Zuhause habe ich ein Grammophon. Darauf spiele ich zum Beispiel „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“. Zarah Leander singt das mit ihrer tiefen Stimme – wunderbar! Ich höre die Rabenstimme von Louis Armstrong, und ich empfinde es als eine Begegnung mit ihm selber, mit ihm ganz persönlich.
Ich höre auch Enrico Caruso, mit seinem Vibrato aus grauer Vorzeit. Er singt „O sole mio“.
Aus den Rillen der Platte, aus der Nadel, aus dem Trichter tönen die Stimmen, ohne Elektrizität, die Stimmen dieser Menschen selbst.
Wenn aus dem Trichter ihre Stimme ertönt, begegne ich ihnen. Dann aber verstummt das Grammophon, und ihre Stimmen kehren zurück in jene andere Welt, die getrennt ist von unserer in der die früheren Besitzer dieser Stimme wohnen.
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Das Vermächtnis
Zum Schmerz der Trauer gehört es, dass Vergangenes verloren erscheint, und dass es nicht mehr möglich scheint, dem Verstorbenen etwas an Liebe zurückzuschenken. Der bis dahin stetig sich fortsetzende Kreis von Geben und Nehmen ist unterbrochen; die Hinterbliebenen bleiben gewissermaßen auf ihrer Liebe (und auf ihren Versäumnissen) sitzen und können das empfangene Gute, wie es scheint, nicht mehr erwidern. In diesen Zusammenhang gehört die Vermächtnisintervention. Der Therapeut oder die Therapeutin sagt sinngemäß zu den Trauernden:
Sie haben mir viel Gutes über Ihren verstorbenen Bruder erzählt. Er ist bestimmt ein sehr liebevoller Mensch gewesen. Verstanden habe ich, dass er sehr gut zuhören konnte, dass er geduldig war, dass er sich rührend um seine Angehörigen gekümmert hat, dass er einen besonderen Humor hatte…
Ich habe den Eindruck, dass diese Begabungen auch bei Ihnen vorhanden sind. Vielleicht hat er Sie damit angesteckt. Ganz sicher hat er Ihnen viel gegeben, was Ihnen bleibt. Das ist ein Geschenk, so wie ein Vermächtnis, von dem Sie etwas an einander weiter geben können – jetzt ganz besonders an die anderen, die um ihn trauern. Sie können dieses Gute, was Sie von Ihrem Bruder erhalten haben, an die Menschen weiter geben, die er geliebt hat. Sie können es an Ihre Kinder weitergeben, an Ihre Schüler, an alle Menschen, denen Sie etwas Gutes geben möchten.
Was meinen Sie – ist es in seinem Sinne, wenn Sie das Gute, was er Ihnen geben konnte, so an die anderen weitergeben?
Dann würde er gewissermaßen durch Sie handeln und durch Sie weiter andere beschenken?
Dann handeln sie ja auch in seinem Namen, wenn Sie das Gute tun, was er sonst täte?
Dann geben Sie ihm ja auch etwas zurück, oder nicht?
Denn das, was Sie in seinem Sinne und in seinem Namen tun, das geben Sie auch ihm als Dank zurück. Kann man das so sehen?
Dann hat ihr Bruder noch nicht aufgehört, der Welt etwas zu schenken, und Sie können so noch lange Zeit Ihren Bruder beschenken.
Vertane Zeit
„Ich habe so viel falsch gemacht. Jahre meines Lebens habe ich sinnlos vertan“, seufzte sie. Mit diesen Worten vertat sie weitere Jahre ihres Lebens sinnlos.
Aufstehen
Was macht der Schiffbrüchige an Land?
Grundsätze Erickson’scher Beratung XIII
Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben.
Nach anderen Quellen:
Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben.
Täter und Opfer – viele Fragen
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Eine Distel ist eine Distel ist eine Distel. Blüten und Stacheln. Wer entscheidet, was Kraut ist und was Unkraut? Nach welchen Kriterien?
Wenn ich einen Konflikt moderiere – für wen ergreife ich Partei? Für die Opfer? Was ist, wenn beide sich für Opfer halten?
