Schlüssel

Schlüssel und Schloss

Aus aktuellem Anlass eine Geschichte zum Wiedererlernen von Worten und Fähigkeiten nach Ausfällen des Sprachzentrums (Aphasie), zum Beispiel durch einen Schlaganfall. Die Geschichte könnte auch nützlich sein, um einen fortschreitenden Gedächtnisverlust bei Demenz zu bremsen, sowie für ein Gedächtnistraining zu Beginn der Vorbereitung für eine Prüfung.

War es ein Traum? War es Wirklichkeit? Ich schritt durch das Gebäude. Zu meiner Rechten und zu meiner Linken befanden sich viele Türen. Ich drückte die Klinken, doch kaum eine Tür öffnete sich. Die Räume, und all die Dinge in ihnen, waren mir verschlossen. Ich setzte mich hin und weinte. „Warum weinst du?“, fragte mich einer. Ich deutete auf die verschlossenen Türen. „Weißt du denn nicht…“, sagte er, und wies auf die Taschen meines Mantels. „Du hast doch die Schlüssel!“ Ich griff in die Taschen, und zog – tatsächlich – zwei große Ringe mit Schlüsseln hervor, hunderte und nochmals hunderte von verschieden geformten, großen und kleinen Schlüsseln. Woher sollte ich wissen, welcher der vielen Schlüssel zu welchem der vielen Räume passte? „Probiere alle aus!“, sagte mir mein Ermutiger. „Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Du hast alle Zeit der Welt. Probiere alle Türen, und probiere alle Schlüssel. Nach und nach öffnest du immer mehr Türen. Mach immer weiter! Gib niemals auf! Eines Tages öffnen sich vor dir, vor deinen Augen, alle Türen, bis auf die letzte!“

Die Brille

Heute Nacht hatte ich einen Traum.

Mein linker Brillenbügel war verbogen und ich wollte ihn reparieren, damit die Brille wieder gut sitzt. Ich habe ihn zweimal hin und her gebogen – und dann war er ab. Ich habe ihn an die Brille gehalten. Er war am Scharnier abgebrochen. Reparieren ließ sich das nicht mehr. Was tun? Ich habe die Brille angezogen, in der Hoffnung, dass sie noch einigermaßen sitzt. Aber sie hing mir schräg auf dem Gesicht. Der Blick durch die Gläser war verzerrt, und ungemütlich war es auch. Man musste sie ständig festhalten. Der Optiker hat sonntags zu. Was ist in einem solchen Fall die beste Lösung? Ich dachte nach.

Da fiel mir ein: Ich habe mir vor über einem halben Jahr die Augen gegen Kurzsichtigkeit lasern lassen. Warum trage ich denn diese doofe Brille überhaupt noch? Und ging ohne weiter.

Der Grund, warum Metaphern in der Beratung so eine unglaubliche Wirkung haben, ist der, weil unser Unbewusstes in Metaphern organisiert ist: Unsere Träume sind Metaphern. Selbst die Rituale der Tiere beim Balzen und beim Klären von Rangordnungen sind Metaphern. Bevor wir in Sprache gedacht haben, haben wir in Metaphern gedacht. Darum haben die Propheten und Weisen aller Zeiten Geschichten erzählt. Und dieser Traum wird mir Anlass geben, mir die Brille anzuschauen, durch die ich meine Welt betrachte. Diesmal werde ich mich nicht mit Reparieren aufhalten.

Lesenswert: Träume vom Überleben

Das Buch von Yaffa Eliach heißt mit vollem Titel: „Träume vom Überleben – Chassidische Geschichten im 20. Jahrhundert“.

Yaffa Eliach hat als kleines Kind den Holocaust überlebt, weil ihre erschossene Mutter auf sie fiel und sie vor den Augen der Mörder verbarg. Später hat sie Geschichten von anderen Überlebenden gesammelt und untersucht, mit welchen Glaubenshaltungen, mentalen Strategien und praktischen Vorgehensweisen sie ihr Leben bewahrt haben. Ihr Buch bietet eine kostbare Sammlung von Geschichten, wie Menschen sich in der Zeit des Grauens den Glauben an Sinn und Hoffnung bewahrt haben. Dabei treten die unterschiedlichsten Haltungen und Strategien hervor. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Mut machen, selbst in katastrophalen Situationen auf Lösungen und sinngebende Antworten zu schauen. Geschrieben sind die Geschichten, die alle auf realenErlebnissen beruhen, im Stil chassidischer Legenden. Ein Anhang mit Endnoten zu jeder Geschichte beleuchtet den historischen Hintergrund.

Sehr eindrucksvoll!

