Am Grund des Flusses

Ab und zu wird jemand mit ins Unglück gezogen und kann dennoch Helfer sein, wenn er kühlen Kopf behält und die Lösung diktiert. Das Motto ist wohl: Hektik vermeiden, autoritär auftreten, nicht lange warten. Und Selbstschutz hat Vorrang: Wenn der andere im Unglück bleibt, rette ich mich trotzdem.

Diese Geschichte hat sich vor Jahren in Heidelberg abgespielt.

Auf einem Parkplatz am Fluss übte ein Fahrlehrer mit seinem Schüler das Einparken. Der Fahrschüler stieß zurück, gab kräftig Gas – und Augenblicke später fanden sich beide auf dem Grund des Flusses wieder. „Ruhig bleiben!“ sagte der Lehrer. „Lass die Tür zu! Schnall dich ab! Drehe das Fenster nur ein ganz kleines bisschen herunter, so dass bloß wenig Wasser auf einmal hereinkommt!“ Langsam füllte sich die Fahrerkabine mit Wasser, während die beiden Menschen am Grund des Flusses warteten. Als ihnen das Wasser bis zum Hals stand, sagte der Lehrer: „Jetzt öffnen wir die Tür und schwimmen nach oben!“ Die Rettung gelang – Lehrer und Schüler überlebten.

Fast zu spät und nicht zu früh

Aus dem Artikel „Dringend“ vom 17. Februar hat sich ein Gespräch darüber ergeben, wie man jemandem helfen kann, dem scheinbar nicht zu helfen ist, und wie man dabei verhindern kann, selbst immer tiefer in das Problem hinein gezogen zu werden. Aus diesem Grund schreibe ich in den nächsten Tagen ein paar Gedanken dazu. Ich fange schon mal an.

Ein Rettungsschwimmer sagte zu mir: „Wenn ein Ertrinkender in Panik um sich schlägt, kannst du ihn nicht ans Ufer bringen. Du musst warten, bis er nicht mehr schlägt. Dann kannst du ihn retten.“

Fersensporn

Eben habe ich mit einem befreundeten Arzt telefoniert. „Ich habe deine Methode verwendet mit den Körperteilen, die miteinander kommunizieren“, hat er gesagt, „das war sehr schön“. „Welche Methode mit den Körperteilen?“ „Ich hatte eine Patientin mit einem schmerzhaften Fersensporn auf beiden Seiten. Sie ist Trainering für Marketingseminare oder so etwas ähnliches. Nachdem ich sie behandelt habe, hat nur noch die eine Seite weh getan. Ich habe ihr gesagt: ‚Wenn der Fuß, dem es gut geht, der Ausbilder wäre und der andere der Schüler, was würden Sie miteinander besprechen?‘ Lassen Sie die beiden doch mal miteinander darüber sprechen, wie der eine Fuß das hingekriegt hat, dass es nicht mehr wehtut und wie der andere Fuß das von ihm lernen kann!“ Die Frau hat mich irritiert angeguckt und nichts geantwortet. Heute kam sie wieder und hat gesagt: ‚Ich muss sagen, ich fand Ihren Vorschlag schon sehr eigenartig. Dann habe ich das beim Spazierengehen ausprobiert, die beiden Füße sich miteinander unterhalten zu lassen. Danach ist es tatsächlich besser geworden. Ich fand das komisch, aber es hat funktioniert.‘ „.

Die Methode stammt allerdings auch nicht von mir. Ich habe sie von Rosemarie Dypka aus Hamburg, die mir erzählt hat, dass sie immer wieder überraschende Ergebnisse erzielt hat, wenn sie die Klienten gebeten hat, die Körperteile auf der „kranken“ und der g“gesunden“ Seite miteinander ins Gespräch zu bringen. Sinngemäß hat sie gesagt: „Bei Symptomen auf nur einer Körperhälfte kann man die Körperhälften miteinander sprechen lassen, damit die Seite, der es besser geht, der anderen etwas beibringt!“

Seminartipp: Hypno-Systemische Ressourcen-Oase

Vom 15.1.-17.1.2010 findet in Kaiserslautern ein Seminar für Berater und Therapeuten statt. Teilnahmevoraussetzung sind Kenntnisse im Bereich der systemischen und / oder hypnotherapeutischen Beratung. Der Titel des Seminars lautet: „Hypno-Systemische Ressourcen-Oase – Hypnose- und Mentaltrainingstechniken zur Erhöhung von Kreativität, Energie, Sinn- und Glückserleben“.

