Die Zitterspinne (I)

Hast du ein fettes Problem? Oder kennst du jemanden, der eines hat? Dann hör mir zu:

Am Sonntag habe ich sie gesehen, in meiner Wohnung, unter dem Waschbecken: Eine Zitterspinne. Das sind diese ganz winzigen, langbeinigen Spinnen, die ungefähr so aussehen wie Weberknechte. Diese Zitterspinne wickelte gerade eine Hauswinkelspinne in ihre Fäden einwickelte. Das sind die großen, fetten, haarigen Spinnen, vor denen sich viele Menschen, vor allem Frauen, gruseln. Vorgestern sah ich nun, wie diese kleine Spinne auf der Großen saß und sich von ihr ernährte. Wie schafft es eine solch winzigkleine, schwache Spinne, eine derart große, schnelle Spinne zu töten?

Sie hält sich in sicherer Entfernung und bewirft sie mit ihren Fäden. Immer mehr Fäden wirft sie auf die große Spinne, und während diese versucht, sich zu befreien, verstrickt sie sich immer tiefer darin. Erst wenn die große Spinne sich nicht mehr bewegen kann, geht die kleine Spinne zu ihr hin und macht sich über sie her.

Hast du ein fettes Problem? Mach’s wie die Zitterspinne.

Heiliger Zorn

Diese Geschichte hat der amerikanische Therapieentwickler Milton Erickson erzählt:

Eine Frau war mit ihrem Mops unterwegs. Aus einiger Entfernung sah sie ein Schäferhund und stürzte wütend auf die beiden zu. Was tun? Die Frau nahm ihren Mops auf den Arm und rannte dem Schäferhund zähnefletschend entgegen. Der Schäferhund ergriff die Flucht.

Gespenster verjagen

Eine Kollegin hat mir vor ein paar Tagen eine E-mail geschrieben. „Was liest du da?“, hatte eben ihre achtjährige Tochter gefragt. Die Kollegin las ihr daraufhin aus dem Buch „Der Grashalm in der Wüste“ die Geschichte „Gespenster verjagen“ vor. Nach der Geschichte setzte sich die Tochter aufrecht hin, schaute ihre Mutter mit ernsten und großen Augen an und sagte: „Siehst du, es gibt doch Gespenster. Er weiß es.“ Legte sich wieder hin und schlief zufrieden ein.

Die Geschichte „Gespenster verjagen“ ist entstanden wegen eines anderen Kindes. Sie heißt Lisa. Ehrlich gesagt war mir in ihrem Haus auch ziemlich gruselig zumute; einmal habe ich dort Stimmen gehört, als gar niemand da war. Was ist hier Realität und was Fantasie? Wahrscheinlich sind die Übergänge zwischen Realität und Fantasie in unserem Leben viel ungenauer, als wir es wahr haben wollen. Die Grenzen sind fließend: Unsere Fantasien sind oder werden Realität, und unsere Realitäten bestehen aus Fantasie. Und das nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei uns Großen. Als ich von Lisas Ängsten im Dunkeln gehört habe, habe ich ihr also die Geschichte „Gespenster verjagen“ erzählt:

Du hast also Ärger mit den Gespenstern bei euch zuhause? In deinem Zimmer sind sie, hinterm Schrank? Und unter der Kellertreppe auch? Hör zu! Weiterlesen

Inselkarten

„Schau her“, sagte der alte Seemann und entrollte eine Karte. „Das hier ist die Insel der Glückseligen.“ Sein Enkel betrachtete sie aufmerksam, während der Mann aufstand und noch eine zweite Karte aus dem Regal entnahm. „Und das hier“, fuhr er fort, während er diese zweite Karte entrollte, „ist die Insel der Unglückseligen.“ „Aber das ist doch genau die gleiche Insel!“ entfuhr es dem jungen Mann. „Vielleicht ist es die gleiche und vielleicht ist es nicht die gleiche“, sagte der Alte mit rätselhaftem Ton. „Aber so viel kann ich dir verraten: Die Pläne wurden von zwei verschiedenen Kartographen gezeichnet. Beide haben die Insel besucht. Der eine ging zu allen öden und trostlosen Bergen der Insel und vermaß von dort aus alle Zwischenräume. Der andere ging zu allen schönen, fruchtbaren, Plätzen und vermaß die Insel von dort. „Schau hier: Sie haben auch die Pfade eingezeichnet, auf denen sie gewandert sind. Wer nun mit der ersten Karte unterwegs ist, sieht von einem schönen Gipfel zum nächsten, und die öden Gegenden werden verdeckt von den schönen Bergen. Wer sich dagegen mit der zweiten Karte auf den Weg macht, schaut von ein einem trostlosen Gipfel auf den nächsten, und die schönen Landschaften bleiben hinter ihnen verborgen.“

