

Bitte beim Thema bleiben: Jetz kummemer vum Kuchebacke uff Arschebacke. Was wolle mer hier eijentlich?

Hinweis auf unnötige verbale Beiträge: Do misse mer jetz kää unneerische Ferz mache.

Dasselbe für nonverbale Beiträge: Sie mache jetz noch so bissche Spirensje, gell?

Dasselbe für Liebesabenteuer: Sie mache awwer Fissimatensje.*

* »Visite-ma-tente«-chen

Und was fällt euch dazu ein…?

Anton

Weinglas

Ich habe Anton beerdigt.

Als Anton zwanzig war, bereiste er die Welt. Am liebsten besuchte er Frankreich. Seine Frau und die Kinder ließ er zuhause. Wenn er in der Heimat war, trieb er sich am liebsten in Gaststätten herum. Bier und Zigaretten waren ihm wichtiger als seine beiden Töchter.

Als Anton zweiundzwanzig war, wurde er geschieden. Seinen Unterhaltsverpflichtungen kam er nicht nach. Er vertrank sein Geld.

Als Anton sechsundzwanzig war, sah er seine Töchter zum letzten Mal. Seine ehemalige Frau verbot ihnen ab da jeden weiteren Kontakt.

Als Anton fünfundfünfzig war, hatte er einen Freund, der das Geld, das er verdiente, für ihn verwaltete und das meiste für sich selbst behielt. Außerhalb der Arbeitszeit war er meistens besoffen. Solange das Geld für Alkohol und Zigaretten reichte, sei er zufrieden, sagte er.

Als Anton einundsechzig war, hörte er auf zu trinken. Das war die Zeit, als er Frieda kennen lernte. Anton verehrte Frieda. Frieda hatte ihr ganzes Leben in einem kleinen Haus auf dem Lande verbracht und sich nie in ihrem Leben für Alkohol interessiert. Weiterlesen

Der beschnittene Baum

Heute habe ich im Krankenhaus einen Mann aus Russland getroffen. Man hat ihm operativ den Kehlkopf entfernt. Sein Sohn hat ihm ein Bild gemalt von einem Apfelbaum mit roten Früchten. Auf dem Bild stand in großen Buchstaben zu lesen: „Der Baum wurde beschnitten. Jetzt trägt er viele gute Früchte. Lieber Vater, Ihre Stimme war uns wichtig. Aber Sie selbst sind uns sehr viel wichtiger!“

Die Zitterspinne (II)

Vielleicht sagst du: Ja, nee; so wie die Zitterspinne kann ich mein Problem nicht angehen. Das Problem lässt sich von mir nicht einwickeln.

Die Zitterspinne hat noch ein zweite Problemlösungsstrategie. Daher hat sie ihren Namen. Bei großen Tieren und bei Menschen macht die Zitterspinne folgendes: Sie bringt sich mitsamt ihrem Netz in eine so schnelle, anhaltende rotierende Schwingung, dass man für lange Zeit gar nicht mehr sieht, wo sie sich gerade befindet.

Zugegebenermaßen wirkt die gestern geschilderte Methode nachhaltiger. Aber in manchen Fällen lohnt es sich auch, zu rotieren oder sich eben auf andere kreative Weisen unsichtbar zu machen. Die Tierwelt vielfältige Anregungen zur Methodik des Sich -unsichtbar-machens.