Die Hypno-Systemische Ressourcenoase am 15.1.-17.1.2010 verfolgt das Ziel, die vorhandenen hypno-systemische Ressourcen auszubuddeln, aufzufrischen und sie um neue wohltuende Haltungen und Methoden zu erweitern. Die Ressourcenoase ist dazu da, zur Sicht- und Verhaltensweisen zu entdecken, die Lähmung, Ermüdung und Blockaden auflösen und das Möglichkeitsspektrum des eigenen Wahrnehmens, Denkens und Tuns zu entfalten. Die Oase ist dazu da, diese Möglichkeiten so verfügbar zu machen, dass sie von den Beratenden an die Klienten weiter gegeben werden können.

Inhaltliche Schwerpunkte sind:
– Methoden zur Stärkung von Selbstwert-Erleben
– Burnout-Prävention für Therapeuten und Klienten
– Mobbing – Interventionen zum Selbstschutz und für Klienten
– Der Umgang mit Ja-aber-Klienten
– Fitness-Studio für die Seele
– Supervision, ggf. Live-Demonstration mit Klienten

Termin:   15.1.2009, 15.00 Uhr bis 17.1.2009, ca. 17.00 Uhr
Ort:        Institut für Hypno-Systemische Beratung Kaiserslautern
Umfang:  24 Stunden (18 Zeitstunden)
Dozent:   Stefan Hammel
Kosten:   300,00 Euro (Studierende die Hälfte)

Die Anmeldung erfolgt über das Institut für Hypno-Systemische Beratung (Kieferberg 25, 67659 Kaiserslautern, Tel. 0631-3702093, Fax 0631-3702094).

Von Punkt zu Punkt

Als Kind hatte ich ein Malbuch, in dem sich Bilder befanden, die aus lauter unverbundenen Punkten bestanden. Neben jedem Punkt befand sich eine Zahl, und wer die Zahlen in der richtigen Reihenfolge verband, entdeckte das Bild, das hinter den Punkten versteckt war.
Ich frage mich – wenn bei einem solchen Bild aus irgendeinem Grund die Zahlen verloren gingen – wie viele Bilder wohl in dieser Ansammlung von Punkten versteckt sein mögen? Und wenn ein Mensch nie eine Sternkarte gesehen hätte, welche Sterne würde er wohl zu Sternzeichen verbinden? Wie viele verschiedene Sternenhimmel könnte es geben? Und wenn uns andere die Welt erklärt hätten, als die, die uns großgezogen haben, in welcher Welt könnten wir dann leben?
Auf wie viele Weisen können wir die Dinge der Welt als zusammenhängend oder unverbunden sehen? Wie viele Begriffe können wir bilden für Dinge, die nicht dinglich sind, für Frieden, Gerechtigkeit, Identität? Auf wie viele Arten können wir das Gerüst unserer Wertbegriffe miteinander verbinden oder unverbunden nebeneinander stehen lassen? Auf wie viele Arten können wir einen Menschen sehen, auf wie viele Arten sein Verhalten deuten?
Und immer male ich von Punkt zu Punkt.

Geschwistertherapie

Eine Mutter wollte ihren Sohn in Therapie bringen, weil er bei den häufigen Streitigkeiten mit seiner Schwester diese regelmäßig blutig kratzte. Auch gegenüber der Mutter sei er ungehorsam, fühle sich regelmäßig im Unrecht, beschimpfe sie mit groben Worten und versuche sie zu schlagen. Der Junge ginge in den Kindergarten, seine Schwester in die erste Klasse. Auch im Kindergarten sei der Junge aggressiv und habe daher wenige Freunde, obwohl die Erzieherinnen und die Kinder sich lange bemüht hätten, ihn zu integrieren. Der Vater der Kinder sei meistens beruflich unterwegs, die Mutter fühle sich mit dem schwer zu kontrollierenden Jungen überfordert.