Yaffa Eliach, Träume vom Überleben: Chassidische Geschichten aus dem 20. Jahrhundert
Freiburg, Basel, Wien (Herder) 1985

Der Geschichtenerzähler (III)

Weiter geht’s mit Folge drei…

„In einem Land in deinem Herzen lebte einst ein Volk, das so glücklich oder unglücklich war wie viele Völker und so reich oder arm wie viele, und so satt oder sehnsüchtig wie viele. In diesem Volk aber gab es einen Jungen, der einen Traum hatte, wie ihn viele Jungen haben: Er wollte sich auf die Suche machen nach einem verborgenen Schatz. Nun wäre das an sich nichts Besonderes. Doch hatte dieser Junge das Glück – oder war das etwa keines? – nicht nur einen Traum von einem Schatz zu haben. Sondern er hatte tatsächlich in einem Versteck im Garten Weiterlesen

Wie finde ich eine passende Geschichte? (Teil III) Und wo sind die Sterne am Tag?

Eine Methode, um passende Geschichten zu finden, besteht darin, während der Beratung in sich Traumbilder aufsteigen lassen. Man könnte geradezu selbsthypnotisch vor Sitzungen mit sich vereinbaren, die assoziativen Bilder, die einem da kommen, vermehrt bewusst werden zu lassen. Was da alles zu Tage käme! Wer mit sich vereinbart, solche Traumbilder Weiterlesen

Eine Armee für den Frieden!

Eine Armee für den Frieden!

Finden Sie auch, dass es zu viele unglückliche Menschen gibt in der Welt? Dann möchte ich Ihnen dazu gerne eine Geschichte erzählen.In London lebte im vorletzten Jahrhundert ein Mann, der hatte eine besondere Eigenschaft. Er konnte es nicht ertragen, Menschen im Elend zu sehen. Das wäre vielleicht nicht der Rede wert, denn das behaupten auch heute noch viele Menschen von sich. Aber dieser Mann hatte noch eine zweite Eigenschaft. Er hat alles getan, was er konnte, um das Elend der ärmsten Menschen zu lindern. Er hat zusammen mit seinen Freunden und späteren Mitkämpfern Hunderttausenden geholfen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Weiterlesen

Das rollende Klavier

Meine Schwester hat mir was erzählt. Über einen Mann, den sie kennt.

Seit vielen Jahren arbeitete er als Pianist. Unzählige Auftritte hatte er erlebt. Und meine Schwester hat ihn gefragt, was denn das unangenehmste Erlebnis auf seinen Konzertreisen gewesen sei? „Einmal“, so erzählte er, „habe ich während eines Konzertes bemerkt, dass das Klavier, auf dem ich spielte, nicht richtig befestigt war. Vielleicht war auch der Boden des Konzertsaals nicht eben. Während ich spielte, begann nun das Instrument, allmählich von mir fortzurollen. Ich rutschte mit meinem Klavierstuhl hinterher, doch es rollte weiter. Ich rutschte, es rollte. Und so ging es immer weiter, während des ganzen Stücks. – Die meisten Instrumente haben eine Bremse, und die muss festgestellt werden. Wenn nicht, dann gnade dir Gott.“

(Hammel, Der Grashalm in der Wüste, S. 65)

Die Neuerschaffung der Welt

Mohammed hat eine Welt erschaffen. Freud hat eine Welt erschaffen. Tolkien hat eine Welt erschaffen. McKinsey hat eine Welt erschaffen. Die Aldibrüder haben eine Welt erschaffen. Bill Gates hat eine Welt erschaffen. Kann ich das auch?

„Jede Woche eine neue Welt“ sagt ein Werbeslogan. Jede Woche werden neue Welten geschaffen, und hunderte davon. Die meisten davon sind wenig originell. Sie schwimmen im Kielwasser etablierter Welten und setzen sich nicht durch.

Was für eine Welt haben Sie erschaffen? Eine philosophische? Eine spirituelle? Eine kommerzielle? Eine mathematische? Eine soziale? Eine ästhetische? Eine materielle? Eine kommunikative? Eine Spaßwelt? Eine ethische Welt?

Sie meinen: Gar keine?

Das glaube ich Ihnen nicht. Sie müssen nur irgendwohin gucken. Sobald Sie dabei aus Versehen etwas denken, beginnt schon von Neuem die Erschaffung der Welt.

Der Mistkäfer

Der Mistkäfer

Noch so eine Kindheitserinnerung:

Wenn wir als Kinder mit unseren Eltern spazieren gingen, legte unser Vater uns oft einen blauschwarz schimmernden Mistkäfer in die Hand. „Schließe einmal deine Hand um ihn, und probiere, wie lange er darin bleibt“, sagte er. Wir schlossen dann die Hand, und bald darauf begann der Käfer seiner Arbeit. Mit unwiderstehlicher Kraft drückte scharrte und presste er mit seinen Beinen und mit seinem Körper unsere Finger auseinander. Unnachgiebig arbeitete er sich voran, dem Licht entgegen. Es dauerte nicht lange, bis er der Hand entkommen war.