Was ist, wenn der Reigen sich dreht? Die Opfer von einst sind die Täter von jetzt sind die Opfer von einst. Die Täter von einst sind die Opfer von jetzt sind die Täter von von einst.
Wie viele Täter sind Opfer von Tätern, die Opfer sind von Tätern, die Opfer sind…?
Wieviele Opfer bleiben Opfer oder werden Täter, weil es im Schatten des Leids ein Verlust an Bedeutung wäre, weder Opfer noch Täter, sondern Nichts zu sein? Wieviele Opfer sühnen, ohne satt zu werden?
Indem ich die Opfer unterstütze, beginne ich, sie zu Tätern zu machen. Wer sagt mir, dass sie auf halbem Wege Halt machen?
Indem ich die Täter bekämpfe, beginne ich, sie zu Opfern zu machen. Wer sagt mir, dass sie auf halbem Wege Halt machen?
„Des einen Nutzen ist des Anderen Schaden, des einen Lob des anderen Tadel, des einen Hilfe ist des anderen Strafe.“ – Wenn der Berater ausbricht aus diesen Gedanken, nur dann durchbricht er den Kreislauf der Schuld.
Bürgerkrieg und Bürgerfrieden
Diese Geschichte erzähle ich vorwiegend in der Therapie bei Allergien, Entzündungen und Autoimmunerkrankungen.
In Pampelonien gab es einstmals einen Bürgerkrieg. Und das kam so: Eines Abends hörten die Wächter auf der königlichen Burg Schüsse aus der Ferne. Am Horizont im Westen sahen sie eine Rauchsäule aufsteigen. „Revolution!“ riefen sie. „Das Land ist in Gefahr!“ Eine Einheit der königlichen Armee bewaffnete sich, sattelte ihre Pferde und ritt los. Sie folgten der Richtung der Rauchsäule. Der Weg führte sie in einen großen, tiefen Wald. Es war schon dunkel, als sie in der Gegend eintrafen, wo die Schüsse ertönt waren. Schließlich sahen sie auf einer Waldlichtung Weiterlesen
Erickson-Geschichten VII
Erickson erzählt: Ein Mann aus Philadelphia, dessen Kopfschmerzen ich geheilt hatte, schickte seine Tante und seinen Onkel zu mir. Er sagte: „Diese beiden haben sich an jedem Tag ihrer Ehe gestritten. Sie sind seit über dreißig Jahren verheiratet.“ Sie suchten mich auf, und ich sagte: „Habt ihr nicht genug vom Streit? Warum fangt ihr nicht an, das Leben zu genießen?“ Und sie hatten ein sehr angenehmes Leben. Und die Tante des Mannes versuchte, ihre Schwester zum Kommen zu überreden, da sie – die Mutter des Mannes – sehr unglücklich war. (Rosen, S. 65)
Worte Epikurs VII
Nichts genügt dem, dem das Genügende zu wenig ist.
Gedankenexperiment
Angenommen, du wärst gestorben und fändest vor, dass es dort noch ein anderes Leben gäbe, und dass es da eine Art Himmel und eine Art Hölle gäbe, doch dazwischen noch so viele andere Orte, so viele, wie es Menschen gibt, nur alles ganz anders, als die Bilder aus alter Zeit es uns erzählen…
und angenommen, dieser Himmel und die Hölle und die vielen anderen Orte bestünden aus nichts anderem, als, dass du bist, der du geworden bist und so bleibst, und dass du unentwegt mit der Liebe lebst, die du verbreitet hast, oder auch mit deiner Gleichgültigkeit und deiner Bitterkeit und deinem Zorn…
und angenommen, die ganze Ewigkeit wäre nichts anderes, als dass du in deinem Leben, das du hattest, spazieren gehen könntest und es dir von allen Seiten ganz genau betrachten könntest… oder dürftest… oder müsstest…
und angenommen, du würdest deine ganze Existenz nur damit verbringen, zu bedenken und zu betrachten: wer du warst… wer du wurdest… was du empfingst… und was du gabst…
einmal angenommen, dass es so wäre und du davon wüsstest – was würde das für dein Leben hier und heute bedeuten?