Ich bat die Mutter darum, zur ersten Stunde beide Kinder zur Therapie mitzubringen. Ich ließ die Kinder erklären, auf welche Arten und aus welchen Anlässen sie sich stritten. Zur zweiten Stunde bat ich die Mutter, nur die Tochter mitzubringen. Ich fragte das Mädchen: „Was meinst du? Wenn du es wirklich wolltest – auch wenn du sonst vielleicht gar nicht so bist – würdest du es irgendwie hinkriegen, deinen Bruder richtig auf die Palme zu kriegen?“ „Na klar!“ „Echt? Das kriegst du hin? Wie würdest du das denn schaffen?“ „Ach, zum Beispiel würde ich ihm so eine Grimasse machen… und dann würde ich so gucken… und dann würde ich ihm die Zunge rausstrecken…“ „Und das funktioniert?“ „Ja, das klappt gut! Und dann würde ich ihm die Zunge rausstrecken…“ „Toll… und was könntest du machen, angenommen du wolltest tatsächlich einmal, dass er dich blutig kratzt?“ „Das geht ganz leicht. Da kann ich solche Gesichter machen, oder ich kann ihm seine Malstifte verstecken.“ „Toll! Könntest du sonst noch irgendetwas machen, wenn du ihn wirklich einmal so weit bringen wolltest, dass er dich kratzt?“ „Ach, da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Ich kann ihn zum Beispiel ‚Arschgesicht‘ nennen oder ihm meinen Hintern zeigen, oder kann ihm sagen, dass er dumm ist…“

Ich fragte noch eine Weile weiter, während die Mutter mit großen Augen daneben saß und ihre Tochter aus dem Nähkästchen plaudern hörte. Schließlich gab ich den Versuch auf, mir alle Methoden nennen zu lassen; es kam kein Ende in Sicht. „Müsste deine Mutter das mitkriegen, wenn du das machst, oder könntest du es auch so hinkriegen, dass sie gar nichts davon bemerkt?“ „Das mache ich ja im Kinderzimmer, da ist die nicht.“ „Und was passiert dann?“ „Dann läuft mein Bruder in die Küche und heult, und meine Mutter fragt was passiert ist.“ „Und dann sieht sie deine zerkratzten Arme, und du sagst, du hast nichts gemacht.“ „Ja“, sagte das Mädchen etwas leiser. „Ist das schön, wenn dein Bruder bestraft wird und du nicht?“ „Klar“, sagte sie. Ihre Augen leuchteten.

Ich bat die Mutter, im Fall von Streitigkeiten zwischen den Kindern zukünftig immer beide oder keinen zu bestrafen. Vielleicht sei das manchmal ungerecht gegenüber dem Mädchen, aber der Junge habe schon zu viele Strafen zu Unrecht bekommen. Im Schnitt sei so jedenfalls mehr Gerechtigkeit zu erreichen.

In der folgenden Stunde ließ ich den Jungen allein kommen. Ich erzählte ihm die Geschichte von Gregor, dem Drachen.

In der dritten Stunde ließ ich das Mädchen wieder kommen. Ich leiß sie Stofftiere aussuchen jeweils für ihren Bruder, für ihre Mutter, für ihren Vater und für sich, außerdem eines für „den Ärgerer, der sich freut, wenn es den anderen schlecht geht“. Ich ließ sie die Familienfiguren aufstellen. Den Ärgerer nahm ich selbst. Ich erzählte dem Mädchen, dass sich der Ärgerer freut, wenn die Familie nicht zusammenhält, und dass er denkt, das bestimmt kein Tier hilft, wenn er ihre Mutter angreift. Und ich ließ den Ärgerer das Tier angreifen, das ihre Mutter darstellte. Natürlich wurde der Ärgerer in die Flucht geschlagen und war ziemlich enttäuscht. Doch er berappelte sich und versuchte Vater und dann sie selbst anzugreifen. Jedesmal zog er den kürzen. Dann sagte der Ärgerer: „Ihren Bruder hat sie ja selbst oft geärgert. Den wird sie bestimmt nicht beschützen. Zu ihm hält sie bestimmt nicht, wenn ich ihn angreife.“ Doch wieder wurde er aufs Schlimmste zurückgeschlagen. Der Ärgerer redete das Tier an, das sie selbst darstellte und versuchte ihm mit vielen Listen zu erklären, dass ihr Bruder doch doof sei, und man ihn ärgern dürfe, ja, dass er ihr doch nur helfen wolle, ihn zu ärgern, und dass sie doch gemeinsam viel Spaß haben könnten. Doch auf keine dieser Listen fiel das Schwester-Tier herein. Der Ärgerer versuchte es auf alle Weisen, doch es zeigte sich, dass alle in der Familie zusammenhielten, und auch die Schwester ihren Bruder in jeder erdenklichen Weise unterstützte. Enttäuscht und gedemütigt musste der Ärgerer schließlich abziehen. Das Mädchen aber baute aus Seilen zwischen den Möbeln des Therapiezimmers ein Familiennetz, durch das kein Ärgerer jemals wieder eindringen konnte.