Das Ziel hinterm Ziel

„Wenn ich eine Aufgabe fast zu Ende gebracht habe“, so hat mir am Samstag jemand erzählt, „dann lässt mein Interesse nach, und das letzte bisschen bleibt lange fast-fertig liegen.“

„Ich bin einmal morgens aufgewacht mit einer Magen-Darm-Grippe“, habe ich gesagt. „Mir war schlecht, und wahrscheinlich müsste ich mich irgendwann übergeben. Solange ich im Bett lag, war relative Ruhe. Als ich mich dann entschloss, zur Toilette zu gehen, musste ich laufen, weil es schneller herannahte, und je schneller ich lief, desto schneller kam es. Ich machte einen Wettlauf mit der Übelkeit, und die Übelkeit gewann. Eine Stunde später war es wieder soweit. Um das Debakel vom vorigen Mal zu vermeiden, malte ich mir aus, die Toilette sei zehn Meter hinter ihrem eigentlichen Ort und ging betont langsam. Als ich ankam, hatte ich noch Zeit übrig.

Ein Karatekünstler, der einen Ziegelstein durchschlägt, wird sich vorstellen, der Stein sei hinter dem Ort, wo er ihn sieht; und ein Läufer wird gut daran tun, sein persönliches Ziel hinter der Ziellinie anzusetzen, damit er die Linie mit der größtmöglichen Geschwindigkeit durchläuft.“

Morbus Feivel

Habe ich nicht schon mal was zum Thema „Ansteckende Gesundheit“ geschrieben“? Doch, am 4. Mai war das. Hier ist noch was dazu. Eine Hypno-MP3 über ansteckende Gesundheit und Morbus Feivel gibt es übrigens auch, im Download-Bereich meiner Autorenseite. Aber jetzt erstmal die Geschichte von Schlemihl aus Chełm und von Feivel dem Arzt.

Die Stadt Chełm wurde zur Brutstätte einer seltsamen Epidemie. Das kam so. Angesichts der vielen und vielfältigen Erkrankungen in seiner Stadt bedachte Feivel der Arzt einmal, wie viel schneller und leichter es mit Blick auf die wenigen wirklich gesunden Bürger sein dürfte, anstatt zu untersuchen, welcher der Bürger an welcher Krankheit litte, vielmehr nur festzustellen, wer von einer Gesundheit befallen sei und – damit die Arbeit nicht unangemessen einfach würde – mit welcher Art von Gesundheit dieser Bürger befallen sei. Weiterlesen

Wie finde ich eine passende Geschichte? (VI)

Was macht eigentlich eine therapeutische Geschichte aus?

Die Kunst des beratenden Erzählens besteht nicht darin, Geschichten zu finden, die an sich schon „therapeutisch“ wären, sondern darin, durch eine Art metaphorisches Träumen zu schon vorhandenen Geschichten die passende Situation zu finden und zu schon vorhandenen Situationen die passende Geschichte – und die Geschichten gegebenenfalls noch der Situation anzupassen. Weiterlesen

Der Archivar

Sucht ihr manchmal nach einem Namen, und er fällt euch nicht ein? Und dann tut ihr irgendetwas anderes und denkt gar nicht mehr daran, und plötzlich – Poff! – habt ihr den Namen! Ohne dass ihr gerade daran dachtet… Ist es nicht seltsam, dass man die Lösung beim Suchen nicht findet, nach dem Suchen aber wohl? Wie kann denn das sein? Es gibt nur eine Antwort… Weiterlesen