In der vierten Therapiestunde ließ ich nochmals die Mutter und den Sohn kommen. Ich ließ den Jungen mit zwei Seilen zwei Länder auf den Boden legen. Das Land des Ärgerns und – was wäre das Gegenteil? „Das Land des Schmusens“ meinte der Junge. Ich ließ ihn einige Tiere aussuchen, die im Land des Ärgerns lebten und andere, die im Land des Schmusens Lebten, und er legte sie in die jeweiligen, mit den Seilen markierten Zonen.

„Was machen denn die Tiere im Ärgerland alles miteinander?“, fragte ich den Jungen. „Und was machen die Tiere im Schmuseland?“ Dann wollte ich wissen: „In welchem Land sind die Tiere wohl glücklicher?“ Mich interessierte: „Meinst du, dass die Tiere aus dem Land des Ärgerns in das Land des Schmusens kommen wollen, oder wollen eher die Tiere aus dem Schmuseland ins Ärgerland hinüber?“ Es gab, wie erwartet, eine einseitige Emigrationstendenz. Ich fragte weiter: „Aber die Tiere aus dem Schmuseland werden die Tiere aus dem Ärgerland ja sicher nur hereinlassen, wenn die Tiere aus dem Ärgerland es hinkriegen, sich so zu verhalten, dass sie zu den Schmuse-Tieren passen, oder?“ Und dann: „Was machen denn diejenigen Tiere, die ins Schmuseland hereingelassen werden, in das alle Tiere aus dem Ärgerland gerne hineinwollen? Und wie kriegen sie das hin? Und was können sie noch alles tun, um hineinzudürfen? Und was machen sie alles dort, um da bleiben zu dürfen und nie wieder herausgeschmissen zu werden? Und wer darf alles jetzt schon rein ins Schmuseland, weil er schon gelernt hat, das so zu machen? Und was meinst du, wer darf als nächstes?“ Und immer mehr Tiere durften aus dem Ärgerland ins Schmuseland hinüber, weil sie es gelernt hatten, wie Schmusetiere zu leben. Schließlich stritten sich im Ärgerland nur noch ganz wenige, und bald danach war das Ärgerland leer.

Nach der vierten Sitzung rief die Mutter der beiden Kinder an, dass kein weiterer Therapiebedarf bestehe, weil sich die Probleme in der Familie wie auch im Kindergarten weitestgehend aufgelöst hätten.

Das Symptom wegsingen

Neulich hat mir ein Freund die folgende Geschichte erzählt…

„Wir gingen spazieren. Meine Frau Carola hatte einen starken Schluckauf. Ich fing an, im Rhythmus zu unseren Schritten zu singen und bat sie darum, ihren Schluckauf in das Lied einzubringen, indem sie ihn rhythmisch zwischen den Liedzeilen einfügte. Beim ersten Mal kam der Schluckauf genau an der richtigen Stelle. Ich lobte sie und forderte sie auf, so weiter zu machen. Beim zweiten Mal musste ich warten, bis sie ihren Schluckauf eingefügt hatte. Ich bat sie um eine korrekte Beachtung des Taktes. Innerhalb von weniger als einer Minute verschwand der Schluckauf.“

Die Geschichte illustriert eine  Interventionsform aus der systemischen Therapie (wie auch aus der Hypnotherapie Milton Ericksons), die Symptomverschreibung. In diesem Beispiel wird das Symptom nicht nur gefordert, sondern außerdem noch instrumentalisiert und ritualisiert. Dabei wird das zunächst unwillkürlich auftretende Symptom in den Dienst absichtsvollen Handelns gestellt. Weil es nicht möglich ist, einen Schluckauf bewusst zu gestalten, kollabiert das Symptom.

Metaphernseminar beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg

In gut anderthalb Wochen, vom 2. bis 3. Oktober halte ich beim Milton-Erickson-Institut Heidelberg ein Geschichten-Erzähl-Seminar. Der Titel des Seminars lautet:

Die Kraft von Metaphern im System und mit System – Geschichten entwickeln als wirksame Intervention für Therapie, Coaching, Unterricht und Seelsorge.

Das Seminar wendet sich unter anderem an System- und Hypnotherapeuten, die lernen möchten, während der Beratung spontan therapeutische Geschichten zu entwickeln und diese sofort ins  Gespräch einzubringen – oder auch zuhause in aller Ruhe für die Klienten Metaphern zu erdenken und ihnen diese dann vorzutragen. Die Fortbildung ist anerkannt als C-Seminar im Rahmen des M.E.G.-Curriculums.

Der Teilnehmerbeitrag liegt bei 250 Euro, und es sind noch einige Plätze frei. Die Resonanz bei einem ähnlichen Seminar im vergangenen Jahr war äußerst positiv, und ich denke, wir werden wieder viel Spaß miteinander haben. Wer sich also jetzt anmelden möchte, hat noch die Möglichkeit. Der offizielle Ausschreibungstext lautet so:

Therapeutisches Erzählen ist seit jeher ein zentraler Bestandteil von Hypnotherapie, Systemik und vielen anderen Beratungsformen. Der Einsatz von Metaphern- und Beispielgeschichten ist aus dem alten Orient bekannt und ist bis heute eine der wirksamsten Beratungsformen. Die Geschichten werden vom Berater erzählt oder vom Klienten eingebracht und vom Berater reframed, oder sie werden von den Gesprächspartnern gemeinsam entwickelt. Nur, wie entdecke ich eine nützliche Geschichte und wie erzähle ich sie? Per Musenkuß? Das Seminar vermittelt die Techniken, um individuelle Geschichten in der Beratung spontan zu entwickeln und sie therapeutisch wirksam zu erzählen.

Ziel des Seminars ist es also, zu lernen, wie man…
• therapeutische Geschichten für Klientinnen und Klienten findet
• jederzeit Beispielgeschichten für einzigartige Lebenssituationen erfindet
• Erzählungen therapeutisch wirksam formuliert und ins Gespräch einbettet
• Problemmetaphern von Klienten in Lösungsmetaphern transformiert, die von den
Beratenen unwillkürlich in ihre Wirklichkeit reintegriert werden
• motivierende, warnende, Such- und Lernhaltungen aktivierende Geschichten aufbaut.

Weitere Infos und die Möglichkeit, euch anzumelden, findet ihr hier.

Die Ahnungslosen

„Ich habe oft Jugendliche vor mir sitzen, die auf jede Frage, die ich ihnen stelle, antworten: ‚Keine Ahnung‘. Was kann man mit denen machen?“ fragte mich eine Beraterin.

„Erzähle ihnen vom Stamm der Ahnungslosen“, sagte ich. „Sie leben im Dschungel der Unwissenheit und haben echt keine Ahnung. Als sie sich Hütten bauen wollten, haben sie am Anfang Gras genommen. Das hat aber nicht geklappt, dann haben sie Blätter genommen. Danach haben sie es mit Lianen probiert, das war auch nicht so gut. Rindenstücke waren zwar besser, aber auch nicht überzeugend. Sie haben alles mögliche versucht, es war alles nichts. Die Holzhütten haben dann schließlich gehalten. Dann wollten sie sich Kleider machen. Und sie hatten echt keine Ahnung. Sie haben mit Schlamm experimentiert, den sie auf der Haut haben trocknen lassen, und danach mit Büffelmist, den sie zu breiten Fladen ausgerollt haben und nach dem Trocknen um die Hüften gelegt haben. Das war zwar besser, hat aber bei Regen nicht mehr funktioniert. Kleider aus Dornengestrüpp waren auch nicht das Richtige. Irgendwann haben sie dann Flechtröcke und Lederstücke verwendet, von da an ging es besser. Die waren so blöd, die waren echt ahnungslos. Einmal wollten sie ein Boot bauen. Da haben sie Wasserpflanzen verwendet. Auch die Boote aus Stein waren nicht gut. Die Ahnungslosen haben alles Mögliche probiert. Sie waren so ahnungslos, dass sie noch nicht mal ans Aufgeben gedacht haben. Das ist schon eine Leistung. So haben sie halt immer weitergemacht. Irgendwann hat mal einer einen Baum ausgehöhlt. Das hat funktioniert, das haben sie beibehalten. Dann wollten sie Fischen fahren. Erst wollten sie die Fische vergiften, aber das war nicht so gut… und so weiter…

Erzähle den Jugendlichen so lange von den Ahnungslosen, bis sie es überdrüssig werden und von ‚keine Ahnung‘ nichts mehr wissen wollen. Erzähle ihnen so lange, wie die Ahnungslosen ‚keine Ahnung‘ hatten, bis die Jugendlichen zwischen Amüsiertheit und zunehmend genervter Ungeduld schwanken. Dann erzähl ihnen eine Lösung und ziehe die nächste Etappe wieder in die Länge. Nimm dir Zeit. Lass die Ahnungslosen so doof sein, wie es nur geht, und noch viel unfähiger, als die Jugendlichen sich fühlen. Lass sie so bescheuert sein, dass die Jugendlichen nur über sie lächeln können. Die Ahnungslosen sind maximal blöd. Das Gute ist nur, dass sie immer weiter machen und immer Erfolg haben. Wer den Stamm der Ahnungslosen kennt, für den ist, ‚keine Ahnung‘ zu haben, nicht mehr cool und auch nicht mehr egal. Aber es ist auch keine Tragödie. Man kann etwas daraus machen.“

Das Zölibat

Es war irgendwann in der Zukunft. Eines Morgens erwachte ein Papst mit einem seltsamen Traum. Im Traum hatte er vor Tausenden von Priestern gesprochen. Aus einer Eingebung heraus hatte er gerufen: „Mit dem heutigen Tag ist das Zölibat aufgehoben. Priester dürfen ab jetzt wieder heiraten.“ Die Priester aber jubelten nicht. Sie schauten ihn an und schwiegen still. Da hörte er hinter sich eine Stimme: „So viele Jahre lang habe ich mir viele Freuden versagt und mein Leben nach der rechten Lehre ausgerichtet. Soll das alles umsonst gewesen sein?“ Er drehte sich um und sah in einen Spiegel. Da hörte er einen Chor von Priestern, die sangen in Psalm und Antiphon: „Soll das umsonst gewesen sein?“ „Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht!“ Später an jenem Morgen traf der Papst einen Kardinal und fragte ihn: „Was würde passieren, wenn ich das Zölibat aufhöbe?“ „Du hättest ein Leben lang vieles umsonst getan und unterlassen. Du wärest umgeben von Menschen, die ein Leben lang vieles umsonst getan und unterlassen haben. Wir müssten unser Leben neu ausrichten. Es gäbe eine Krise. Bedenke, was du tust.“ „Ja“, sagte der Papst, „das ist ein wirklich mutiger Schritt“

Die Geschichte vom Zölibat habe ich gestern im Zusammenhang eines Mannes erwähnt, der eine längere Zeit der Depression durchlitten hatte und sich davon in relativ kurzer Zeit erholt hatte. Ich habe die Geschichte zuerst im „Handbuch des therapeutischen Erzählens“ aufgeschrieben. Als Anwendung für die Geschichten habe ich dort notiert:

Die Therapie von Zwangshandlungen oder Wahnvorstellungen, die für die Biographie eines Menschen bereits prägend sind, weil sie über eine längere Zeit unter Einbeziehung der Familie und der Öffentlichkeit ausgelebt wurden, oder weil sie mit großen Opfern verbunden waren, kann erschwert werden durch die Notwendigkeit, die Vergangenheit  neu zu interpretieren. Es ist eine große Leistung, die Vergangenheit umzuschreiben und persönlich und öffentlich hinter der neu gefundenen Lebensdeutung und Lebensgestaltung zu stehen. Um dem Klienten den Schritt in ein solches neues Leben zu ermöglichen, kann es sinnvoll sein, auf den Preis hinzuweisen, der dafür zu zahlen ist. Zu diesem Preis gehört oft auch die Trauer verpasste Chancen in der Vergangenheit. Wer einen solchen Schritt tut, hat Respekt und Bewunderung verdient.